Die Nobelpreise 2019

Notizen Nr. 316 vom 12.10.2019

Hier ein kurzer Überblick, mit ein paar persönlichen Anmerkungen.

Als Alfred Nobel, von seinem Gewissen getrieben (Waffenhändler hatten damals noch sowas) sein Vermögen der Menschheit widmete, verlangte er für die jährliche Verleihung des nach ihm benannten Preises, er solle "denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben." Haben sie das?

Für Chemie und Medizin gilt dies zweifellos, für die Physik schon lange nicht mehr. Für Literatur und Frieden gelten andere Kriterien. Für die Wirtschaftswissenschaften gibt es einen eigenen Preis, für Mathematik keinen - angeblich, weil Nobel schlecht in Mathe war. Oder weil er meinte, die Mathematiker trügen nichts zum Fortschritt der Menschheit bei.

Die Chemiker John B. Goodenough (USA, aber geboren in Jena), M. Stanley Whittingham (Großbritannien, USA), und Akira Yoshino (Japan) bekamen ihn „für die Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien“. Über die Wichtigkeit dieser Forschungen brauchen wir nicht viel sagen. Ohne Lithium-Batterien gäbe es keine Handys und keine Elektro-Autos. Also praktisch keine technische Zukunft der Menschheit.

Ähnlich wichtig sind die mit dem Preis ausgezeichneten Forschungen auf dem Gebiet der Medizin. William G. Kaelin (USA), Gregg Semenza (USA) und Peter J. Ratcliffe (Großbritannien) bekamen ihn „für die Entdeckung molekularer Mechanismen der Sauerstoffaufnahme von Zellen“. Bereits 1931 erhielt der deutsche Forscher Otto Heinrich Warburg den Preis für „die Entdeckung der Natur und der Funktion des Atmungsferments“. Wie wichtig diese Forschungen sind, hat Warburg schon damals erkannt: Eine gestörte Zellatmung könnte Ursache für Krebs sein. Diese Forschungen wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufgegeben, zugunsten einer Total-Ausrottung der bösen Krebszellen mit "Stahl und Strahl". Vielleicht ändert sich die Bewusstseinslage jetzt. Zu wünschen wäre das allen, die an Krebs erkrankten oder erkranken, allen, denen diese Gefahr droht.

Der Nobelpreis für Physik solle demjenigen zuerkannt werden, „der auf dem Gebiete der Physik die wichtigste Entdeckung oder Erfindung gemacht hat“. Das waren 2019 James Peebles „für theoretische Entdeckungen in der physikalischen Kosmologie“, sowie Michel Mayor und Didier Queloz (beide Schweiz) „für die Entdeckung eines Exoplaneten, der einen sonnenähnlichen Stern umkreist“. Meine Meinung zu den letzten Physik-Nobelpreisen habe ich schon öfter dargelegt, z.B. hier: Wie man Fake-News schafft Oder hier: Wer findet das Higgs-Boson? Diese Nobelpreise entsprechen der Tradition in Schweden, den renommierten Preis Physikern zuzusprechen, die moderne Mythen ohne vernünftigen Hintergrund geschaffen zu haben. Peebles kaut die alten Argumente für die biblische Schöpfungsgeschichte im Gewand pseudowissenschaftlicher Sprache wieder ("Urknall = Schöpfung aus dem Nichts. Das konnte nicht mal Gott, der hat nämlich nur das Licht von der Finsternis getrennt.) Welchen Wert die Verwässerung der Astronomie durch uralte Mythen haben soll, leuchtet mir nicht ein. Und die Entdeckung eines außersolaren Planeten hat sicherlich einen großen Nutzen für die Menschheit; welchen, das wüsste ich gerne.

Ganz andere Kapitel sind die Nobelpreise für Literatur und Frieden. Der Literaturpreis soll vergeben werden für den, der „das Beste in idealistischer Richtung geschaffen“ hat. Während alle Wissenschaftler sich über die Auszeichnung (und das damit verbundene Geld) freuten, war das bei den eigensinnigen Literaten nicht immer der Fall. Und es waren auch nicht immer Literaten, die ihn bekamen. Russell (1950) war Mathematiker und Anti-Atomwaffengegner, Churchill (1953) Historiker und Politiker. Pasternak (1958) durfte den Preis nicht abholen, sein Roman war zu freiheitlich. Sartre (1964) lehnte ihn ab, wollte aber zehn Jahre später das Geld. Jelinek (2004) wollte nicht persönlich zur Preisverleihung kommen, man möge ihr doch das Geld auf ihr Konto überweisen. Dylan (2016)  ignorierte ihn erst zwei Wochen lang und gab in dieser Zeit auch keine Interviews. Er kam weder zur Nobelpreisrede noch zur Auszeichnungs-Verleihung.

Und jetzt Peter Handke. In meiner Jugend habe ich zufällig (oder vielleicht auch aus Interesse) zwei Werke von ihm auf kleinen Bühnen gesehen - und war begeistert. Die "Publikumsbeschimpfung" - eine originelle Idee voll Sprachwitz und kuriosen Konstruktionen. "Kaspar" - eine eindringliche Studie der Menschwerdung eines unentwickelten, vernachlässigten Individuums, das sich zum wahren Menschsein emporarbeitet. Er hat den Preis verdient!

Schließlich der Friedens-Nobelpreis, eine oftmals politisch begründete Auszeichnung, was von vornherein nicht schlecht sein muss. Nach Maßgabe des Stifters soll er an denjenigen vergeben werden, „der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ und damit „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat. Auf Nobelpreisträger gibt's immer Wetten, und diesmal wetteten fast alle auf Greta Thunberg. Dabei hätte die junge Dame den Preis sowohl aus formalen und auch aus inhaltlichen Gründen gar nicht bekommen können. Formal: Der Preis wird jeweils für Errungenschaften aus dem Vorjahr vergeben, und da gab es noch keine "Fridays for Futures"-Bewegung. Inhaltlich: Gretas Taten tragen bisher nichts zur Völkerverständigung oder der Reduktion von Armeen bei. Aber das kann ja noch kommen. Jedenfalls hat ihn der äthiopische Staatsmann und Reformer Abiy Ahmed voll verdient!