Der Bankenkrise zum 10-jährigen Jubiläum...

...eine erschütternde Analyse

Publiziert am 14. August 2017 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Seit 10 Jahren laborieren Finanzwirtschaft und Finanzpolitik an den Auswirkungen der Bankenkrise, ohne dass ein Ende absehbar wäre. In manchen Banktresoren schlummern noch unbekannte Risiken, und die Zentralbanken trauen sich kaum, von der Rettungs-Politik der Geldfluten abzukehren (Bild: HypnoArt, pixabay).

In diese Situation stößt ein Artikel, der ganz neue Aspekte der Bankenkrise hervorhebt, die bisher totgeschwiegen wurden, The secret history of the banking crisis (Prospect 14.7.). Demnach war es anders, als man bisher glaubte. Bis dato ergab die Aufklärung das folgende Szenario (frei nach Wiedergutmachung für den Bankencrash?):

Der Bankencrash 2008 wurde verursacht von Banken wie JP Morgan und auch der Deutschen Bank, die phantastische Geschäfte mit amerikanischen Eigenheimhypotheken machten. Die amerikanische Wohnungspolitik hatte dazu geführt, dass Millionen Leute Häuser bauten, die kein Einkommen und kein Kapital besaßen (no income, no assets, sogenannte "ninas"), die aber trotzdem Geld von den Banken kriegten, um zu bauen. Unterstützt wurde das von demokratischen und republikanischen US-Präsidenten mit der Direktive "no redlining" (niemand ausgrenzen). Die Finanzierung funktionierte über den Anstieg der Immobilienpreise; das Haus wurde zu 100% von der Bank finanziert, stieg im Wert und wurde mit Gewinn verkauft.

Solch windige Konstruktionen mit Käufern, die keinerlei Sicherheiten besaßen, funktionieren nur solange der Immobilienmarkt auf dem Weg nach oben ist. Die Amerikaner wussten, dass das nicht ewig laufen konnte, nicht umsonst hatten sie ein paar Jahre zuvor schon einen Immobiliencrash gehabt. Was tun? Die Antwort hieß AAA-subprimes.

Damit wurden die faulen Risiken anderen Anlegern untergejubelt. Es war die große Zeit der Derivate, d.h. mehr oder weniger unseriöse Konstruktionen von Geldpapieren. In diesem Fall waren es sogenannte Verbriefungen (CDOs, collaterated debt obligations, die dann den Ehrentitel "Massenvernichtungswaffen" bekamen). Viele Hypthekenkontrakte wurden gebündelt und "verbrieft" und in dieser Form weiterverkauft, wo nicht mehr zuordenbar war, was eigentlich drin steckte. Damit das auch wirklich kein Käufer rauskriegte, wurden die Verbriefungen nochmal verbrieft und nochmal. Man nannte diese Papiere subprime (=dreiviertelfaul) und gab ihnen trotzdem das Spitzenrating AAA.

Da haben die Betrüger von JP Morgan, der Deutschen Bank  und anderen Banken perfekt mit den Betrügern von den Ratingagenturen zusammengearbeitet. Sie hatten gewaltigen Erfolg, die gut verzinsten Papiere verkauften sich in die ganze Welt. In Erinnerung bleibt die Inkompetenz der deutschen Landesbanken und der KfW ("die kaufen alles"), die sich bis zur Halskrause mit den AAA-subprimes eindeckten. Als der US-Immo-Markt kippte und die Finanzierungen millionenfach floppten, waren die auf einmal nichts mehr wert. Die superteuren Folgen sind bekannt als Bankencrash.

Dies Szenario findet sich auch in dem Prospect-Artikel von Adam Tooze. Dort wird das Geschehen aus der britischen Perspektive aufbereitet: Der bank run auf die Bank Northern Rock, die Auswirkungen auf die USA, Südkorea, Russland, Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Spanien, Irland und Island. Das Ganze zur Überraschung der allermeisten Pundits, die nichts dergleichen vorhergesehen hatten.

