3: Über die Medien & Flüchtlingskrise...

...schrieb am 24.7.und 25.7.2017 Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de,
am 31.7. setzte er fort:

Berichterstattung von Flüchtlingskrise und Willkommenskultur in Mainstreammedien unterdrückt

Wo bleibt die öffentliche Diskussion der Studie Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien (Otto Brenner Stiftung OBS)? Die Analyse der Flüchtlingsberichterstattung äußert scharfe Kritik an den Leit- und Mainstreammedien. Deren Berichterstattung sprach der jornalistischen Sorgfaltspflicht Hohn, sie verzerrte die Sicht auf die Willkommenskultur zu einer Polit-PR für die etablierten Parteien, während sie den medialen Diskurs mit den hauptsächlich Betroffenen hintertrieb, um rechte Denke niederzuhalten. Dieser Artikel referiert die Inhalte der Studie und stellt die skandalösen Befunde deutlich heraus.

Nicht dass die betroffenen Medien das Thema komplett unterdrückt hätten – die von der OBS namentlich genannte Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt brachten Artikel dazu. Letztere gab sogar >700 Leserkommentare wieder, bloß wurde das Thema auf den Sites schon versteckt, bevor es richtig angekommen war. Das wurde in den Leserkommentaren eines parallelen Zeit-Artikels bemängelt: Warum wurde der Artikel mit seinen >1000 Leserkommentaren nicht n die Liste der meistkommenterten aufgenommen, obwohl er auf den Spitzenplatz gehörte? Warum haben die anderen Sites die Artikel irgendwo versteckt, so dass man sie erst googlen musste (oder bei wissenbloggt nachsehen)?

Über das Thema wurde schleunigst hinweggegangen, während andere Themen immer wieder aufgewärmt werden, z.B. die Trump-"Russengeschichte" und der Dieselskandal. In Anbetracht der Wichtigkeit hätte die Flüchtlingskrise erheblich mehr öffentliche Resonanz verdient. Dabei ist das Thema Migration aktuell wieder hochgekommen, nur eben ohne Erwähnung der OBS-Studie und der journalistischen Verfehlungen. Eine redaktionelle Diskussion fand nicht statt, jedenfalls nicht in den Leitmedien. In denen wurde ein wenig bekrittelt, dass auch Gastkommentare, die schon mal abweichende Standpunkte wiedergaben, der Redaktion zugerechnet werden müssten. Die Studie hat sie aber zurecht ignoriert, weil sich die Redaktionen ja von Leser- und Kommentatormeinungen distanzieren.

Um gegen die herrschende Omerta bei der Medienkritik anzugehen, bringt wissenbloggt die wichtigsten Punkte in eigener Wiedergabe. Sie dürfen nicht wörtlich zitiert werden, weil die OBS anscheinend missbräuchliche Zitate ihrer brisanten Aussagen verhindern möchte. Selbst für wissenschaftliche Zwecke müsste vollständig und unverändert zitiert werden, und außerhalb davon ist gar kein Zitat erlaubt. Bei wb werden die Inhalte der Exzerpte mit Seitenangabe gebracht, so dass man die Originalformulierungen nachlesen kann; hier nochmal der Link zur Studie.

Fachleute ignoriert: Bei den Zitaten von anderen Medien ließen die 3 Leitmedien SZ, FAZ, Welt vor allem Journalisten, Medienakteure und Blogger zu Wort kommen. Sie zitierten sich gegenseitig 10* häufiger als Fachleute und Experten. Die Studie nennt es erstaunlich, dass in der laufenden Berichterstattung über den vielschichtigen und heiklen Themenkomplex die Fachleute weitgehend ausgespart blieben. Das ignorierte auch die jahrelange intensive deutsche Islam- und Migrationsforschung (S. 35).

Andersdenkende ignoriert: Dabei ist die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen und willkommenzuheißen vor allem dort gering, wo die Menschen das Gefühl von Benachteiligung, Perspektivlosigkeit Missachtetwerden haben. Die Publizisten hätten erkennen können, wie ausgrenzend das von den Eliten verfochtene Vielfaltsparadigma wirkte. Das Multikulti-Dogma (Wortwahl wb) grenzte diejenigen aus, die sich als Zukurzgekommene und Missachtete fühlen. (S.56, Anmerkung wb: Sie fühlen sich ja nicht nur so, viele sind es. Und auch außerhalb der prekären Schichten gibt es viele Menschen, die anders denken, und die in einer Demokratie gehört werden müssen).

