Skepsis in Zeiten der Wissenschaftsfeindlichkeit

Von Inge Hüsgen am 15. 9. 2021 auf https://hpd.de/

Sie erproben Strategien im Umgang mit Wissenschaftsleugnern, erforschen durch Netzwerkanalyse den verhängnisvollen Weg vom Esoterik-Fan zum Verschwörungsgläubigen oder nehmen eine seltsame Homöopathiestudie auseinander: Skeptische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten stellten auf der Konferenz der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) "SkepKon" am vergangenen Wochenende ihre Themen vor.

Zum ersten Mal fand die größte deutschsprachige Jahreskonferenz für skeptisches Denken online statt; rund 400 Teilnehmende verfolgten die Vorträge live am Bildschirm und nutzten die Gelegenheit zum Mitdiskutieren.
Welche Tücken der Umgang mit Vertretern irrationaler Überzeugungssysteme mit sich bringt und wie gute Wissenschaftskommunikation dennoch gelingen kann, fasste bereits der erste Vortrag des Psychologen Dr. Philipp Schmid von der Uni Erfurt wie unter einem Brennglas zusammen. Schmid widmet sich in seinen Forschungen vor allem den Auswirkungen von Falschinformationen auf individuelle Entscheidungen – ein Thema, das angesichts des schleppenden Fortschritts bei der Covid-Impfung erhöhtes Interesse erfährt. Als Co-Autor eines WHO-Ratgebers hat er Strategien zusammengestellt, die den Einfluss von Impfgegnern in Debatten verringern können. Ursprünglich für Gesundheitsbehörden konzipiert, gibt die Veröffentlichung nützliche Tipps für jede und jeden. Die Effizienz dieser Methoden wurde in einer Studie empirisch untersucht. Am Beispiel einer fiktiven Impfgegner-Äußerung zeigte sich, dass Wissenschaftsleugner die Einstellung des Publikums negativ beeinflussen, vor allem wenn ihre Behauptungen unwidersprochen bleiben. Doch Mitdiskutierende können den Schaden verringern, indem sie Falschaussagen faktenbasiert widerlegen oder die rhetorischen Tricks der Leugner entlarven.

Was Wissenschaftsleugnung anrichten kann, zeigte anschließend die Kriminalpsychologin Lydia Benecke anhand von einigen aufsehenerregenden Fällen von manipulativen Persönlichkeiten, die medienwirksam pseudomedizinische Behauptungen verbreiteten. Ähnliche Fälle sowie die psychologischen Hintergründe schildert sie in ihrem demnächst erscheinenden Buch "Betrüger, Hochstapler, Blender".
Die zweite Session widmete sich mit Klimaforschung und Klimakommunikation einem Themenfeld von existenzieller Relevanz für unsere Zukunft. Der menschengemachte Klimawandel ist unleugbar, die Gefahren treten immer deutlicher zutage. "There is no planet B", fasste der Astronom Dr. Leonard Burtscher die Situation zusammen; unter den unzähligen bekannten Himmelskörpern kennen wir keine zweite Erde. Sollte die Politik also einfach "auf die Wissenschaft hören", wie es in der Klimabewegung oft gefordert wird? Dass es so einfach nicht ist, legte der renommierte Klimaforscher Prof. Hans von Storch anschließend dar. Denn in der politischen Willensbildung stehen sich, anders als in der Wissenschaft, widerstreitende soziale Interessen gegenüber. Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen lassen sich äußerst unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen, darauf wies der dritte Referent des Panels Dr. Nikil Mukerji hin. Der Philosoph plädierte, wie schon in der Covid-Krise, für eine vernünftige Risikoeinschätzung.

