Aussendung der Solidarwerkstatt vom 19.2.2020:

Erinnern Sie sich noch? Die türkis-blaue Regierung versprach, dass die Zentralisierung der Gebietskrankenkassen zu einer einzigen Gesundheitskasse den Versicherten eine Milliarde an Kosten sparen würde – die sog "Patientenmilliarde". Herausgekommen ist, wovor viele gewarnt haben: das glatte Gegenteil. Die Kosten der Zentralisierung laufen aus dem Ruder. Statt plus eine Milliarde, minus 1,7 Milliarden bis 2024! Den Versicherten könnte das bald teuer zu stehen kommen. Die Solidarwerkstatt sagt: "Stopp dem unsäglichen Murks! Urabstimmung!"

Sozialminister Rudolf Anschober antwortet vor Kurzem auf eine parlamentarische Anfrage, dass die Fusionskosten bei der Gesundheitskasse alleine heuer ein Minus von 175,3 Millionen Euro ausmachen. Bis 2024 summiert sich das Minus gar auf 1,7 Milliarden Euro (sh. Tabelle). Vor der Reform im Jahr 2018 machten die einzelnen Gebietskrankenkassen noch ein Plus von 111 Millionen Euro.

"Sinnbefreite Zwangsfusion"

Der stellvertretende Obmann des Verwaltungsrats, des obersten ÖGK-Gremiums, Andreas Huss, erklärt: "Die Gebietskrankenkassen haben mit erstem Jänner 2020 Rücklagen in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro in die ÖGK eingebracht. Der ÖVP ist es gelungen, diese in ein prognostiziertes Minus von 1,7 Milliarden Euro zu verwandeln. Die Wirtschaftsfraktion gibt mit beiden Händen das Geld der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine völlig sinnbefreite Zwangsfusion aus." (OTS, 14.2.2020)

Der Gründe, warum die Gesundheitskasse ins Minus rutsch, sind vielfältig: horrende Beraterhonorare (alleine heuer über 8 Millionen), Neuinstallierung einer Zentrale und diverse Umstellungskosten (wir erinnern uns: alleine 400.000 Euro für ein neues Logo!), patientenferne Bürokratie, dazu die erhöhte Überweisungen an private Spitäler und die Austrocknung der Einnahmen durch die Senkung der AUVA-Beiträge für die Unternehmer, die an die Krankenkassen weitergereicht wurde uvm.

Es gab im Vorjahr so viele Warnungen von ExpertInnen, dass man ruhigen Gewissens davon sprechen kann, dass die Kurz-Strache-Regierung die Menschen offen betrogen hat, als sie ihnen eine "Patientenmilliarde" versprach, um diese SV-"Reform", die in Wahrheit eine riesige Enteignung ist, durchzuboxen.

"Größte Enteignung in der Geschichte Österreich"

Das Defizit in der Gesundheitskasse kann den Versicherten rasch teuer zu stehen kommen. Denn mit der neuinstallierten Mehrheit der Arbeitgeber-Vertreter auf Ebene des Dachverbandes, können nun leicht höhere Selbstbehalte beschlossen werden. Kernstück der türkis-blauen "Reform" war es bekanntlich, die ArbeitnehmerInnen in ihrer eigenen Gesundheitskasse zu entmündigen. AK OÖ-Präsident Johann Kalliauer und der OÖ GKK-Chef Albert Maringer bezeichneten das zur Recht als "die größte Enteignung in der Geschichte Österreichs". Die ArbeitnehmerInnen stellen in der Gesundheitskasse 100% der Versicherten, zahlen dort 100% der Beiträge (auch der Dienstgeber-Beitrag ist Lohnbestandteil!), haben aber seit dem Vorjahr nur mehr 50% der Stimmen. Auf Dachverbandsebene sogar nur mehr 40% der Stimmen, obwohl sie auf dieser Ebene rund 80% der Versicherten stellen. Ein historischer Einschnitt: Nicht einmal Kaiser und Austro-Faschisten wagten es davor, die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen in ihrer eigenen Sozialversicherung in Frage zu stellen.

Das hinter dem türkis-blauen Betrug stehende Interesse ist klar: Die Macht der Arbeitnehmer-Vertretungen zurückdrängen und die öffentlichen Gesundheitsleistungen zu verschlechtern, um die Geschäfte privater Gesundheitskonzerne sprudeln zu lassen. Nicht umsonst begrüßten sowohl Industriellenvereinigung als auch dieEU-Kommission, ein Turbomotor für die Privatisierung im Gesundheitsbereich, die türkis-blaue SV-"Reform".

Stopp dem unsäglichen Murks! Urabstimmung!

Als Solidarwerkstatt sind wir der Meinung: Der ganz offensichtliche Betrug der Kurz-Strache Regierung muss politische Folgen haben: Sofortiger Stopp dieses unsäglichen Murks, der die ArbeitnehmerInnen entmündigt und enorme Kosten verursacht, die letztlich die Versicherten zu bezahlen haben werden – durch Leistungskürzungen und/oder höhere Beiträge. Nur die Versicherten selbst können darüber entscheiden, ob sie solche einschneidenden Veränderungen haben wollen oder nicht – in einer Urabstimmung. Das alles wäre machbar,
wenn die Schwarzen bei den Türkisen endlich aufständen statt sich andauernd murrend zu fügen
wenn die Grünen den Ehrgeiz hätten zu beweisen, dass diese Regierung mehr ist als die bloße Fortsetzung der alten Regierung mit neuer Bemalung
wenn die Arbeitnehmer-VertreterInnen das machen würden, was sie im Vorjahr versäumt haben: sich mit aller Kraft gegen diese "größte Enteignung in der Geschichte Österreichs" zu wehren – und eine Urabstimmung unter den AK-Mitgliedern zu organisieren, nachdem die GKK-Gremien das im Vorjahr den Versicherten vorenthalten haben und die neue ÖGK das noch viel weniger tun wird.

Derzeit ist das alles nicht sehr wahrscheinlich, zu groß sind die gut dotierten Posten und Pöstchen, die Verfilzungen, Pfründe und Loyalitäten, die an die herrschende Politik ketten. Die Solidarwerkstatt war im Vorjahr – gemeinsam mit einigen BetriebsrätInnen und NGO-AktivistInnen – eine der ganz wenigen Organisationen, die die Forderung nach einer Urabstimmung überhaupt öffentlich erhoben und dafür nach Kräften mobilisiert haben (siehe LINK). Damit zeigt diese Auseinandersetzung einmal mehr, was wir brauchen, wenn wir nicht wollen, dass unsere Sozialversicherung, letztlich Sozialstaat und Demokratie Schritt für Schritt zerstört werden: Organisierte Selbstermächtigung von der Basis aus. Unerlässlich dafür ist die Bereitschaft, sich zu engagieren und sich zu organisieren – unabhängig vom Establishment und seinen Pfründen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Wir meinen, die Solidarwerkstatt ist eine ausgesprochen gute.

Gerald Oberansmayr
(Februar 2020)

Dossier "Sozialversicherung: Urabstimmung statt Enteignung!"
https://www.solidarwerkstatt.at/?view=article&id=2030:dossier-zur-sozialversicherung-urabstimmung-statt-enteignung-2&catid=97