Karikatur:
Jaques Tilly
Christliche Theologie-Professoren haben sich in einer
Erklärung vehement für Söders Kreuzerlass ausgesprochen. Die
Argumente, mit denen sie ihre Position untermauern, verraten viel über
den Ungeist, der offenkundig noch immer an vielen theologischen Lehrstühlen
herrscht.
"Ganz in der Tradition unserer Verfassung ist der
Blick auf das Kreuz zweifellos der Blick auf ein Wertefundament unserer pluralistischen
Gesellschaft, da es für den menschlichen Zusammenhalt aus einem Geist des
Miteinanders auch gegenüber dem vermeintlich Fremden steht", heißt
es in der "Ökumenischen Erklärung
katholischer und evangelischer Professoren und Hochschullehrer der Theologie
zum bayerischen Kreuzerlass". Kaum, dass man den logischen Widerspruch
zwischen einem staatlich verordneten "Blick auf das Kreuz" und "unserer
pluralistischen Gesellschaft" verarbeitet hat, setzen die Autoren noch
eins drauf: "Dieses Fundament freiheitlicher Toleranz ist sowohl im Grundgesetz
als auch in der Bayerischen Verfassung gerade nicht auf einen gottlosen Humanismus
(Hervorhebung durch den Verfasser) reduziert. Es gründet im Heilswerk und
in der Botschaft Jesu Christi, die er selbst auf vollkommene Weise vorgelebt
hat."
Es ist schon beachtlich, in welchem Umfang die hochdekorierten
Hochschullehrer, die die Erklärung unterzeichnet haben, das Verfassungsgebot
der weltanschaulichen Neutralität des Staates ignorieren - oder wie sehr
sie darauf pfeifen. Offenkundig lähmt sie die Furcht vor einem "gottlosen
Humanismus" so sehr, dass sie verkennen, dass niemand je einen "gottlosen
Humanismus" als Staatsideologie gefordert hat. In der Verfassung verankert
ist allerdings - und nur das fordern säkular denkende Menschen aller Konfessionen
- das Gebot eines "weltanschaulich neutralen Humanismus", den jede
Bürgerin und jeder Bürger nach eigenem Gutdünken religiös
oder nichtreligiös deuten kann.
Nur wenn dieses Gebot der weltanschaulichen
Neutralität erfüllt ist, kann der Staat eine "Heimstatt aller
Bürger" sein, wie es das Bundesverfassungsgericht 1965 formulierte.
Nur unter dieser Voraussetzung können die Normen des Staates auch für
alle Bürgerinnen und Bürger gelten und von ihnen akzeptiert werden.
Beruhten staatliche Normen hingegen auf besonderen weltanschaulichen oder religiösen
Traditionen, etwa auf der "Botschaft Jesu Christi", wären all
diejenigen ausgeschlossen, die diese Traditionen nicht wertschätzen. Und
so ist es für konfessionsfreie Menschen in der Regel überhaupt nicht
einsichtig, warum ausgerechnet das Christentum das "Fundament freiheitlicher
Toleranz" stellen sollte. Immerhin spielte "freiheitliche Toleranz"
in der "Kriminalgeschichte des Christentums" (Deschner) nicht gerade
eine herausragende Rolle. Und auch dem biblischen Jesus, der jedem Andersdenkenden
ewige Höllenqualen androhte, kann man bei nüchterner Betrachtung kaum
attestieren, dass er die Prinzipien der Toleranz "auf vollkommene Weise
vorgelebt hat".
Hemmungslose Geschichtsverfälschung
Beängstigender
noch als die Missachtung der weltanschaulichen Neutralität ist die hemmungslose
Neigung zur Geschichtsverfälschung, die in der Erklärung der Theologen
zum Ausdruck kommt. Dort heißt es: "Zudem sind wir dankbar für
die durch den Kreuzerlass zum Ausdruck kommende Transparenz der bayerischen
Staatsregierung, dass sie sich auch künftig wie schon bisher der christlichen
Tradition Bayerns verpflichtet weiß, wie es auch dem Geist der nach Kriegsende
1946 verabschiedeten Präambel der Bayerischen Verfassung entspricht, wonach
es in Bayern nie mehr eine 'Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott' und
damit ohne Achtung des Gewissens und der Menschenwürde geben darf."
Machen
wir einmal einen kurzen Faktencheck: In der Zeit des Nazi-Regimes, die hier
als "Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott" etikettiert wird,
war das öffentliche Bekenntnis zum Atheismus hochgradig verpönt, da
es als Ausdruck einer "jüdisch-bolschewistischen Gesinnung" betrachtet
wurde. Mehr als 95 Prozent der Deutschen waren damals Mitglieder der katholischen
oder evangelischen Kirche, alle anderen wurden in der Kategorie der "Gottgläubigen"
geführt (offiziell gab es in der Nazidiktatur also gar keine "Atheisten"
mehr). Die Wehrmachtssoldaten trugen den Spruch "Gott mit uns" auf
dem Koppelschloss und der "Führer" berief sich unentwegt auf
die "göttliche Vorsehung". Während die atheistischen Freidenkerverbände
verboten wurden, schenkten die Nazis den Kirchen neue Privilegien, von denen
sie teilweise noch heute profitieren (wie etwa von der 1934 erfolgten Eintragung
der Konfessionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte, die den Einzug der
Kirchensteuer durch den Arbeitgeber ermöglicht).'
Das Nazi-Regime
war also alles andere als eine "Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott".
Mehr noch: Gerade die Berufung auf Gott wurde von den Nationalsozialisten
(auch von nationalsozialistischen Theologen) genutzt, um jegliche "Achtung
des Gewissens und der Menschenwürde" in Misskredit zu bringen (siehe
hierzu mein Buch "Jenseits von Gut und Böse - Warum wir ohne Moral
die besseren Menschen sind"). Auch in der Gegenwart ist dieser Zusammenhang
zu beobachten: Vor allem Gottesstaaten wie Saudi-Arabien und Iran missachten
die Würde des Einzelnen, während weltanschaulich neutrale Staaten
sie schützen. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Die universellen
Menschenrechte beruhen nämlich auf der Idee des Gesellschaftsvertrags,
die besagt, dass die fundamentalen Werte des Zusammenlebens nicht von einer
höheren Instanz ("Gott") vorgegeben sind, sondern unter den Menschen
unter fairer Berücksichtigung ihrer Interessen ausgehandelt werden.
Halten wir fest: Man sollte sich die Namen der Hochschullehrer, die diese Erklärung unterzeichnet haben, gut merken - und vielleicht auch ihre Forschung und Lehre etwas gründlicher unter die Lupe nehmen. Denn in den letzten Jahren wurde von deutschen Hochschullehrern selten ein Text publiziert, der so deutlich gegen demokratische Grundwerte wie auch gegen das wissenschaftliche Prinzip der intellektuellen Redlichkeit verstößt.