Wie die SPD ihre säkularen Wurzeln verleugnet

Gisa Bodenstein am 25.3.2019 auf https://hpd.de/

Letzte Woche sorgte die Meldung für Schlagzeilen, dass die SPD den Arbeitskreis "Säkulare Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen" nach wie vor nicht zulässt. In der Antwort auf eine Anfrage des hpd geht ein Sprecher der Partei noch weiter: Die Trennung von Kirche und Staat sei weder ihr Ziel noch das des Grundgesetzes. Damit wären die Gründerväter der SPD sicherlich nicht einverstanden.

"SPD und Kirche: Freundschaft mit Startschwierigkeiten" heißt ein Artikel des Christlichen Medienmagazins pro von 2013. Darin wird die Entwicklung des Verhältnisses der Partei zu den beiden Amtskirchen geschildert, mit dem Tenor, dass die unvernünftige, radikale Haltung von damals überwunden wurde. Von "militanter anti-religiöser Propaganda" ist die Rede.

Christentum und Sozialismus seien wie Feuer und Wasser, sagte August Bebel, einer der Urväter der deutschen Sozialdemokratie, Ende des 19. Jahrhunderts. In einem vielbeachteten Briefwechsel lieferte sich der bekennende Atheist mit Kaplan Hohoff einen Schlagabtausch, in dem er unter anderem schrieb, das Christentum sei "nichts als Heidentum, das heißt eine Religion wie alle anderen Religionen auch: Menschenwerk, nichts mehr und nichts weniger". Und: "Die Bibel ist das verwirrteste Buch, welches existiert (…). Eine Verworrenheit, welche die katholische wie die evangelische Kirche längst in lauter Sekten aufgelöst haben würde, wenn nicht die Priester- und die Staatsgewalt die Rechtgläubigkeit an den einmal aufgestellten Lehren mit Gewalt aufrechterhalten hätte." Aus seinen Ausführungen folgert Bebel, dass er "nicht nur ein Gegner des Katholizismus, sondern jeder Religion sein muss, weil nach meiner festen Überzeugung die Religion nur da Geltung haben kann, wo Unwissenheit über die menschliche Entwicklung wie Unbekanntschaft mit den Forschungen der Geschichte und Naturwissenschaft besteht". Ihn als Sozialdemokrat stört, dass das Christentum "die Menschheit in der Knechtschaft und Unterdrückung gehalten und bis auf den heutigen Tag sich zum Werkzeug politischer und sozialer Ausbeutung hergegeben" habe.

Deshalb fand sich konsequenterweise im Erfurter Programm von 1891 die Erklärung von Religion zur Privatsache und eine daraus folgende Forderung nach der Trennung von Staat und Kirche. Dies änderte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts, wovon der pro-Artikel erfreut berichtet: "Das Verhältnis der SPD zu den Kirchen ist heute weitgehend von Entspannung, Offenheit und Dialogfähigkeit geprägt, eine, gemessen an den Anfängen der Sozialdemokratie, geradezu epochale Wandlung."

Diese "epochale Wandlung" scheint die Haltung der SPD zum Thema Religion mittlerweile gar ins Gegenteil verkehrt zu haben. Von der Öffnung der Partei für religiöse Menschen, die nach Aussage des Artikels "Programmatik und praktische Politik der SPD wesentlich geprägt" hätten, bis zur wiederholten Ablehnung eines Arbeitskreises "Säkulare Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen" ist es ein weiter Weg. Seit vielen Jahren bemühen sich die "Säkularen Sozis" um eine offizielle Anerkennung durch die Partei, während Christen, Juden und Muslime ihr Gremium innerhalb der SPD bereits haben. Vergangene Woche sorgte ein Brief von Generalsekretär Lars Klingbeil für Aufsehen, in dem er es den Laizisten in seiner Partei untersagte, den Begriff "SozialdemokratInnen" als Bezeichnung für ihre Gruppierung zu verwenden. Auch der hpd berichtete darüber.