Parlamente ignorant: In den Länderparlamenten "überboten" sich Abgeordnete aller Parteien mit Kritik an unzureichendener Willkommenskultur. Die Autoren der Studie sahen die Parlamentsberichterstattung durch, mit der Feststellung: Das von der Migrationsforschung gut durchleuchtete, d.h. erkannte, Problem der verbreiteten Fremdenfeindlichkeit wurde dort tabuisiert. Die Volksvertreter hätten nicht über die Ursachen von Ressentiments und Feindseligkeit in der deutschen Gesellschaft gesprochen, sondern bloß über Maßnahmen, die auf die "Bleibebereitschaft der Zuwanderer" in der Arbeitswelt zielten (S.60).

"Hochqualifizierte Zuwanderer“:  2011 gab es eine von der Wirtschaft gewollte "Zwecksetzung". Demnach sollte die neue Willkommenskultur Deutschland insbesondere für hochqualifizierte Zuwanderer attaktiv machen. Bis 2013 wurde der "Begründungszusammenhang" verändert, und diese utilitäre Zwecksetzung wurde zugunsten einer normativen Rechtfertigung aufgegeben, die auf das Gesellschaftsganze bezogen argumentierte. Dieser Begründungswandel kann als Strategiewechsel gedeutet werden (S.71+72).

Mehr Strategiewechsel: Die Berliner Regierungsparteien waren willfährig, indem sie sich die Begehren der Industrie- und Arbeitgeberverbände zu eigen machten. Wege wurden gesucht, um Deutschland für hochqualifizierte Zuwanderer attraktiver zu machen, und dazu gab es einen Slogan der Wirtschaftsvertreter: Etablierung einer neuen Willkommenskultur. 2014 wurde dieses "Willkommenskultur-Paradigma" auf asylsuchende Flüchtlinge ausgedehnt. Es wurde zum Anliegen der Bürgergesellschaft erklärt, incl. Druck auf moralische Mithilfe-Verpflichtungen von freien Trägern, ehrenamtlich Tätigen und zivilgesellschaftlich engagierten Gruppen. Im öffentlichen Diskurs fiel auf, dass sich die Politikakteure meist "rhetorisch aufgeladener Formeln und Phrasen" bedienten, z.B. wir brauchen … Das erweckte den Anschein, die "malade Willkommenskultur" könnte "sozusagen deklamatorisch" saniert werden (S.79).

Euphemistisches Stimmungsbild: Auf der regionalen und lokalen Ebene wurde über Akteure und Protagonisten und ihre Tätigkeit berichtet, bzw. sie kamen selber zu Wort. Diese Zeitungsberichte vermittelten ein mit "Euphemismen eingekleidetes Stimmungsbild". Wenn kritische Äußerungen wiedergegeben wurden, dann gegen die Bürokratie, vor allem gegen die Ausländerbehörden – aber nicht zum Thema Willkommenskultur. Nur 1,9% der Artikel referierten Willkommenskultur-kritische Äußerungen von Vertretern des rechten Politspektrums (S.99+100).

Ignorante Willkommenskultur: Aus der Sicht des neutralen Beobachters blendete die Willkommenskultur einiges aus, so dass sie als naiv erschien. Sie fragte z.B. nicht nach den Grenzen der Belastbarkeit, sie stellte sich nicht den Problemen der Verteilungsgerechtigkeit (schließlich sind es die ohnehin benachteiligten Sozialhilfeempfänger, die mit den Einwanderern um die Etats der staatlichen Wohlfahrt konkurrieren), und sie übertrug das Ideal der Gastfreundschaft auf die dauerhafte Unterbringung von Fremden (wo doch Migranten keine Gäste auf Besuch sind). In einer Welt voller Geiz, Besitzstandswahrung, Ignoranz, Wegsehen und Verhärtung überzeugte die Moralität des Willkommens dennoch. Es ist aller Ehren wert, dem Kleinmut durch aktive Mitmenschlichkeit ein Ende zu bereiten (Formulierung Neue Zürcher Zeitung 25.9.15). Dagegen machten Meinungsumfragen genauso wie die hohen Stimmanteile der AfD bei den Landtagswahlen deutlich, wie verbreitet die gegenteilige Meinung war. Unbehagen, Skepsis und kritische Einstellungen zur "Willkommenskulturkampagne" waren schon vor den Ereignissen des Sommers 2015 weit verbreitet und wurden von der Mehrheit auch so empfunden (S. 102).