Bei all den Rettungsanstrengungen wurde kaum Ursachenforschung betrieben, es waren einfach "systemrelevante" Banken und Versicherungen, die gerettet werden mussten, mit rückzahlbarem Staatsgeld – außer in Deutschland und Irland, wo der Staat den Banken das Geld schenkte (und dazu Kredite bei den Banken aufnahm und in der Folge Zinsen an die Banken zahlt statt umgekehrt, Anmerkung wb).

Die Schuldzuweisungen gingen erstmal blind an "die Globalisierung". Eigentlich wurde eine US-China-Krise erwartet. Weil die USA zuviel Staatsanleihen nach China verkauft hatten, hätten sie ihre Kreditwürdigkeit verlieren müssen. Aber was wirklich die Kreditwürdigkeit verlor, war der US-Immobilienmarkt mit seinen 8,7 Millionen Zwangsvollstreckungen, das "Fiasko des amerikanischen Traums". In Spanien und Holland ging's ähnlich bergab, wenn auch in kleinerem Maßstab.

Was hinter den Bankenproblemen steckte, war aber die Krise der kurz- und langfristigen Fälligkeiten (“maturity mismatch"), sagt der Autor Tooze. Letztlich ist demnach das Finanzierungssystem der Banken schuld. Die ganzen Finanzautoritäten haben sich stillschweigend enger denn je zusammengeschlossen, um dieses System zu retten. Die Frage ist, hält das geflickte System, und ist es überhaupt vernünftig, das System zu erhalten?

Wahnsinnssystem
Und so geht das System: Die Banken besorgen sich Kredite mit kurzen Laufzeiten zu günstigen Zinsen. Das verleihen sie mit langen Laufzeiten zu geringfügig höheren Zinsen – und davon leben sie. Weil es immer mal einen bank run geben kann, gewähren die Regierungen bis zu einem gewissen Maß Garantien. Dadurch haben die Kunden Sicherheit, allerdings nur bis zu einem gewissen Betrag.

Die großen Investoren werden nicht so gesichert. Das waren jene, die billige Großkredite aufnahmen (am neuen "wholesale money market") und zur Verzinsung in Banken wie Northern Rock steckten (ihr Anteil war 77% gegenüber 23% der Sparer). Die Großinvestoren waren mit Dutzenden von Milliarden dabei und kriegten die Panik. Indem diese Investoren beim Ausbruch der Krise ihre Gelder abzogen, trieben sie Northern Rock in die Pleite – schuld waren also nicht die Sparer, die dann vor der Tür Schlange standen..

Die Banken pumpen sich gegenseitig Geld, über Nacht, nur für kurze Zeit, um hier oder da bessere Zinsen zu erhaschen. Die Margen sind klein, also werden riesige Beträge herumgeschoben, um substantielle Gewinne zu generieren. Das war immer die Domäne der Investmentbanker, aber seit den 1990ern stiegen auch Geschäfts- und Hypothkenbanken in dies “market-based” banking ein, mit seiner Absicherung durch die besagten US-Hypotheken. Diese gewaltige Expansion des US- und europäischen Bankings begann 2007 zu crashen.

Crash vorprogrammiert
Dafür war es nicht mal nötig, dass die Hypotheken floppten. Es reichte schon aus, dass die Flop-Wahrscheinlichkeit bei einigen stieg. Das war Grund genug, um das gegenseitige Geldleihen der Banken und damit die Finanzierung des Geldmarkts zu einem abrupten Halt zu bringen. Die europäischen Geldmärkte machten am 9.8.07 dicht. Danach war es nur noch eine Frage von Tagen, bis den Banken das Geld ausging, das sie ja als kurzfristige Kredite aufgenommen hatten und alle paar Tage neu aufnehmen mussten.

Worin lag die Attraktivität von so einem riskanten System? Es befreite die Banken von der mühsamen Arbeit, Einlagen einzuwerben. Über die Geldmärkte konnten die Banken sich weltweit Geld abholen. Südkoreanische Banken liehen sich billige Dollars, um sie in südkoreanischen Won zu verleihen. Amerikanische Banken mit Standort London liehen sich Yen im schwachen Markt Japan und verliehen sie als Dollars im boomenden Brasilien.

