Seit 10 Jahren laborieren Finanzwirtschaft und Finanzpolitik an den Auswirkungen der Bankenkrise, ohne dass ein Ende absehbar wäre. In manchen Banktresoren schlummern noch unbekannte Risiken, und die Zentralbanken trauen sich kaum, von der Rettungs-Politik der Geldfluten abzukehren (Bild: HypnoArt, pixabay).
In diese Situation stößt ein Artikel, der ganz neue Aspekte der Bankenkrise hervorhebt, die bisher totgeschwiegen wurden, The secret history of the banking crisis
(Prospect 14.7.). Demnach war es anders, als man bisher glaubte. Bis
dato ergab die Aufklärung das folgende Szenario (frei nach Wiedergutmachung für den Bankencrash?):
Der Bankencrash 2008 wurde verursacht von Banken wie JP Morgan und auch
der Deutschen Bank, die phantastische Geschäfte mit amerikanischen
Eigenheimhypotheken machten. Die amerikanische Wohnungspolitik hatte
dazu geführt, dass Millionen Leute Häuser bauten, die kein Einkommen und
kein Kapital besaßen (no income, no assets, sogenannte "ninas"), die
aber trotzdem Geld von den Banken kriegten, um zu bauen. Unterstützt
wurde das von demokratischen und republikanischen US-Präsidenten mit der
Direktive "no redlining" (niemand ausgrenzen). Die Finanzierung
funktionierte über den Anstieg der Immobilienpreise; das Haus wurde zu
100% von der Bank finanziert, stieg im Wert und wurde mit Gewinn
verkauft.
Solch windige Konstruktionen mit Käufern, die keinerlei Sicherheiten
besaßen, funktionieren nur solange der Immobilienmarkt auf dem Weg nach
oben ist. Die Amerikaner wussten, dass das nicht ewig laufen konnte,
nicht umsonst hatten sie ein paar Jahre zuvor schon einen
Immobiliencrash gehabt. Was tun? Die Antwort hieß AAA-subprimes.
Damit wurden die faulen Risiken anderen Anlegern untergejubelt. Es war
die große Zeit der Derivate, d.h. mehr oder weniger unseriöse
Konstruktionen von Geldpapieren. In diesem Fall waren es sogenannte
Verbriefungen (CDOs, collaterated debt obligations,
die dann den Ehrentitel "Massenvernichtungswaffen" bekamen). Viele
Hypthekenkontrakte wurden gebündelt und "verbrieft" und in dieser Form
weiterverkauft, wo nicht mehr zuordenbar war, was eigentlich drin
steckte. Damit das auch wirklich kein Käufer rauskriegte, wurden die
Verbriefungen nochmal verbrieft und nochmal. Man nannte diese Papiere
subprime (=dreiviertelfaul) und gab ihnen trotzdem das Spitzenrating
AAA.
Da haben die Betrüger von JP Morgan, der Deutschen Bank und anderen
Banken perfekt mit den Betrügern von den Ratingagenturen
zusammengearbeitet. Sie hatten gewaltigen Erfolg, die gut verzinsten
Papiere verkauften sich in die ganze Welt. In Erinnerung bleibt die
Inkompetenz der deutschen Landesbanken und der KfW ("die kaufen alles"),
die sich bis zur Halskrause mit den AAA-subprimes eindeckten. Als der
US-Immo-Markt kippte und die Finanzierungen millionenfach floppten,
waren die auf einmal nichts mehr wert. Die superteuren Folgen sind
bekannt als Bankencrash.
Dies Szenario findet sich auch in dem Prospect-Artikel von Adam Tooze.
Dort wird das Geschehen aus der britischen Perspektive aufbereitet: Der bank run
auf die Bank Northern Rock, die Auswirkungen auf die USA, Südkorea,
Russland, Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Spanien,
Irland und Island. Das Ganze zur Überraschung der allermeisten Pundits, die nichts dergleichen vorhergesehen hatten.