Rassistische Hasstiraden: Im Internet äußerten sich die Gegner pöbelnd. Rassistische Hasstiraden wurden zahlreicher, unverfrorener und oft sogar persönlich incl. Klarnamen. Es ging nun darum, diesen Leuten zu sagen, sie wären eine kleine Minderheit. Die Mehrheit, das sind wir. Die Mehrheit seien die fremdenfreundlichen und hilfsbereiten Bürger. Gegen die von Hasstiraden überquellenden Blogs und Kommentarspalten gab es in den Mainstreammedien eine Menge Willkommen!-Artikel und viele weitere entsprechende Aufmacher, Bilderstrecken und Kommentare (S. 103).

Diskurs abgebrochen: An diesem Punkt wurde der gesellschaftliche Diskurs abgebrochen. Aus der Sicht der Medienmacher war das den Wütenden anzulasten, die sich als Missachtete und Übergangene sehen. Nach den Befunden der Studie ist aber eine andere Sicht genauso erlaubt, nämlich dass der Abbruch von den meinungsführenden Medien befördert wurde. Das sei quasi stillschweigend erfolgt, durch Ausgrenzung von Menschen mit abweichenden Meinungen und Ängsten. Die wurden ausgegrenzt, weil man sie zur "dunklen Welt der Fremdenfeindlichen" zählte, und ihnen wurde pauschal unterstellt, sie würden Gewalt gegen Asylsuchende billigend in Kauf nehmen (S. 104, das ist ein schwerer Diffamierungs-Vorwurf, wb).

Ausgrenzende Schuldzuweisung: Das "Meinungsklima" wurde durch die von der Tagespresse vermittelte Willkommenskultur-Euphorie erzeugt – und das kann als wirksame Bekräftigung der ausgrenzenden Schuldzuweisung gedeutet werden. Die rhetorischen Fragen dazu:
1. Wurden anlässlich der verschiedenen meinungsprägenden Großereignisse in den 3 Leitmedien die Sorgen, Nöte und Ängste derjenigen thematisiert, die sich der Willkommenskultur-Euphorie nicht anschließen mochten?
2. Haben die 3 Leitmedien die Probleme, Einwände und Vorbehalte aufgegriffen und aktiv Beteiligten, Experten und Fachleuten dazu das Wort erteilt?
3. Kam es anlässlich der Großereignisse zu einer öffentlich ausgetragenen Debatte, an der sich die verschiedenen Lager und Gruppen beteiligt haben? (S. 104, die Antwort ist 3* Nein, wb.)

Mediale Gleichschaltung: Der Berichterstattung der einflussstarken Leitmedien wurde von der Studie eine "konsonante Berichterstattung" nachgewiesen, d.h. eine Bericherstattung, die dem politischen System stets zugewandt war (S. 120).

Mediale Gleichschaltung II: Die Kommentatoren vertreten unisono die flüchtlingspolitische Linie der Bundeskanzlerin (Primat des Menschenrechts über Asylgesetzbestimmungen, keine Obergrenze). Ebenso "konfirmieren" sie auch ihr politisches Handeln, von der unkontrollierten Gernzöffnung bis zur Sicherung der EU-Außengrenzen und bis zur zweiten 180-Grad-Kehre (wb) mit dem Türkei-Deal. Wenn es einen diskursiven Umgang mit dem Thema gab, dann bloß in mehreren Kommentaren der FAZ, wo Bedenken aufgegriffen und erörtert wurden (S. 123).

"Hochqualifizierte Zuwanderer“ II: Bis Ende 2015 verfochten die Wirtschaftsredakteure der 3 Zeitungen die "opportunistische Doktrin", Deutschland sollte und müsste aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen möglichst viele Flüchtlinge willkommenheißen, integrieren und ausbilden. Im Oktober sahen sich dann zahllose Kommunen und deren freiwillige Helfer mit der Betreuung der zugewiesenen Flüchtlinge überfordert. Das Behördenmanagement wurde als chaotisch erlebt und stieß auf breite Kritik. Die damit einhergehende Abwehrhaltung wurde von den Kommentatoren harsch kritisiert. Sie belehrten die frustrierten und zweifelnden Bürger, Deutschland brauche dringend Hunderttausende junger Flüchtlinge, u.a. als Maßnahme gegen die Überalterung der einheimischen Bevölkerung (S 123, angesichts der Roboterdämmerung waren das klare Lügen, wb).

