Bassam Tibi, ein aus Syrien abstammender Deutscher, welcher als Politikwissenschaftler
und Gastprofessor für Islamologie lehrt, prägte im Jahre 1991 den
Begriff des Euro-Islam. Dies war die Geburtsstunde für kontroversielle
Diskussionen.
Laut Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide haben nur
Fundamentalisten ein statisches Verständnis vom Islam als abgeschlossene
Religion. Denn nur in der ständigen Auseinandersetzung und Konfrontation
zwischen Lebenswirklichkeit und Religion können Muslime immer neu aus dem
Islam schöpfen. Dass in Europa, wo die Muslime alle Möglichkeiten
durch die Freiheit einer offenen Gesellschaft haben, diese aus dem statischen
Islamverständnis der Fundamentalisten ausbrechen, ist zu bezweifeln. Dies
wurde vergangene Woche in Berlin deutlich, als die überwiegende Mehrheit
der Muslime das einzigartige Projekt der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee als ketzerisches
Werk und Islamverfälschung bezeichnete und sie in die Nähe des Terrorismus
rückte. Was war geschehen? Die deutsch-türkische Anwältin Seyran
Ates hat in Berlin eine liberale Moschee gegründet. Sämtliche Strömungen
des Islam sollen hier Platz finden, aber auch Juden, Christen und Atheisten.
Frauen und Männer beten gemeinsam. Als Vorbeterin fungiert eine Frau. Für
viele ein absoluter Tabubruch. Der liberale Ansatz versetzt viele konservative
Muslime und Islamisten offenbar in rasende Wut.
Die Kettenhunde von Erdogan
haben sich bei der Pressekonferenz als Journalisten der Bild-Zeitung ausgewiesen
und gegen die Initiatoren des Projekts auf dem regierungsnahen Sender A Haber
gehetzt. Beschimpfungen und Morddrohungen folgten über soziale Medien.
In Köln marschierten gleichzeitig liberale Muslime gegen den Terror. Die
DITIB, das österreichische Pendant dazu ist die ATIB, verweigerte die Teilnahme,
so kamen statt der erwarteten 10.000 Demonstranten einige Hundert. Fast jede
türkische Hochzeit und jede Pro-Erdogan-Kundgebung hat mehr Zulauf.
Wir
sollten dem Faktum ins Auge sehen, dass die Mehrheit der Muslime auch in den
nächsten 50 Jahren nicht auf der Höhe der Zeit ankommen wird, wenn
der Einfluss vom Ausland, sei es aus Katar, der Türkei oder aus Saudi-Arabien,
nicht eingedämmt wird. Von der Komfortzone in Europa wird das überfällige
Umdenken in der muslimischen Welt nicht ausgehen. Im Gegenteil, hier werden
die Freiheiten dazu genutzt, um die Uhren zurückzudrehen. Von der Idee
des aufgeklärten Euro-Islam hat sich auch schon der Vordenker Bassam Tibi
verabschiedet. Der Umbruch in der islamischen Welt wird im Iran und in anderen
islamischen Ländern stattfinden, wo die Menschen vom Klerus und von dessen
mittelalterlichen Wert- sowie Moralvorstellungen die Nase gestrichen voll haben.