Bei all den Rettungsanstrengungen wurde kaum Ursachenforschung
betrieben, es waren einfach "systemrelevante" Banken und Versicherungen,
die gerettet werden mussten, mit rückzahlbarem Staatsgeld – außer in
Deutschland und Irland, wo der Staat den Banken das Geld schenkte (und
dazu Kredite bei den Banken aufnahm und in der Folge Zinsen an die
Banken zahlt statt umgekehrt, Anmerkung wb).
Die Schuldzuweisungen gingen erstmal blind an "die Globalisierung".
Eigentlich wurde eine US-China-Krise erwartet. Weil die USA zuviel
Staatsanleihen nach China verkauft hatten, hätten sie ihre
Kreditwürdigkeit verlieren müssen. Aber was wirklich die
Kreditwürdigkeit verlor, war der US-Immobilienmarkt mit seinen 8,7
Millionen Zwangsvollstreckungen, das "Fiasko des amerikanischen Traums".
In Spanien und Holland ging's ähnlich bergab, wenn auch in kleinerem
Maßstab.
Was hinter den Bankenproblemen steckte, war aber die Krise der kurz-
und langfristigen Fälligkeiten (“maturity mismatch"), sagt der Autor
Tooze. Letztlich ist demnach das Finanzierungssystem der Banken schuld.
Die ganzen Finanzautoritäten haben sich stillschweigend enger denn je
zusammengeschlossen, um dieses System zu retten. Die Frage ist, hält das geflickte System, und ist es überhaupt vernünftig, das System zu erhalten?
Wahnsinnssystem
Und so geht das System: Die Banken besorgen sich Kredite mit kurzen
Laufzeiten zu günstigen Zinsen. Das verleihen sie mit langen Laufzeiten
zu geringfügig höheren Zinsen – und davon leben sie. Weil es immer mal
einen bank run geben kann, gewähren die Regierungen bis zu einem
gewissen Maß Garantien. Dadurch haben die Kunden Sicherheit, allerdings
nur bis zu einem gewissen Betrag.
Die großen Investoren werden nicht so gesichert. Das waren jene, die
billige Großkredite aufnahmen (am neuen "wholesale money market") und
zur Verzinsung in Banken wie Northern Rock steckten (ihr Anteil war 77%
gegenüber 23% der Sparer). Die Großinvestoren waren mit Dutzenden von
Milliarden dabei und kriegten die Panik. Indem diese Investoren beim
Ausbruch der Krise ihre Gelder abzogen, trieben sie Northern Rock in die
Pleite – schuld waren also nicht die Sparer, die dann vor der Tür
Schlange standen..
Die Banken pumpen sich gegenseitig Geld, über Nacht, nur für kurze
Zeit, um hier oder da bessere Zinsen zu erhaschen. Die Margen sind
klein, also werden riesige Beträge herumgeschoben, um substantielle
Gewinne zu generieren. Das war immer die Domäne der Investmentbanker,
aber seit den 1990ern stiegen auch Geschäfts- und Hypothkenbanken in
dies “market-based” banking ein, mit seiner Absicherung durch die
besagten US-Hypotheken. Diese gewaltige Expansion des US- und
europäischen Bankings begann 2007 zu crashen.
Crash vorprogrammiert
Dafür war es nicht mal nötig, dass die Hypotheken floppten. Es
reichte schon aus, dass die Flop-Wahrscheinlichkeit bei einigen stieg. Das
war Grund genug, um das gegenseitige Geldleihen der Banken und damit
die Finanzierung des Geldmarkts zu einem abrupten Halt zu bringen. Die
europäischen Geldmärkte machten am 9.8.07 dicht. Danach war es nur noch
eine Frage von Tagen, bis den Banken das Geld ausging, das sie ja als
kurzfristige Kredite aufgenommen hatten und alle paar Tage neu aufnehmen
mussten.
Worin lag die Attraktivität von so einem riskanten System? Es befreite
die Banken von der mühsamen Arbeit, Einlagen einzuwerben. Über die
Geldmärkte konnten die Banken sich weltweit Geld abholen. Südkoreanische
Banken liehen sich billige Dollars, um sie in südkoreanischen Won zu
verleihen. Amerikanische Banken mit Standort London liehen sich Yen im
schwachen Markt Japan und verliehen sie als Dollars im boomenden
Brasilien.