Euphemistische Kritik: Zugleich übten die politischen Kommentatoren der 3 Qualitätszeitungen Kritik an der operativen Ebene des Vollzugs. Sie setzten vorwiegend taktische Argumente gegen offenbare Schwächen des Regierungshandelns ein, Missmanagement, Uneinigkeit, Unentschlossenheit usw. 2/3 der Meinungstexte stellten die mit dem Flüchtlingsstrom verbundenen Probleme aber als lösbar dar. Dazu postulierten sie immer neue Handlungsempfehlungen und mahnten aktives Entscheiden an (S. 124).

Mediale Gleichschaltung III: Die Studie stellt einen durchgängigen Konsens der Medien mit der politischen Elite fest, insbesondere mit der Bundeskanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik (während ihrer ganzen 3600-Kehre, bis 2014 draußenhalten / 2015 reinlassen / ab 2016 wieder draußenhalten). Abweichende und aus Sicht vieler Leser wohl aufschlussreichere Aspekte wurden in den analysierten Kommentaren nicht thematisiert, Beispiele:
die Hilflosigkeit der Zuständigen bei der Beurteilung des Fluchtmotivs der Asylsuchenden aus kriegsverschonten Regionen
das fehlende Verständnis für die Ängste Einheimischer, zumal vieler Frauen
das Problem des behördlichen Missmanagements auf der regionalen Vollzugsebene
die Kritik an der Ahnungslosigkeit vieler Organisatoren bei Familien- und Eherecht (etwa wie viele Ehefrauen darf ein Muslim zu sich nachholen? Auch solche im Kindesalter?)
die Konflikte bei den rituellen Bräuchen zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen und anderes mehr (S. 125/127, nicht erwähnt: die Aufgabe von Hoheitsrechten an der demokratischen Zustimmung vorbei, wb).

Medien ignorant: Die Hochphase der Auseinandersetzungen wurde einer kommentierenden Analyse kaum für wert befunden. Dabei gab es allerhand zu sagen zwischen "willkommenheißenden und helfend engagierten Akteuren der Bürgergesellschaft" und "unterschiedlich schattierten Skeptikern und Kritikern". 2016 nach dem "Silvesternachtdrama" fanden diejenigen keine Würdigung, die sich um die Betroffenen kümmerten oder kümmern sollten. Dafür traten die Wort- und Meinungsführer der politischen Elite um so häufiger als "Kombattanten der Autoren" in Erscheinung. Als Ergebnis stellt die Studie fest, die meinungsführenden Leitmedien haben sich nach Maßgabe der Kommentare im Lauf der Ereignisse von der "Erfahrungsebene der Bürgergesellschaft" und somit von den Lesern immer weiter entfernt. Die Ansichten der Kritiker wurden nicht ernsthaft in die Debatte einbezogen, also von demjenigen Teil der Bevölkerung, der aus vielerlei Gründen die Vollzugspolitik skeptisch bis kritisch verfolgte (S. 130).

Überschwemmung mit Meldungen:  Zum Ereignisthema Flüchtlinge/Asylanten wurde eine Themenverdrossenheit herbeigeschrieben. Die Kernbotschaft der Newsberichte war in jenen Monaten: Einerseits ertrinken viele Tausend Flüchtlinge im Mittelmeer oder erreichen mit letzter Kraft Europas Grenzen. Andererseits sind die EU-Staaten mitsamt unserer Regierungspolitik heillos zerstritten, und in den östlichen Bundesländern agiert eine gewalttätige Szene, die pauschal als "Dunkeldeutschland" etikettiert und damit ausgegrenzt wird (S. 132, dies ist der Beginn der Zusammenfassung).