Das größte Geschäft hieß “round tripping” der Dollars zwischen Amerika und Europa. Dazu wurden Fonds in den USA aufgemacht, und die eingesammelten Dollars in europäische Finanzinstitute exportiert. Die wiederum reinvestierten sie in den USA, oft in US-Hypotheken.

Der größte Geldfluss in die USA kam nicht aus China, sondern aus diesem Zyklus. Seit 1990 wurden die europäischen Banken dadurch zu einem transatlantischen Anhang des US-Finanzsystems. Damit das gutging, mussten die Immo- und sonstigen Vermögenspreise weiter steigen, die Geldmärkte mussten weiterhin Vertrauen haben, und am besten sollte auch noch der Dollarkurs sinken (weil man ja Dollars gepumpt hatte).

Circulus virtuosus
Was nicht passieren durfte war das Gegenteil dieser Trends. 2007 passierte aber genau das, alle 3 kehrten sich in die falsche Richtung. Man redete nur von den AAA-subprimes (Wortschöpfung wb), also vom direkten Betrug, aber das war nur ein Teil der Katastrophe. Noch schlimmer war der Zusammenbruch des circulus virtuosus'. Die ersten Immo-Fonds wurden geschlossen, und die Geldmärkte folgten sofort. Ein Mangel an Dollars im europäischen und asiatischen Finanzsystem war die Folge.

Die Firmen saßen dort auf riesigen Dollarkrediten, die sie kurzfristig zurückzahlen mussten. Im Fall Koreas warfen sie dann viele Won auf den Markt, um Dollars zu kaufen. Folge: der Won fiel, der Dollar stieg, die Kredite waren kaum zurückzuzahlen. In Europa waren es geschätzte 1-2 Billionen Dollars, die kurzfristig zurückzuzahlen waren. Mit dem Euro und dem britischen Pfund passierte dasselbe wie mit dem Won. Die Europäer hatten einen gewissen Vorteil durch das round-tripping-System, aber sie konnten ihre US-Investitionen auf die Schnelle nur mit Verlust verkaufen.

Der Artikel diskutiert die besten Strategien für die Zentralbanken, um das Geschehen zu kontrollieren, und erklärt die Geldfluten, die dann immer noch zu klein waren. Bei wissenbloggt wird auf die verschärfte Zentralbankpolitik und die Regulierung der Märkte nicht weiter eingegangen. Am Ende wirft der Autor Tooze eine Menge Fragen auf, ob die Zentralbankpolitik mit den Zukunftsproblemen fertig wird, zumal wenn der ökonomische Nationalismus um sich greift? Und wenn ein Trump im Weißen Haus residiert?

Die Spekulationen kann man in dem Artikel nachlesen. Was hier hervorgehoben werden sollte, ist der Wahnsinn des Finanzsystems, der am normalen Betrachter völlig vorbeigeht. Kurzfristiges Geldleihen rund um die Welt, um längerfristige Kredite zu vergeben. Riesige Beträge herumschieben, um winzige Margen auszunutzen (d.h. riesige Risiken zur Generierung von Gewinn). Das Ganze auf der wackeligen Basis von Voraussetzungen, die nicht lange erfüllt sein können. Man versteht jetzt die Zentralbank-Geldfluten, die dieses System stützen sollen.

Aber man wünscht sich 1970 zurück (dazu ein Stück aus Reload 1970):
Da war die Wirtschaftswelt noch in Ordnung. Sie wurde von der Industrie beherrscht, und die Banken hatten eine dienende Funktion. Sie sammelten das Geld vom Sparer ein und vergaben es an die Produktionsbetriebe. Die Börsen sammelten das Kapital der Anleger ein und versorgten damit Wirtschaft und Industrie. Das Ganze unter strenger Aufsicht, weil man noch die Weltwirtschaftskrise  von den 1930ern in Erinnerung hatte.

Welche Partei tritt für die Restaurierung dieser Zustände ein?