Ungarische Fantasien

Am 26. August 2020 auf https://www.queer.de/ veröffentlicht

Orbán: "Christliches" Mitteleuropa muss sich gegen homofreundlichen Westen verbünden

Ausgerechnet bei einer Gedenkfeier zum Ersten Weltkrieg ruft der ungarische Autokrat ehemalige Bruderstaaten des Ostblocks dazu auf, gegen den Westen zusammen zu stehen, weil dieser Homosexualität, Einwanderung und Atheismus fördere.


Viktor Orbán bei einem Treffen der Europäischen Volkspartei, der auch CDU und CSU angehören. Die EVP hat die Mitgliedschaft der Fidesz-Partei des Autokraten inzwischen suspendiert (Bild:  European People's Party / flickr)

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat am vergangenen Donnerstag mitteleuropäische Nationen aufgerufen, sich gegen "den Westen" zu vereinigen. Im Rahmen der Einweihung eines Budapester Denkmals, das an den nach dem Ersten Weltkrieg geschlossenen Vertrag von Trianon aus dem Jahr 1920 erinnert, sagte der Nationalist laut ungarischer Medien: "Der Westen hat aufgegeben, an die Stärke der Nation und der Familie zu glauben." Westliche Staaten glaubten auch nicht mehr "an ein christliches Europa und experimentieren stattdessen mit einem gottlosen Kosmos, Regenbogenfamilien, der Migration und einer offenen Gesellschaft."

Der 57-Jährige rief mitteleuropäische Länder auf, eine Koalition zu schmieden und zur Neuordnung Europas beizutragen. Dabei sprach er ehemalige Ostblockstaaten an, die sich an der liberalen Demokratie reiben. Er gebe derzeit unter "polnischer Führung" eine einmalige Chance, dass Staaten von der Ostsee bis zum Balkan in diesen Fragen gemeinsam vorangehen könnten.

Bereits im Februar hatte Orbán in einem Offenen Brief an seine Kollegen der Europäischen Volkspartei (EVP) ein konservativeres Profil der Vereinigung gefordert und darin unter anderem beklagt: "Wir haben ein Familienmodell aufgegeben, das auf der Ehe einer Frau und eines Mannes basiert, und sind in die Arme der Genderideologie gefallen" (queer.de berichtete).

Ungarn hatte in den letzten Wochen durch die Einführung eines transfeindlichen Gesetzes für Aufregung gesorgt (queer.de berichtete). Dadurch verweigert der Staat trans- und intergeschlechtlichen Menschen die rechtliche Anerkennung.

Auch ansonsten gilt die Orbán-Regierung als ausgesprochen LGBTI-feindlich. So boxte der Minsterpräsident 2012 und 2013 weitegehende Verfassungsänderungen durch, wonach Schwule und Lesben kein Recht auf Eheschließung haben und Regenbogenfamilien nicht als Familien anerkannt werden (queer.de berichtete). 2017 hatte Orbán persönlich den "Welt-Kongress der Familien", das jährliche Treffen von anti-homosexuellen und anti-transsexuellen Aktivisten aus aller Welt, in Budapest eröffnet. 2018 ließ er per Erlass das Studienfach "Gender Studies" verbieten, um die "christliche Familie" zu schützen (queer.de berichtete).

Zudem sichert sich der seit zehn Jahren ununterbrochen regierende Orbán auch immer mehr Macht zu, indem er die Macht der Opposition, die Justiz und die Medien beschneidet. Orbán hatte bereits 2014 gesagt, dass er sein Land in eine sogenannte "illiberale Demokratie" umwandeln möchte – also in ein Land ohne Gewaltenteilung und mit eingeschränkten politischen Freiheiten für Regimekritiker. (dk)