USA: Gewaltige Implosion vernichtet Erdölindustrie

Natalja Dembinskaja am 28.5.2020 auf https://de.sputniknews.com/

Amerikanische Ölförderer sind tief gefallen: Die Zahl der Bohrlöcher, aus denen noch Erdöl sprudelt, ist in den USA so niedrig wie noch nie. Fracking-Firmen schlittern reihenweise in die Zahlungsunfähigkeit und stoppen den Betrieb. Um die amerikanische Fracking-Wirtschaft wiederaufzubauen, würden Jahre benötigt.

Bei der Erdölförderung gingen die USA letztes Jahr in Führung, vor Russland und Saudi-Arabien. Das Schieferöl hatte dazu beigetragen. 2019 wurden die Vereinigten Staaten erstmals seit 70 Jahren zum Netto-Exporteur von schwarzem Gold. "Die Fracking-Revolution hat die Ölpreise, die Industrie und die Handelsströme auf den Kopf gestellt", frohlockte damals Robert McNally, ehemaliger Energieberater von George Bush jr.

Eine abrupte Flaute beim Schieferöl sah man damals schon kommen: Die Förderrekorde mussten mit rasch versiegenden Bohrlöchern, enormen Ausgaben für die Infrastruktur und mangelnden Investitionen bezahlt werden. Mit dem Einsetzen der Probleme hatte man erst für 2021 gerechnet, aber dann schlug die Corona-Pandemie zu: Die Nachfrage nach Energierohstoffen brach weg und die Ölpreise brachen mit ihr ein. Die amerikanischen Fracker, hochverschuldet und investitionslos, traf es als Erste.

Gerade erst hat Baker Hughes - ein Dienstleister der Öl- und Gasförderer - mitgeteilt, die Zahl der noch aktiven Ölpumpen in den USA sei auf ein Minimum seit der Statistikführung geschrumpft: 318 Anlagen fördern noch, obwohl letztes Jahr 983 im Betrieb waren.

Minus ein Drittel der Fördermenge

Die USA verlieren ein Drittel der Gesamtförderung in der Schieferölwirtschaft, rechnet der Branchendienst ShaleProfile Analytics vor. Die Krise habe ein ohnehin großes Problem der Branche zusätzlich verschärft: Die schnelle Ausschöpfung der Quellen - ein Nebeneffekt der Fracking-Technologie. Bald nach der Bohrung fällt die Produktionsrate rapide ab; um die Produktionsausfälle auszugleichen, sind immerfort Bohrungen nötig. Aber im heutigen Marktumfeld ist das einfach unmöglich. Die Förderfirmen gehen reihenweise bankrott.

Die Anwaltskanzlei Haynes & Boone gibt an, seit Jahresanfang hätten 17 Fracking-Unternehmen mit einer Gesamtschuldenlast von 14 Milliarden Dollar die Insolvenz angemeldet. Darunter sind Branchenriesen wie Whiting Petroleum, California Resources und Chesapeake Enеrgy.

Kein Ausweg in Sichtweite

Laut einer Studie der Federal Reserve Bank of Dallas brauchen Ölproduzenten selbst im relativ günstigen Fördergebiet Permian in West-Texas einen Mindestpreis von 49 Dollar je Barrel Rohöl, um rentabel wirtschaften zu können. Einen Ölpreis von 40 Dollar je Fass überleben laut derselben Bank nur 15 Prozent der US-Fracker. Eine solide Preiserhöhung ist derweil nicht in Sicht: auf knapp über 30 Dollar je Barrel soll das amerikanische Öl in diesem, auf etwas über 40 Dollar im nächsten Jahr ansteigen.

Folglich könnte die Schieferölförderung in den USA laut Analysten auf unter fünf Millionen Barrel pro Tag sinken. Die 15 größten Fracker der Vereinigten Staaten haben ihre Investitionen in die Erschließung neuer Lagerstätten laut dem "Wall Street Journal" im Durchschnitt fast halbiert, um 48 Prozent. Die früheren Fördermengen wieder zu erreichen, ist unter den Einwirkungen der Pandemie-Krise freilich unmöglich: Bis die Schieferölproduzenten wieder auf dem Level von früher angekommen sind, werden "aller Wahrscheinlichkeit nach Jahre vergehen … wenn es überhaupt jemals dazu kommt", schreibt das Wirtschaftsblatt.

Die schwer erlangte Führung im Ölsektor droht also, den Amerikanern aus den Händen zu gleiten. Und sie haben "nicht so viele Instrumente", um den Verlust abzuwenden, sagen Fachleute. "Es ist so gut wie sicher: Amerika wird seinen ersten Platz in diesem Jahr verlieren", sagte Marktkenner Edward Bell von Emirates NBD Research dem Sender "CNBC". Es komme sogar schneller, "als wir alle erwarten".

"Die Coronavirus-Pandemie hat die Erdölwirtschaft vernichtet", heißt es bei "Bloomberg Intelligence". Zum raschen und präzedenzlosen Rückgang der Benzin-, Diesel- und Kerosinpreise komme der Preiskrieg zwischen Russland und Saudi-Arabien hinzu - und "die Riesenschulden in den Bilanzen amerikanischer Fracking-Firmen".

Als wäre das nicht genug: Die zahlungsunfähigen Fracker könnten eine leichte Beute für "Übernahmejäger" werden. Die Wirtschaft in China erholt sich und mit ihr erstarkt das Interesse der Chinesen an günstigen Werten im Ausland. Amerikanische Öllagerstätten haben sich im Wert - verglichen mit den Zeiten, als ein Barrel noch 60 Dollar kostete - mehr als halbiert: von 42.000 auf 20.000 Dollar.

Man fürchtet eine chinesische Wirtschaftsinvasion: "Die Aussicht, dass feindliche Länder die texanischen Schieferölfirmen übernehmen, die in Schwierigkeiten sind, ist ein ernstes Problem für die nationale Sicherheit", heißt es offiziell in Texas. Zwar würde die US-Regierung einen direkten Einstieg chinesischer Investoren bei den Frackern zu verhindern wissen. Aber die "Übernahmejäger" kennen Umwege, um zu ihrem Ziel zu kommen.