Unbewältigte Vergangenheit bleibt unbewältigt

Und es war ein katholisches Elend, hier das schon zu Weihnachten 1933 verkündete heiße Vatikanlob über die mittels Notverordnungen diktierende Dollfußregierung: "Sie kann schon jetzt auf eine Reihe von segensreichen Taten hinweisen, die das wahre Wohl sichern und fördern. Weise Verordnungen zum Wohle der Jugend und des Unterrichts, die Wiederbelebung des religiösen Geistes in Schule und Erziehung, die Neuorganisation des Heeres in christlichem Geiste, das Konkordat mit dem Heiligen Stuhle, die Riesenarbeit für eine neue Verfassung zum Wohle des Volkes, mit einem Worte: die Wiederverchristlichung des gesamten öffentlichen Lebens und das friedliche Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche zum Wohle aller."

Diese Wiederverchristlichung war dann auch eine Grundlage dafür, dass Millionen Österreicher 1938 hingebungsvoll Adolf Hitler und seine Truppen als Erlöser vom unsagbaren Elend, von der ständigen katholischen Unterjochung begrüßten!

Hier die zwei Minuten lange Rücktrittsrede Schuschniggs, die am Abend des 11.3.1938 im Rundfunk ausgestrahlt wurde:

Schuschnigg war sich offenbar im Klaren über die Lage, er machte keinerlei Versuche, seine Anhänger zu mobilisieren, er wusste wohl, für ihn und sein Regime würde keine Volkmasse, sondern eher gar niemand öffentlich auftreten.

Insgesamt muss noch eingerechnet werden, dass 1918 nach dem Zusammenbruch des monarchistischen Vielvölkerstaates der kleine deutschsprachige Teil (dem französischen Ministerpräsident Clemenceau zugeordneter Spruch: "der Rest ist Österreich") als nicht lebensfähig eingeschätzt wurde, der Friedensvertrag aber den von großer Mehrheit gewünschter Anschluss an Deutschland untersagte, nun nach der in der schwarzen Diktatur unbewältigt gebliebenen großen Wirtschaftskrise auch diese Tendenz enorm verstärkt wurde, die deutsche Aufrüstungskonjunktur große Hoffnung gab, war naturwüchsig eine große Stimmung pro Deutschland vorhanden. Die damaligen Menschen konnten ja die Lage nicht aus den Erfahrungen von 1945 reflektieren, man schrie nicht "Heil Hitler", weil man sich auf den verlorenen zweiten Weltkrieg und all die Nazigräuel freute, Hitler wurde von sehr großen Bevölkerungsteilen als Erlöser aus dem christkatholischen Elend gesehen!

Und heute darf das immer noch nicht so gesehen werden, das wird auch zum 80-Jahrjubiläum weggeschwiegen oder minimalisiert.
Ein österreichisches Nationalbewusstsein begann sich erst nach den Erfahrungen der Zeit bis 1945 zu entwickeln, allerdings zäh und langsam, 1964 waren es nur 47%, die Österreich als eigene Nation sahen, 2000 waren es 77 % und letztmalig wurde 2008 danach gefragt, 82% sagten "ja". Direkt nach 1945 sah man allerdings vielfältig den Anschluss noch positiv, es gab noch jahrezehntelang den Spruch, "ja, wenn der Krieg nicht gekommen wäre, dann...". Die Amerikaner ließen von September 1946 bis Februar 1948 elfmal die Österreicher per Meinungsumfrage abtesten, man fragte: "Glauben Sie, dass der Nationalsozialismus eine schlechte Idee war oder eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde?" Nur im Oktober 1946 war die Mehrheit der Befragten knapp (51%) der Meinung, der Nationalsozialismus sei eine schlechte Sache gewesen, im August 1947 war gar nur ein knappes Drittel dieser Ansicht, im Dezember 1947 vertrat die Mehrheit (51%) die Ansicht, es hätte nur an der Ausführung gehapert. Im Jahre 2005 gab es eine ähnliche Umfrage, 44% der Befragten meinten, der Nationalsozialismus habe auch seine guten Seiten gehabt.

Man sieht also, die Bewältigung der Vergangenheit erfolgte wohl hauptsächlich durch das Wegsterben der damals beteiligten Generationen, die konkrete gesellschaftliche Situation von 1938 bleibt immer noch unbeachtet, die heuchlerische katholische Kirche kann immer noch nichts für nichts, 1945 verhalfen Vatikan und Caritas massenhaft gesuchten deutschen Kriegsverbrechern zur Flucht nach Südamerika, das spielt immer noch keine historische Rolle, da redet man lieber vom einzigen katholischen Märtyrer, von Franz Jägerstätter, der wurde - allerdings erst nachdem die Nazigeneration weitgehend ausgestorben war - selig gesprochen, er war jedoch höchstwahrscheinlich ein heimlicher Zeuge Jehovas gewesen...

Zum Weiterlesen:
Klerikalfaschismus in Österreich: Der Weg in den Faschismus
Der Anschluss Österreichs ans Großdeutsche Reich
Bischof Alois C. Hudal, der Fluchthelfer im Vatikan für NS-Kriegsverbrecher