Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt 1939

Geheimprotokoll veröffentlicht


Der Präsentator des Vertrages und der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop, Josef Stalin und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (v.l.n.r.) am 23.8.1939 © AP Photo

Natalia Pawlowa am 18.6.2019 auf Sputnik-News

Die Fotokopien des sowjetischen Originaltextes des Nichtangriffspaktes zwischen Deutschland und der UdSSR sowie des geheimen Zusatzprotokolls wurden in der neuen Publikation "Die Anti-Hitler-Koalition 1939. Geschichte eines Misserfolges" erstmals veröffentlicht. Historiker bewerten die Bedeutung des Ereignisses, das vor 80 Jahren passiert ist.

Bisher waren nur deutsche Versionen des Dokuments für das breite Publikum verfügbar. Der Vertrag und das Protokoll wurden nämlich viermal ohne Kopien auf Schreibmaschinen getippt, was die technischen Abweichungen des Textes erklärt. Bei der Ausarbeitung und der Abstimmung des Textes stand man unter starkem Zeitdruck.

Der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der UdSSR vom 23. August 1939 sei für Moskau ein erzwungener Schritt gewesen, den die Führung des Landes erst dann unternommen habe, als klar geworden sei, dass es keine Anti-Hitler-Koalition geben werde, meinten die Historiker während der Vorstellung des neuen Buches in der Internationalen Nachrichtenagentur Rossija Segodnja in Moskau.

"Die Sowjetunion war gezwungen, diesen Vertrag abzuschließen. Der Westen stellte die UdSSR ständig vor vollendete Tatsachen: Deutschland gründet die Wehrmacht - dies war ein grober Verstoß gegen die Bedingungen des Versailler Vertrages (nach den Ergebnissen des Ersten Weltkrieges); Deutschland besetzte die entmilitarisierte Rheinzone; es wurden zahlreiche Verträge mit Hitler abgeschlossen. Im Januar 1934 schloss Polen einen Nichtangriffspakt mit dem NS-Regime, was Hitler ermöglichte, die deutsche Ostgrenze abzusichern: Er konnte nun den Aufbau der Streitkräfte in Schwung bringen. Das ist eine wichtige Tatsache, die von Historikern immer noch wenig angesprochen wird", sagte Dmitri Surschik, Experte am Zentrum für Kriegsgeschichte und Geopolitik.

Der Vertrag gewährte der Sowjetunion fast zwei Jahre Ruhepause, um sich auf die Abwehr der unabwendbaren Aggression vorzubereiten, die am 22. Juni 1941 begann, als die Wehrmacht die Grenze der UdSSR ohne Kriegserklärung überschritt. Mehr noch: Ähnliche Verträge mit Hitlerdeutschland hatten zuvor die heutigen "Hauptankläger" der Sowjetunion unterzeichnet, und zwar Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Lettland, Litauen und Estland.

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Die "Probe" des Scheiterns der Abkommen mit den westeuropäischen Verbündeten hatte zu jenem Zeitpunkt bereits stattgefunden - ein Jahr zuvor, als Großbritannien und Frankreich den deutschen Nationalsozialisten 1938 eine Carte Blanche für die Teilung der Tschechoslowakei erteilten. Dieses Abkommen ging in die Geschichte als Münchner Abkommen ein.

"Vieles hing von den führenden Staaten - den Garanten des Versailler Vertrages - ab. Großbritannien und Frankreich verfolgten dabei bekanntlich eine Politik, die die deutsche Expansion vorantrieb. Wir wollen einer ernsthaften und gründlichen Diskussion über den deutsch-sowjetischen Pakt nicht ausweichen. Aber unsere Herangehensweise besteht darin, dass wir den ganzen Prozess Schritt für Schritt analysieren und nicht erst am 23. August anfangen, sondern viel früher", betont der Chefredakteur der Veröffentlichung, Oleg Nasarow.

Bis zum Kriegsausbruch am 1. September 1939 hatte die Sowjetunion verzweifelte Versuche unternommen, eine Koalition europäischer Staaten zu bilden, um die Aggression des Dritten Reiches zu stoppen. Während westliche Experten und Medien das für sie schändliche Jahr 1938 mit Stillschweigen übergingen, richten sich nun in diesem Jahr alle westlichen Informationswaffen gegen Russland. Der Nichtangriffspakt zwischen der UdSSR und Deutschland, der im Westen auch als Molotow-Ribbentrop-Pakt bekannt ist, soll die Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der Sowjetunion auferlegen.