Wer zur Sprache kommt: Es waren überwiegend nachrichtliche Berichte und meinungsbetonte Beiträge, nur 4% "dialogische" Texte wie Interviews, nur 6% authentisch recherchierte Berichte und/oder erzählende Formen wie Reportagen. Dass fast 20% der Texte zu den kommentierenden Formen gehörten, ist ein ungewöhnlich hoher Anteil, der von "ausgeprägter Meinungsfreude" der 3 Redaktionen kündet. In der Kategorie der relevanten Akteure und Sprecher gehörten 66% der Nennungen zur institutionellen Politik. Die weit abgeschlagene 2. Gruppe waren mit 9% Vertreter der Judikative, Polizei, Strafverfolger, Gerichte, Anwälte. Anders die eigentlichen Hauptakteure, die sich in erster Linie und oft  freiwillig um Flüchtlinge kümmerten. Diese Helfergruppen, Einrichtungen, freien Träger und Initianten stellen nur 3,5% aller genannten Personen (das hört sich oben bei Euphemistisches Stimmungsbild anders an, wb). Fachleute und Experten, die für die akuten Problemfelder Auskunft geben konnten, kamen mit 1% so gut wie gar nicht vor. Und die Hauptbetroffenen, nämlich Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten waren nur mit 4% vertreten (S. 133).

Konflikte ausgeblendet: Den Konflikten auf der konkreten Vollzugsebene der Bundesländer gaben die Leitmedien in ihren Berichten keine Relevanz. Probleme auf der Vollzugsebene wurden fast nur thematisiert, wenn es um Gewaltakte rechtsradikaler Gruppen ging. Die Berichterstattung in den 3 Leitmedien war großteils auf die "(partei)politische Arena der Koalitionspartner" fixiert. Die eigentlichen Akteure, die sich in Behörden und Einrichtungen um die Bewältigung der Aufgaben und Probleme vom Vollzugsalltag kümmerten, waren aus dieser medial vermittelten Sicht der politischen Elite nicht relevant (S. 134).

Ziel ist Belehrung: Bis Ende 2015 befasste sich kaum ein Kommentar mit den Sorgen, Ängsten und Widerständen des wachsenden Bevölkerungsteils der Willkommens-Gegner. Und wenn doch, dann in belehrendem, teils auch verächtlichem Ton. Kaum ein Kommentar während der Hochphase im August/September 2015 versuchte eine Differenzierung zwischen Rechtsradikalen, politisch Verunsicherten und besorgten, sich ausgegrenzt fühlenden Bürgern. Die Kommentare dienten überwiegend nicht dem Ziel, verschiedene Grundhaltungen zu erörtern. Ziel war vielmehr, der eigenen Überzeugung bzw. der regierungspolitischen Sicht Nachdruck zu verleihen (S. 135 – das ist ein konkreter Manipulationsvorwurf, wb).

Gutmenschentum verlangt: Die Alltagswelt mit ihren Akteuren kam praktisch nicht zur Sprache, nur im Zusammenhang mit rechtsradikalen Gewaltakten. Der "demokratietheoretisch geforderte verständigungsorientierte Diskurs" war 2015 im redaktionellen Teil der 3 Leitmedien für die Forscher "nicht auffindbar". Speziell in der SZ folgten die Begründungen in den Kommentaren oft einer universalistischen Ethik nach dem Motto: Die Menschenrechte gelten universell, sie stehen über den nationalen Opportunitäten bzw. lokalen Interessen und Bedürfnissen, deshalb muss bedingungslos geholfen werden (S. 136, das war und ist Dogmatismus, wb).

Zauberwort Willkommenskultur: Unsere Aufnahmebereitschaft wurde zum deutschen Wunder Willkommenskultur erklärt – ein sich selbst begründender Euphemismus. In den Tageszeitungsberichten wurde das zu einer Art Zauberwort verklärt, mit dem von den Bürgern "freiwillig zu erbringende Samariterdienste" moralisch eingefordert werden konnten. Das Wort wurde zur moralisch aufgeladenen Maxime einer neuen Willkommensgesellschaft ausgedehnt. Es wurde Druck ausgeübt: Wer Skepsis anmeldete, geriet in den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit. Auch die Lokal- und Regionalpresse folgte gemäß der Untersuchung dieser Sinn- und Zwecksetzung, die zuerst von der Wirtschaft, dann von der Politik propagiert worden war. Die Untersuchung ergab außerdem, dass die lokale Tagespresse den Leitmedien bei ihrer Nähe zur politischen Elite folgte und bis Sommer 2015 "das Narrativ überwiegend als persuasive Losung transportierte" (soll heißen, sie machten bei der Manipulation mit, S. 137).

