Gedanken zur Atombombe

Notizen 358

Vor einigen Tagen wurde wieder der Atombombenabwürfe über zwei japanischen Städten 1945 gedacht. Was war damals geschehen, warum haben die Amerikaner das getan, hatten sie ein Recht dazu?

Der Abwurf der beiden Atombomben auf zwei japanische Städte in der Endphase des Zweiten Weltkriegs hat unzähligen Menschen schreckliches Leid gebracht und zu weltweiten - aber vergeblichen - Protesten gegen Atomwaffen und deren Verwendung geführt. Zwar gab es seitdem keine weiteren Atombombeneinsätze, aber die Welt stand mehrere Male am Abgrund eines Atomkriegs, nicht zuletzt während der Kubakrise.

Nicht immer entspricht das, was wir allgemein zu wissen glauben, auch den Tatsachen. Wir fabrizieren Erzählungen, die sich zu Mythen auswachsen können, die jedenfalls die Wirklichkeit sehr vereinfacht (und oft nach dem Helden-Schurken-Muster gestaltet) präsentieren. Manchmal hilft ein Blick hinter die Kulissen, um die Dinge etwas anders sehen und beurteilen zu können. Hier nun einige der gängigen Vorstellungen, was damals geschah, und wie es wirklich war:

- Die USA entwickelten eine Atombombe aus Furcht vor den Nazis. Doch diese Furcht war unbegründet.

Heisenberg, der Chef des "Uranvereins", rühmte sich nach Kriegsende, den Bau einer deutschen Atombombe verhindert zu haben. Ob es sein moralischer Entschluss war oder seine Unfähigkeit, als typisch deutscher Professor ein kreatives Team zu leiten, bleibt unklar. Klar aber ist seit Öffnung diverser Archive in Moskau, dass die Nazis auch ohne Heisenberg an Kernwaffen arbeiteten. Eine Uran- oder Plutonium-Bombe hätten sie nicht mehr hingekriegt, wohl aber eine "schmutzige" Bombe, die, auf London abgeworfen, verheerende Folgen gehabt hätte. Also: Die Amerikaner hatten Recht, die Gefahr einer Nazi-Atombombe war damals durchaus ernst zu nehmen.

 - Die USA entwickelten die Bombe auf Grund eines Briefes von Einstein

Die Idee eines Briefs an den amerikanischen Präsidenten ging von Leo Szilard aus, einem alten Freund Einsteins. Szilard hatte selbst auf dem Gebiet der Kernspaltung gearbeitet und wusste um die Gefahren einer solchen Bombe. Da Szilard nicht bekannt war, Einstein aber schon, überredete Szilard seinen Freund, den Brief mit zu unterzeichnen, was dieser auch tat. Die Entwicklung der Atombombe aber geschah unabhängig von diesem Brief, denn Roosevelts Berater hatten schon früher auf die Möglichkeit und die Gefahr einer solchen Waffe hingewiesen.

- Der Abwurf einer Bombe zu Demonstrationszwecken hätte genügt.

Wäre das geschehen, hätten die Japaner gesagt: Die haben eh nur zwei davon, warten wir ab, was geschieht. So war es auch - die Amerikaner hatten nur noch eine weitere Bombe. Die Japaner ließen sich nicht durch reale militärische Aktionen einschüchtern, dann schon gar nicht durch eine Demo-Bombe.

- Die Japaner lagen sowieso am Boden, der Abwurf zweier Atombomben war überflüssig.

Der erste Teil des Satzes stimmt, aber das juckte das japanische Militär nicht, und die Bevölkerung hatte eh nichts zu sagen. Die Fakten: Die Schlacht um Okinawa im Juli 1945 und die Schlacht um Iwojima hatten den ungebrochenen Kampfeswillen der Japaner demonstriert. Die meisten Soldaten kämpften bis zum Tod. Bei der Eroberung Okinawas starben etwa 12.500 US-Soldaten; insgesamt waren bis dahin etwa 70.000 US-Soldaten im Pazifikkrieg gefallen. Die USA rechneten mit bis zu 300.000 weiteren eigenen Todesopfern. Die japanischen Generäle riefen ihre Soldaten auf, zu millionenfachem Selbstmord bereit zu sein, um die Invasoren „ins Meer zu treiben“. Laut Recherchen des Journalisten Bernstein propagierten japanische Führer die unbedingte Bereitschaft Japans, im Falle einer Invasion bis zu 20 Millionen (!) Leben zu opfern. Da wäre von Japan nicht viel übrig geblieben, und auch die Amerikaner hätten politische Probleme in der Heimat bekommen.

- Die Amerikaner hätten die Bewohner von Hiroshima und Nagasaki wenigstens warnen können.

Ein Grund für das Unterlassen einer konkreten Vorwarnung war die Annahme, die Japaner würden Kriegsgefangene als menschliche Schutzschilde in die gewarnten Städte verlegen.

 - Die Verstrahlung der Bevölkerung von Hiroshima und Nagasaki brachte unendliches Leid über die Menschen.

Wie wahr! Aber nicht nur durch die Amerikaner. Die Überlebenden der Atombomben werden in Japan als Hibakusha bezeichnet. Sie und ihre Kinder waren (und sind immer noch) Opfer von Diskriminierung, auch infolge mangelnden Wissens über die Strahlenkrankheit, von der viele Menschen glaubten, dass sie vererbbar oder sogar ansteckend sei. Nicht nur Hibakusha, sondern auch ihren Kindern, wurden Arbeitsplätze verweigert. So gab es viele unter ihnen, die es verheimlichten, Hibakusha zu sein. Erst ab 1968 erhielten die Überlebenden eine unentgeltliche ärztliche Betreuung. Die materielle Entschädigung bzw. Versorgung der Hibakusha ist auch heute noch unbefriedigend.

 Was wirklich geschah:

Die Amerikaner stellten den Japanern im Juli 1945 ein Ultimatum. Die japanischen Militärs reagierten nicht. Die Amerikaner warfen über Hiroshima eine Bombe, deren Zerstörungskraft alles Bisherige bei weitem übertraf. Die Japaner kämpften weiter, notfalls bis zum letzten Mann. Die Amerikaner warfen über Nagasaki eine Bombe, deren Zerstörungskraft alles Bisherige bei weitem übertraf. Die Japaner kämpften weiter, notfalls bis zum letzten Mann. Und so wäre es weiter gegangen, hätte nicht endlich der Kaiser das Wort ergriffen und das Ende der Kriegshandlungen erklärt.

Zugegeben: Das Ende der japanischen Kriegshandlungen kam nicht durch die Atombombenabwürfe, wie es meist dargestellt wird, sondern durch den Eintritt der Sowjetunion in den Krieg gegen Japan. Doch darauf konnten und wollten sich die Amerikaner nicht verlassen. Und der Abwurf der Atombomben war auch ein Signal an die Sowjetunion: Schaut her, was wir haben. Ihr habt das nicht - eine Fehleinschätzung, wie sich bald zeigte.

Was japanische und deutsche Militärs damals verband:

Im Hinblick auf die Einstellung - und  die Handlungen - der Militärs waren die Japaner den verbündeten Nazis ebenbürtig. Auch Hitler wollte bis zum letzten Mann kämpfen, und seine getreuen Anhänger taten alles, diesen Befehl umzusetzen. Als der "größte Feldherr aller Zeiten" sah, dass alles verloren ist, befahl er, das deutsche Volk selbst zu vernichten. Albert Speer widersetzte sich diesem Befehl. Wäre der Rüstungsminister so fanatisch gewesen wie die anderen Naziführer, gäbe es Deutschland heute vielleicht nur noch als niederländische Enklave,

Fazit: Waren die Atombombenabwürfe schrecklich? ja; unmoralisch? wahrscheinlich; unnötig? schwer zu sagen. Und wie stehen die Japaner heute zur Atomenergie? Die Gefahren der Bombe - offensichtlich. Die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie - unbedeutend?