Historiker weisen darauf hin, dass sowohl sowjetische als auch westliche Diplomaten die Welt vor einer Kriegsgefahr gewarnt haben. Während die USA heute das System der Rüstungsverträge zerstören und Europa militarisieren, entstehen unwillkürlich historische Parallelen. Die einzige Möglichkeit, eine Katastrophe zu verhindern, bestand vor 80 Jahren in der Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa. Die riesigen Anstrengungen Moskaus blieben damals jedoch erfolglos.

Soweit der Sputnik-Text

Hier der natürlich längst bekannte Vertragstext und das ebenfalls längst bekannte Geheime Zusatzprotokoll:

Der Vertragstext
Die Deutsche Reichsregierung und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, geleitet von dem Wunsche, die Sache des Friedens zwischen Deutschland und der UdSSR zu festigen und ausgehend von den grundlegenden Bestimmungen des Neutralitätsvertrags, der im April 1926 zwischen Deutschland und der UdSSR geschlossen wurde, sind zu nachstehenden Vereinbarungen gelangt:
Artikel I:
Die beiden vertragsschließenden Teile verpflichten sich, sich jeden Gewaltakts, jeder aggressiven Handlung und jedes Angriffs gegeneinander, und zwar sowohl einzeln als auch gemeinsam mit anderen Mächten, zu enthalten.
Artikel II:
Falls einer der vertragsschließenden Teile Gegenstand kriegerischer Handlungen seitens einer dritten Macht werden sollte, wird der andere vertragsschließende Teil in keiner Form diese dritte Macht unterstützen.
Artikel III:
Die Regierungen der beiden vertragsschließenden Teile werden künftig fortlaufend zwecks Konsultation in Fühlung miteinander bleiben, um sich gegenseitig über Fragen zu informieren, die ihre gemeinsamen Interessen berühren,
Artikel IV:
Keiner der beiden vertragsschließenden Teile wird sich an einer Mächtegruppierung beteiligen, die sich mittelbar oder unmittelbar gegen den anderen Teil richtet.
Artikel V:
Falls Streitigkeiten oder Konflikte zwischen den vertragsschließenden Teilen über Fragen dieser oder jener Art entstehen sollten, werden beide Teile diese* Streitigkeiten oder Konflikte ausschließlich auf dem Weg freundschaftlichen Meinungsaustausches oder nötigenfalls durch Einsetzung von Schlichtungskommissionen bereinigen.
Artikel VI:
Der gegenwärtige Vertrag wird auf Dauer von zehn Jahren abgeschlossen mit der Maßgabe, daß, soweit nicht einer der vertragsschließenden Teile ihn ein Jahr vor Ablauf dieser Frist kündigt, die Dauer der Wirksamkeit dieses Vertrags automatisch für weitere fünf Jahre als verlängert gilt.
Artikel VII:
Der gegenwärtige Vertrag soll innerhalb möglichst kurzer Frist ratifiziert werden. Die Ratifiaktionsurkunden sollen in Berlin ausgetauscht werden. Der Vertrag tritt sofort mit seiner Unterzeichnung in Kraft.
Angefertigt in doppelter Urschrift, in deutscher und russischer Sprache.
Moskau, am 23. August 1939
Für die Deutsche Reichsregierung: v. Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR: W. Molotow

Geheimes Zusatzprotokoll:

das deutschsprachige Exemplar ist längst veröffentlicht..

Aus Anlaß der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert. Diese Aussprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:
1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten gehörenden Gebieten (Finnland, Estland, Lettland, Litauen) bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessensphären Deutschlands und der UdSSR, Hierbei wird das Interesse Litauens an dem Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.
2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessensphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt.
Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden. In jedem Falle werden beide Regierungen diese Frage im Wege einer freundschaftlichen Verständigung lösen.
3. Hinsichtlich des Südostens Europas wird von sowjetischer Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite wird das völlige politische Desinteressement an diesen Gebieten erklärt.
4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden.
Moskau, den 23. August 1939
Für die Deutsche Reichsregierung: v. Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR: W. Molotow

Hier die russsiche Version, sie war im Internet bereits zu finden:


Vertragsbeilage, von Stalin und Ribbentrop abgezeichnete Landkarte mit den neuen Grenzen

Die sogenannte Westukraine war in der Zeit des russischen Bürgerkrieges und des sowjetisch-polnischen Krieges, der mit sowjetischen Niederlagen endete, ein umkämpftes Gebiet gewesen, das mit dem Friedensvertrag von Riga vom 18.3.1921 an Polen zugewiesen worden war. Bis heute besteht der Konflikt zwischen West- und Ostukraine weiter...