Bild macht auf Long Island einen Großneffen Adolf
Hitlers ausfindig und nötigt ihn zu einer Art Interview. Was als
journalistische Großtat gefeiert wird, ist in Wirklichkeit ein
Armutszeugnis - und ein weiterer Beitrag zur medialen
Geschichtsklitterung
"Letzter Hitler bricht sein Schweigen!" lautete die Bild-Schlagzeile
vom Montagmorgen. So kann man es nennen, wenn ein bedauernswerter
älterer Herr von einem aufdringlichen Reporter dazu genötigt wird, durch
die halbgeschlossene Tür ein paar Fragen zu beantworten. Der Mann ist
einer der drei Großneffen des "Führers", die auf Long Island im
US-Bundesstaat New York leben.
Bild schickt also einen
Reporter dorthin, der im dritten Anlauf ein paar Worte mit einem der
drei angeblichen Hitlers wechseln kann, ein Kollege schießt inzwischen,
wahrscheinlich heimlich, von der Straße aus ein verwackeltes Foto. Das
Gespräch bringt wenig Berichtenswertes. Erfreulich für die Bild: Der Mann findet Merkel toll und kann Trump nicht leiden.
Um das Gespräch aufregender zu gestalten, nennt Bild
den Interviewten immer wieder Hitler, obwohl die Zeitung selbst darauf
hinweist, dass er einen anderen Nachnamen trägt: "Hitler trägt kurze
Hose", "Hitler fährt Hyundai", "Hitler mag Merkel".
Und natürlich
ist es mit einem einzelnen Artikel nicht getan: Auf "Letzter Hitler
bricht sein Schweigen!" folgen "Warum hatte Hitler keine Kinder?" und
"Hitlers Großneffe liebte eine Jüdin". Weitere Fortsetzungen sind zu
befürchten, unter anderem warten noch die Themen Hitlers Schäferhunde,
Hitlers Ernährung und Hitlers Verdauung.
Nun ist Bild längst nicht das einzige Medium, dass mit Hitler-Titeln Auflagen und Klickzahlen zu steigern versucht. Der Spiegel macht regelmäßig das gleiche, notorisch sind auch die Hitlerdokus des ZDF.
Kein Aspekt des Privatlebens dieser Person ist abseitig genug, um von
den deutschen Medien nicht unter die Lupe genommen zu werden. Ein
Nebeneffekt dieses medialen Kollektivwahns besteht darin, dass das
NS-Regime als Werk eines einzelnen Irren begriffen werden kann.
Deshalb sollten sich Bild
und Co. endlich neue Hitlerthemen suchen: Wie wäre es mit "Hitlers
Freunde und was sie und ihre Nachkommen heute so treiben?" Wer bei
Demonstrationen wie denen in Chemnitz regelmäßig das Vierte Reich vor
der Tür stehen sieht, muss vielleicht daran erinnert werden, dass die
Nazis seinerzeit nicht als Graswurzelbewegung an die Macht gelangten,
sondern ihnen diese von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Eliten des Landes ordnungsgemäß übergeben wurde.
Und was
erwarteten die damaligen Eliten von den neuen Herren? Zum einen das
Niederhalten der organisierten Arbeiterschaft und der Löhne, zum anderen
ein neues imperiales Projekt für ein deutsches Europa. Na Bild, klingelt da was? Nein? Dann mal weiter mit Hitlers Schäferhunden.
Hier
noch eine BILDgeschichte:
[Vor]BILD[lich] schlecht recherchiert
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