Superfood und böse E-Nummern
Einen weiteren Schwerpunkt der SkepKon bildete das weite Feld der Pseudomedizin. Konkret ging es zum einen darum, wie verzerrt viele VerbraucherInnen den gesundheitlichen Wert bestimmter Produkte einschätzen. So führte die Biochemikerin Dr. Petra Schling gute Gründe dafür an, vom romantischen Generalvertrauen in die positiven Kräfte pflanzlicher Mittel abzulassen. Dem "Superfood" Cucurmin etwa werden alle möglichen positiven Effekte nachgesagt, ohne dass es dafür stichhaltige Belege gebe. "Keine Heilwirkung – nicht bei Gelenkbeschwerden und auch nicht bei Krebs", resümierte Schling.
Mit einem fälschlich schlechten Image seien dagegen Zusatzstoffe mit E-Nummern belegt, stellte die Biologin Sabine Breiholz als weitere Referentin fest. Obwohl es sich bei der Kennzeichnung um einen Nachweis der Sicherheit handelt – der Stoff wurde geprüft und entspricht EU-weit verbindlichen Reinheitsanforderungen – nähmen viele VerbraucherInnen sie fälschlich als Warnsignal wahr.
Leider wird es Laien bei vielen Produkten nicht gerade einfach gemacht, Informationen über deren Gesundheitswert zu verstehen. Wer durchblickt schon die Werbeprosa, mit der Homöopathie, Nahrungsergänzungsmittel und anderes auf den Markt gepusht werden? Wer kennt die feinen Unterschiede in den rechtlichen Bestimmungen zur Werbung für Lebensmittel, Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel?
Dies ist das Metier der Pharmazeutin Dr. Iris Hinneburg, die dem Publikum als Redakteurin der Zeitschrift Gute Pillen – schlechte Pillen einen Wegweiser durch diesen Phrasendschungel lieferte.