Auf eine Anfrage des hpd an den Parteivorstand mit der Bitte um eine Stellungnahme antwortete ein SPD-Sprecher, alle seien "herzlich eingeladen, sich in der SPD zu beteiligen" und "jeder der säkularen Mitstreiterinnen und Mitstreiter" dürfe sich Sozialdemokrat nennen, "so wie alle Mitglieder der SPD". Die Nutzung des Logos und des Namens der Partei sei allerdings "offiziellen Organisationseinheiten und Gremien" vorbehalten - und dazu gehören die "Säkularen Sozis" nicht.

Und dann kommt eine bemerkenswerte Aussage: "Als SPD bekennen wir uns zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Toleranz in Fragen des Glaubens. Grundlage und Maßstab dafür ist unsere Verfassung. Kernanliegen der 'Säkularen Sozis' ist die strikte Trennung von Kirche und Staat. Das ist eine legitime Position. Es ist allerdings nicht die Position der SPD, so wie es auch nicht die Position des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist. 2011 hat der SPD-Parteivorstand daher die Einrichtung eines laizistischen Arbeitskreises einstimmig abgelehnt."

Die Behauptung, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sehe keine Trennung von Staat und Kirche vor, ist so nicht richtig. Es gibt ein sogenanntes "Trennungsgebot", das im Grundgesetz in Paragraph 140, der sich aus mehreren Paragraphen der Weimarer Reichsverfassung zusammensetzt, Ausdruck findet: "Es besteht keine Staatskirche", heißt es dort. "Nach heutiger, so gut wie allgemeiner Rechtsauffassung versteht man unter Trennungsgebot jedenfalls das grundsätzliche Verbot einer organisatorisch-institutionellen Verbindung von Staat und religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften, insbesondere Kirchen", schreibt Gerhard Czermak dazu im Lexikon des Instituts für Weltanschauungsrecht. Dieses Trennungsgebot sei "ein religionsrechtliches Hauptanliegen der Verfassung", das jedoch durch die tatsächliche Praxis in Form eines "engen Schulterschlusses zwischen Staat und Religion" ausgehöhlt werde.

Mit anderen Worten: Um einen grundgesetzkonformen Zustand herzustellen, müsste man sehr wohl aktiv für die Trennung von Staat und Kirche eintreten. Gerne erinnert sich die in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohende SPD an bessere Zeiten, verehrt ihre Granden von einst. Mit Aussagen wie dieser zum Verhältnis von Kirche und Staat verrät sie ihre Gründer jedoch. Auf der Internetseite der SPD findet man Portraits von "Größen der Sozialdemokratie". Auch August Bebel ist dort vertreten. Seine ablehnende Haltung gegenüber Religionen wird dort vollkommen verschwiegen. Er würde sich im Grabe umdrehen.

Kommentar atheisten-info: Anmerken kann man dazu noch die tiefliegenden Gründe für das so sonderbare Verhalten der SPD-Führung!

Es liegt klarerweise an im sich immer noch "links" nennenden Bereich äußerst verbreiteten Denkweisen. Die Verbindung mit der realen Welt haben diese gutsituierten Kreise schon längst verloren, die Klassenfrage ist ihnen ein unbekannter Begriff, man ist viel eher aufs Almosenwesen fixiert, also speziell schlechter gestellten Kreisen durch Mildtätigkeit zu helfen. statt die gegensätzlichen Klasseninteressen zu thematisieren. Seit zwanzig Jahren gibt's nicht nur in Österreich keine Reallohnerhöhungen mehr, auch in der BRD ist das nicht anders, aber der Arbeitsdruck wird ständig erhöht und die Sozialdemokratie befasst sich mit beiden Themen nicht, weil durch die reale Positionierung der Parteiführer in besseren Kreisen die realen Klassenwidersprüche überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden!

Da die Partei durch dieses reale politische Versagen schrumpfte, versucht man diese unangenehmen Veränderung zu stoppen, aber man weiß ja nicht, warum das passiert ist, dazu sind die christlichen Parteien nicht so stark geschrumpft, darum gibt's wohl in der SPD-Führung die Vermutung, es könnte daran liegen, zu wenig kirchenfreundlich zu sein und man kniet sich deswegen in die falsche Richtung nieder und ändert damit die schlechte Lage der Partei substanziell nicht.