Skeptiker ausgeblendet: Ca. 83% aller Zeitungsberichte vermittelten das Leitbild Willkommenskultur in einem (überwiegend) positiven Sinn. Bedenkenträger oder Skeptiker fanden sich in den Berichten eher selten. Es gab einen "hohen Gleichklang" zwischen Politiker- und Medienaussagen. Von daher sieht die Studie die Deutung gut gestützt, mit dem Framing des Komplexes Flüchtlingspolitik/Willkommenskultur wurde eine spezifische Diktion verbreitet. Im Frühsommer 2015 wurde die öffentliche Meinung so stark davon geprägt, dass abweichende Positionen nicht mehr gehört wurden (S. 138, nochmal ein schwerer Manipulationsvorwurf, wb).

Versäumtes nachholen: Die Silvesternacht 2015/2016 brachte eine kleine Wende. Die Sorgen und Ängste vieler Menschen, zumal in den Großstädten, wurden vorübergehend thematisiert. Jetzt wurden die journalistischen Sorgfaltspflichten in vielen Zeitungsberichten entgegengesetzt verletzt. Viele Berichte über Normverstöße stellen junge Migranten und Asylsuchende pauschal unter Täterverdacht. In der Studie wird der Eindruck wiedergegeben, viele Journalisten wollten jetzt überfleißig nachholen, was sie zuvor versäumt hatten (S. 139).

Journalismus missbraucht: Der Analyse lag kein Verständnis zugrunde, dem zufolge "der Informationsjournalismus vor allem dazu da sei, Intentionen und Strategien der politischen Akteure dem Publikum zu vermitteln". Doch wenn dem so gewesen wäre, könnte man die "Ergebnisse als Beleg dafür nehmen, dass er diese Aufgabe aufs Beste erfüllt hat". Das sei jedoch eine Leistung, die von der Politik-PR zu erbringen wäre und erbracht wird (S. 139, das ist eine klare Anklage wegen Medienmissbrauch, wb).

Anspruch verfehlt:  Der normative Anspruch des diskursiven Journalismus' wie auch die unstrittigen Professionsregeln des Qualitätsjournalismus verlangen eine unabhängige kritische Sicht auf das politische Handeln. Bei gesellschaftlich folgenreichen Großthemen verlangen sie die Einbeziehung der verschiedenen am Thema beteiligten Gruppen in die Berichterstattung (S. 139+140, und beides wurde nicht geleistet, wb).

Wirkung der Flüchtlingsberichterstattung: Meinungen lassen sich ändern. 2010 zeigten Erhebungsdaten zum Meinungsklima deutliche Überfremdungsängste bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung. 2015 hieß die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen zuwandernde Fremde willkommen. Nach der Erdung 2016 fühlten sich 2/3 der Befragten eher bedroht, und 82% lehnten "Merkels Flüchtlingspolitik" ab (S. 141+142).

Desillusion über Medienbild:  Im Herbst/Winter 2015/16 reagierten sehr viele Menschen auf das von den Medien gezeichnete Bild zu Flüchtlingen und Willkommenskultur desillusioniert. Sie zeigten sich generell über die Informationsmedien deutlich enttäuscht, und sie urteilten misstrauisch. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung glaubt seither nicht mehr an die Unabhängigkeit des Journalismus'. Der werde offenbar gezwungen, systemkonform und insofern manipulierend zu berichten; das Vertrauen in die Medien ist beschädigt (S. 142).

Graben zwischen Politik & Medien und normaler Bevölkerung: Die Studie endet mit der optimistischen Sicht, einige von den Fehlentwicklungen seien inzwischen von den publizistischen Meinungsführern erkannt. Z.B. dass der Graben zwischen politischen Eliten und den Medien auf der einen Seite und der sogenannten normalen Bevölkerung wachse, und dass manche Journalisten sich als Politikberater verstehen (S. 146).

Fazit wissenbloggt: Die Studie belegt einen großmaßstäblichen Skandal, ohne das Wort zu nennen. Die Leitmedien manipulierten im (Un-)Sinn der politischen Elite. Sie unterdrückten und diffamierten abweichende Positionen. Unter der unausgesprochenen Maßgabe, die rechtsradikalen Dunkeldeutschen mit ihrer gewalttätigen Fremdenfeindlichkeit nicht hochkommen zu lassen, wurden alle Andersdenkenden moralisch verurteilt. Und die mediale Besserwisserei ist keineswegs zuende; es gibt keine nennenswerte Aufarbeitung, geschweige denn eine Entschuldigung – schändlich.