Liebe Katholische Kirche, lieber Heiliger Vater,
heute, nach 46 Jahren,
bin ich aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Am Ende ging es
ganz schnell. Raum 2 Gerichtskasse, 30 Euro in bar, rüber in Raum 47, Formular
unterschrieben, amtlich ausgetreten. Da das Amtsgericht keine Erklärung
verlangt, möchte ich dennoch gerne die Begründung nachliefern. Ihr
sollt das ja auch verstehen.
Du, liebe katholische Kirche, hast mich getauft,
kommuniert, firmiert, damals war das so üblich, es gehörte dazu. Damals
aber kannte ich eure Geschichte noch nicht, die wurde uns in den meist zermürbenden
Unterrichtsstunden der Hinleitung zu den Sakramenten nicht erzählt: Inquisition,
Morde, Unterdrückung, Ablasshandel, Kreuzzüge. Auf Angst gebaute Moral.
Vergangenheit, dachte ich später, als ich von all dem erfuhr. Das war dunkles
Mittelalter. Das kann kein Maßstab für eine aktuelle Bewertung sein,
hake ich mal ab. Außerdem, und das war mir immer das Wichtigste, arbeiten
in euren Gemeinden und Einrichtungen Menschen, die sich aufopfern, die Alte
pflegen, die echte Seelsorge betreiben, die, wie Pfarrer Franz Meurer aus dem
sozialen Brennpunkt in Köln-Höhenberg, die christliche Botschaft ganz
pragmatisch und lebensnah an der Basis leben: Den Bedürftigen helfen, wo
Hilfe gebraucht wird, ohne Vorurteile, ungeachtet der Konfession oder Religion.
Da sein, wo jemand einsam ist, Lebensmittel verteilen, wo jemand hungrig ist,
und zuhören, wenn jemand nicht mehr weiter weiß. Menschlich sein,
wenn das Menschsein auch manchmal so schwer ist. All diese Menschen waren es
mir wert, Kirchensteuer zu entrichten, Jahr für Jahr, Tausende Euro.
Dabei
hast Du deinen Mitgliedern einen Verbleib in deinem Konstrukt immer verdammt
schwer gemacht, gerade so, als würdest Du sie vergraulen wollen: Hetze
gegen Homosexuelle, Kondomverbote, obwohl in manchen Ländern der HI-Virus
fast epidemische Ausmaße angenommen hatte. Menschen, die in deinen Einrichtungen
ungeachtet ihrer Eignung und Kompetenz nicht mehr arbeiten dürfen, weil
sie geschieden sind und wieder geheiratet haben, Frauen, die keine Priester
sein dürfen, die überhaupt in der Hierarchie kurz über der Grasnarbe
rangieren, wie ein Mensch zweiter Klasse. Ein eigenes Kirchenrecht, das in mancher
Hinsicht den Rechtsstaat ignoriert.
Aber kommen wir zum wichtigsten Punkt:
Seit Jahrzehnten missbrauchen eure Priester Kinder und Jugendliche, weltweit.
Menschen also, die man euch, den Dienern Christi, im guten Glauben anvertraut
hat. Kann man eigentlich Schlimmeres tun? Lange Zeit ist es euch gelungen, das
zu vertuschen. Aber jetzt ziehen die Opfer den Mantel Stück für Stück
beiseite, den ihr so viele Jahre über diese Geschehnisse gelegt hattet.
Doch wie ist eure Reaktion? Das Vertuschen geht weiter, der Unwille, die Vorfälle
als das anzuerkennen, was sie sind: Schwere Verbrechen, für die man sich
vor weltlichen Gerichten zu verantworten hat. Wäre der Wille zur schonungslosen
Aufklärung spürbar gewesen, ich wäre diesen Schritt vermutlich
nicht gegangen.
Doch euer viertägiger Krisengipfel im Vatikan geriet
zur Farce. Ihr habt den Missbrauch an Kindern klein geredet, ihn verharmlost,
ihn zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Problem aller Kulturen verklärt,
statt euch ohne jede Relativierung zur Schuld zu bekennen und die Schuldigen
zur Rechenschaft zu ziehen. Bis zu 5000 Euro Entschädigung pro Opfer sind
euer Angebot der Wiedergutmachung für jahrelanges Martyrium, das nenne
ich modernen Ablasshandel in eigener Sache. Und Du, lieber Papst, der Du nach
Ratzingers Rücktritt als Reformer gefeiert wurdest, als derjenige, der
nach dem Vorbild des heiligen Franz von Assisi die Auswüchse der Gier geißelt
und der die Kirche zurück zu Demut und Bescheidenheit führen will,
was hast Du getan? Ja, wahrscheinlich hast Du es schwer inmitten dieses Intrigensumpfes
im Vatikan, der ewiggestrigen Kurie und den Bischöfen und Kardinälen,
für die der Beichtstuhl inzwischen vermutlich mehr Darkroom als Ort einer
kathartischen, seelischen Befreiung ist. Und doch musst du dich bekennen zur
Schuld, als Mensch, der sündigt, als Abbild Gottes, für den du und
deine Kirche den Menschen haltet.
Du bist Oberhaupt einer Kirche. Nach einem
solchen Skandal ist Dein Kerngeschäft als Chef eines Unternehmens wie diesem
nicht das Rausreden, um etwa den Aktienkurs vor dem Absturz und die Aktionäre
vor dem Aufstand zu bewahren. Dein Kerngeschäft im globalen Kirchenbusiness
ist die Moral und die duldet keine Ausflüchte, ganz gleich, wie groß
der Widerstand in den eigenen Reihen ist.
Aber Du, lieber Pontifex, redest
nicht allein vom Versagen der Kirche, dem Irrsinn des Zölibats, der Reformbedürftigkeit
des ganzen verstaubten Apparats, nein, Du sprichst auch von Satan, der sich
wie eine Krankheit bei euch eingenistet habe und der sein teuflisches Werk gleichsam
im Herzen des Erzfeindes verrichtet. Mehr Mittelalter geht nicht, mehr Unwille
zur Reform, zum Umdenken auch nicht. Und doch feierst Du dich für dieses
bizarre Spektakel. "Für uns besteht die kopernikanische Revolution
in der Erkenntnis, dass die missbrauchten Personen sich nicht um die Kirche
drehen, sondern dass es die Kirche ist, die sich um sie dreht", sagte der
australische Bischof Mark Coleridge nach dem Krisentreffen. Wenn das schon eine
Revolution sein soll, eine kopernikanische dazu, dann müssen wir alle heilfroh
sein und dem Herrgott jeden Tag dafür danken, dass Du, liebe katholische
Kirche, eben nur eine Kirche bist.
Im Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70
hast Du die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes bei endgültigen Entscheidungen
in Glaubens- und Sittenfragen zum Dogma erhoben. Im Zweiten Vatikanischen Konzil
(1962-1965), das auch der Modernisierung mancher Formulierung galt, hast Du
das Dogma der Unfehlbarkeit zusätzlich auf die Bischöfe erweitert.
Da wir ja unter Männern sind, sag ich mal ganz salopp: Die Eier muss man
erstmal haben. Und dass ihr Eier habt, die weder der selbst auferlegte Zölibat
noch eure Omertà zum Schweigen bringen können, habt ihr zum Leid
anderer hinlänglich bewiesen. Das alles war zu viel für mich. Ich
musste jetzt raus aus deinem Schoß. Das, liebe katholische Kirche, musst
Du verstehen.
Die nette Dame aus Zimmer 47 sagte, ich solle die Bestätigung
meines Austritts ein Leben lang aufbewahren, da es sein könne, dass die
Stadt Köln mich im Falle eines Umzugs versehentlich wieder zum Mitglied
der katholischen Kirche macht. Wer weiß, vielleicht hat sich bis dahin
ja etwas geändert, vielleicht durch ein revolutionäres drittes Konzil.
Allein, mir fehlt der Glaube.
Daher befreie ich mich nun aus den Fängen
Satans und sage Salute. Wir sehen uns in der Hölle.
Anmerkung atheisten-info: Priesterliche Sexualdelikte gab es nicht bloß seit einigen Jahrzehnten, sondern seit der Einführung des Zölibats vor tausend Jahren!