Gegen Terror hilft kein Dialog

ALEXANDER KISSLER am 23. Mai 2017 auf http://cicero.de

Das schreckliche Attentat bei einem Popkonzert zeigt: Der Terrorist ist der Feind des Westens, kein Freund auf Abwegen. Wer vor seinem Hass die Augen verschließt, wird verlieren


So schwer es unserem spätmodern-temperiertem Denken fallen mag: Mit Terroristen gibt es nichts zu verhandeln / picture alliance

Autoreninfo: Alexander Kissler ist Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. "Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet", "Der aufgeklärte Gott. Wie die Religion zur Vernunft kam" und "Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss".

Wieder hat ein Selbstmordattentäter zugeschlagen. Wieder endet ein Tag in einer Metropole des Westens mit Blut und Tod, mit Schreien und Verzweiflung, nun in Manchester, zuvor in Paris, Brüssel, Nizza, Berlin, London, Stockholm. Wieder, wieder, wieder. Was bleibt jenseits der Ohnmacht des Seriellen? Der Terror ist eine Hydra mit ungezählten Köpfen, ein schlimmer Götze, der Menschenopfer will. In Manchester verlangte dieses Ungeheuer Kinderblut. In Manchester wurde die Jugend ermordet, das Publikum einer Sängerin für Teenager, Ariana Grande. Darum schockt uns diese Gewalttat besonders. Kinder sind der Inbegriff des Unschuldigen, sind Menschen im Werden. Kinder verdienen Schutz. Wer sie mordet, versündigt sich auf besonders infame Weise an der Gattung, der er angehört. Und will zugleich eine Generationenfolge kappen.

Die lange Liste der Grauens

Doch schockt es uns wirklich? Winken wir nicht müde ab, haben wir uns nicht längst an den Terror gewohnt, diesen Kollateralschaden einer grenzenlos vernetzten Welt? Acht eng beschriebene Seiten fasst mittlerweile die Wikipedia-Übersicht der Terrorakte allein zwischen dem 2. April 2015 („Kenia, Täter: al-Shabaab, 148 Tote“) und 22. Mai 2017 („Manchester, Täter: unklar, 22 Tote, 59 Verletzte“). Sie wird sich fortsetzen, diese Liste des Grauens, sich hineinfräsen in unser Bewusstsein und dort auf der Soll-Seite in roter Farbe verbucht werden. Terror beginnt als momentane Sorge und triumphiert als ewige Drohung. Vermutlich wird der Täterstatus „unklar“ bald durch einen Namen ersetzt werden – ein 23-jähriger Tatverdächtiger wurde festgenommen – und wird bald in der Rubrik „Politische Ausrichtung“ das Adjektiv „islamistisch“ stehen. Der Terror des 21. Jahrhunderts trägt nicht immer, aber meistens ein islamistisches Gesicht. Es sind meistens, nicht immer Muslime, die mit dem eigenen Tod die Tode der anderen zu legitimieren meinen. Ein Fanal sollen die Morde sein.

Das Ende aller Diskurse

Aus ihnen spricht Hass – ein eliminatorischer Hass auf den Westen, meilenweit entfernt von jenen geradezu kommoden Verkehrsformen, über die gerade in denselben Metropolen Stellvertreterdebatten geführt werden. Der islamistische Hass ist nicht virtuell, sondern real und tödlich. Er entspringt einer Ideologie, die auf denkbar unversöhnliche Weise ein im Westen für überwunden geglaubtes Phänomen aktualisiert, den Feind. Der Selbstmordattentäter markiert das Ende aller Diskurse, aller Dialoge, letztlich aller Politik. Noch das Stammeln in seinem Angesicht legt davon Zeugnis ab: Es sei eine „unbegreifliche Tat“ gewesen. Sagte etwa die deutsche Bundeskanzlerin.

Unbegreiflich ist diese Mordgier lediglich vor dem Hintergrund eines Politikmodells, das in jeder Differenz die Vorstufe zu einem Kompromiss sieht, jedwede Ansicht zur Verhandlungsmasse am runden Tisch des Lebens erklärt und, wie man zuweilen sagt, jeden Fremden zum Freund verniedlicht, den man noch nicht kenne. Der Terrorist ist ein Feind, der das Böse will und das Böse schafft. Er ist nicht der potenzielle Partner, der auf die schiefe Bahn geriet, nicht der Verhandlungsführer von morgen. Der Terrorist will den Tod, nichts sonst, und er findet ihn. Gegen ihn ist kein diskursethisches Kraut gewachsen. So schwer es unserem spätmodern-temperiertem Denken fallen mag: Da gibt es nur ein Entweder-Oder, nichts dazwischen. Da gibt es nichts zu verhandeln.

Vier Prozent der britischen Muslime sympathisieren mit Selbstmordattentätern

Insofern ist der Terrorist, als Feind betrachtet, die schärfste Anfrage an fast sämtliche Prinzipien, die wir gemeinhin dem guten Leben zurechnen. Dass da immer eine Brücke sein müsse über Unterschiede hinweg; dass man das Gespräch nicht abreißen lassen dürfe; dass jeder Mensch sich ändern könne; dass wir alle gerne friedlich leben wollten: Nein, sagt der Terrorist, ich bin anders, ich teile diese Ansichten nicht, ich will diese Freiheiten nicht haben, ich will euren Tod. Bedauerlicherweise ist diese Generalabsage an eine zivile Minimalmoral nicht nur unter Terroristen verbreitet. 

Als im Februar des vergangenen Jahres das Meinungsforschungsinstitut ICM die Studie „Was britische Muslime wirklich denken“ veröffentlichte, lauteten einige Ergebnisse: 23 Prozent der britischen Muslime räumen der Scharia gegenüber staatlichen Gesetzen den Vorrang ein. Fünf Prozent befürworten Steinigung als Bestrafung bei Ehebruch, vier Prozent sympathisieren mit muslimischen Selbstmordattentätern – in absoluten Zahlen wären das 100.000 britische Unterstützer solch bestialischer Taten, wie sie in London oder Manchester geschehen sind. Ein ehemaliger Vorsitzender der staatlichen Kommission für Gleichberechtigung und Menschenrechte folgerte damals, die Integration der Muslime sei „wahrscheinlich die härteste Aufgabe, die wir je vor uns hatten“. Es sei an der Zeit, „unseren abgestandenen Multikulturalismus aufzugeben, den manche noch immer so lieben, und einen weitaus zupackenderen Ansatz in Sachen Integration durchsetzen“.

Grenzen der Integration erreicht

Daran hat sich nichts geändert, sei es in Großbritannien, sei es in Frankreich, sei es in Deutschland. Hinzu kommt: So wie es Grenzen der Verständigung und des Dialogs gibt, gibt es auch Grenzen der Integration. Das Böse kann nicht integriert, es muss besiegt werden, ebenfalls auf zupackende Art. Der Anschlag von Manchester bestätigt auf das Traurigste, was wir gerne verdrängen: Es ist Krieg. Wer davor die Augen verschließt, der wird ihn verlieren.