Das größte Geschäft hieß “round tripping” der Dollars zwischen Amerika
und Europa. Dazu wurden Fonds in den USA aufgemacht, und die
eingesammelten Dollars in europäische Finanzinstitute exportiert. Die
wiederum reinvestierten sie in den USA, oft in US-Hypotheken.
Der größte Geldfluss in die USA kam nicht aus China, sondern aus diesem
Zyklus. Seit 1990 wurden die europäischen Banken dadurch zu einem
transatlantischen Anhang des US-Finanzsystems. Damit das gutging,
mussten die Immo- und sonstigen Vermögenspreise weiter steigen, die
Geldmärkte mussten weiterhin Vertrauen haben, und am besten sollte auch
noch der Dollarkurs sinken (weil man ja Dollars gepumpt hatte).
Circulus virtuosus
Was nicht passieren durfte war das Gegenteil dieser Trends. 2007 passierte aber genau das, alle 3 kehrten sich in die falsche Richtung. Man
redete nur von den AAA-subprimes (Wortschöpfung wb), also vom direkten
Betrug, aber das war nur ein Teil der Katastrophe. Noch schlimmer war
der Zusammenbruch des circulus virtuosus'. Die ersten Immo-Fonds wurden
geschlossen, und die Geldmärkte folgten sofort. Ein Mangel an Dollars im
europäischen und asiatischen Finanzsystem war die Folge.
Die Firmen saßen dort auf riesigen Dollarkrediten, die sie kurzfristig
zurückzahlen mussten. Im Fall Koreas warfen sie dann viele Won auf den
Markt, um Dollars zu kaufen. Folge: der Won fiel, der Dollar stieg, die
Kredite waren kaum zurückzuzahlen. In Europa waren es geschätzte 1-2
Billionen Dollars, die kurzfristig zurückzuzahlen waren. Mit dem Euro
und dem britischen Pfund passierte dasselbe wie mit dem Won. Die
Europäer hatten einen gewissen Vorteil durch das round-tripping-System,
aber sie konnten ihre US-Investitionen auf die Schnelle nur mit Verlust
verkaufen.
Der Artikel diskutiert die besten Strategien für die Zentralbanken, um
das Geschehen zu kontrollieren, und erklärt die Geldfluten, die dann
immer noch zu klein waren. Bei wissenbloggt wird auf die verschärfte
Zentralbankpolitik und die Regulierung der Märkte nicht weiter
eingegangen. Am Ende wirft der Autor Tooze eine Menge Fragen auf, ob die
Zentralbankpolitik mit den Zukunftsproblemen fertig wird, zumal wenn
der ökonomische Nationalismus um sich greift? Und wenn ein Trump im
Weißen Haus residiert?
Die Spekulationen kann man in dem Artikel nachlesen. Was hier hervorgehoben werden sollte, ist der Wahnsinn des Finanzsystems, der am normalen Betrachter völlig vorbeigeht. Kurzfristiges
Geldleihen rund um die Welt, um längerfristige Kredite zu vergeben.
Riesige Beträge herumschieben, um winzige Margen auszunutzen (d.h.
riesige Risiken zur Generierung von Gewinn). Das Ganze auf der
wackeligen Basis von Voraussetzungen, die nicht lange erfüllt sein
können. Man versteht jetzt die Zentralbank-Geldfluten, die dieses
System stützen sollen.
Aber man wünscht sich 1970 zurück (dazu ein Stück
aus Reload 1970):
Da war die Wirtschaftswelt noch in Ordnung. Sie wurde von der
Industrie beherrscht, und die Banken hatten eine dienende Funktion. Sie
sammelten das Geld vom Sparer ein und vergaben es an die
Produktionsbetriebe. Die Börsen sammelten das Kapital der Anleger ein
und versorgten damit Wirtschaft und Industrie. Das Ganze unter strenger
Aufsicht, weil man noch die Weltwirtschaftskrise von den 1930ern in
Erinnerung hatte.