Über den Placeboeffekt hinaus?
Von Studien in Fachjournalen lassen sich nicht nur Laien beeindrucken. Dass auch dies kein verlässliches Qualitätsmerkmal darstellt, weiß der renommierte Alternativmedizin-Kenner Prof. Edzard Ernst nach einer Untersuchung der Publikationspolitik von einschlägigen Zeitschriften. Das Gros der dort veröffentlichten Studien attestiert den untersuchten Methoden eine hohe Wirksamkeit – obgleich die Verfahren auf wenig plausiblen Konzepten fußen. Handelt es sich also doch um hochwirksame Methoden? Oder begehen Forschende und Redaktionen vorsätzliche Trickserei? Weder das eine noch das andere, vermutet Ernst. Der wahrscheinlichste Grund sei wohl, dass alternativmedizinische Forscher eher an der Bestätigung ihrer Hypothesen interessiert sind als an deren Überprüfung.
Bei einer speziellen Studie dürfen wir allerdings auf die Überprüfung gespannt sein. Die Forschenden wollen gezeigt haben, dass Homöopathie plus herkömmliche Therapie bei einer bestimmten Form von Lungenkrebs die Überlebenszeit und die Lebensqualität der Patienten deutlich erhöht – das wäre eine Sensation. Auf den ersten Blick scheint die Studie hohen Qualitätsstandards zu genügen: Sie ist im Register "Clinical Trials" verzeichnet, wurde verblindet und randomisiert und erschien im renommierten Journal Oncologist, dessen Beiträge vor Veröffentlichung ein Gutachterverfahren durchlaufen.
Aber halt! Dr. Norbert Aust vom Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) hat den Fall gemeinsam mit KollegInnen vom INH und der Initiative für Wissenschaftlich Medizin (IWM) in Wien untersucht. Dabei entdeckten sie Auffälligkeiten, wie sie durch Änderungen bedeutender Parameter und Streichung unerwünschter Daten während des Studienverlaufs auftreten. Ein Beispiel: Wenn etwa ein Patient mit einer zusätzlichen Nierenerkrankung während der Studie verstirbt und rückwirkend alle Nierenkranken aus der Probandengruppe herausgestrichen werden, beeinflusst dies das Studienergebnis positiv. Entfernt man in ähnlicher Weise aus der Placebogruppe diejenigen Teilnehmenden mit sehr gutem Verlauf, verschlechtert sich deren Ergebnis, und die Homöopathie-Gabe erscheint im Vergleich wirksamer. Insgesamt kommt Aust zu dem Schluss, dass die Ergebnisse "in Richtung 'pro Homöopathie' verzerrt" seien. Nur findet sich nirgendwo in der Studie ein Hinweis auf derartige Änderungen. Was ist da geschehen? Inzwischen habe die MedUni Wien die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) eingeschaltet, deren Kommission Untersuchungen hinsichtlich wissenschaftlichen Fehlverhaltens eingeleitet habe, berichtete Norbert Aust. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Zauber, Geister und Verschwörer
Weitere Beiträge der Konferenz richteten die Aufmerksamkeit auf den Glauben an Irrationales. So gewährte der Historiker Mirko Gutjahr einen aufschlussreichen historischen Einblick in die Rolle des Protestantismus bei der Entwicklung des modernen Geisterglaubens und die Kognitionspsychologin Prof. Christine Mohr stellte eine eigene Studie vor, in der es gelang, Menschen durch den Auftritt von Zauberkünstlern von scheinbar paranormalen Phänomenen zu überzeugen. Der immense "Erfolg" dieser Täuschung war für die Forschenden "ein bisschen erschütternd", wie Mohr es formulierte. Als entscheidender Faktor erwies sich das eigene Erleben der Teilnehmenden. Wer das "Phänomen" mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatte, war überzeugt und emotional ergriffen. Ungleich schwieriger sei es, Menschen zur kritischen Überprüfung der eigenen Wahrnehmung zu bewegen, resümierte die Forscherin. In ihrem Versuch habe sich Debunking à la "Stimmt gar nicht!" als völlig wirkungslos erwiesen. Sinnvoller sei es, die oft starken Emotionen des Gegenübers zu berücksichtigen und eine Alternativerklärung anzubieten.
Wer nun schulterzuckend einwendet, so ein bisschen Geisterglaube schade doch nicht, den belehren die Untersuchungen von Nora Pösl eines Besseren. Die Sozialwissenschaftlerin befasst sich seit längerem mit dem Verhältnis von "alternativen Heilmethoden" zu Verschwörungstheorien, Esoterik und rechten Ideologien und forscht hierzu auch im Rahmen ihrer Promotion. In ihrem Vortrag gewährte Pösl einen Einblick in die bisherigen Ergebnisse, die sie mit Hilfe von Feldforschung und Netzwerkanalysen erbracht hat. Und die sind angesichts der breiten Akzeptanz von Globuli & Co. äußerst beunruhigend: Demnach kann der Glaube an irrationale Heilverfahren den Weg in Filterblasen fördern, wo Verschwörungsmythen grassieren. Als Ausgangspunkt für diese fatale Entwicklung hat Pösl die Wissenschaftsfeindlichkeit identifiziert, die viele esoterikaffine Personen auszeichnet. Hierauf bauen alternative Heilmethoden auf, zumal deren Anhänger sich häufig als Opfer einer Verschwörung "der Schulmedizin" stilisieren. In den Filterblasen der Sozialen Netzwerke erfahren solche Überzeugungen weitere Bestätigung. Da viele Verschwörungstheorien, aber auch Anthroposophie und andere esoterische Konzepte, inhärent mit Antisemitismus und Rassismus verbunden seien, sieht Nora Pösl ein realistisches Risiko, über Homöopathie oder Impfskepsis an esoterisch-verschwörungtheoretische und rechtsideologische Inhalte zu gelangen.

Bleibt die drängende Frage, wie wir mit dieser verhängnisvollen Dynamik umgehen sollten. Hier sieht die Referentin die Bildungspolitik in der Pflicht. Sie plädiert dafür, die Grundlagen der Wissenschaft, etwa das Falsifikationsprinzip, in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen!