KURIER am 24.3.2010:
Katholiken verlieren das Vertrauen. Die Umfragewerte
von Benedikt XVI. sind nach dem Missbrauchsskandal in Deutschland im Keller.
Beim jüngsten Angelus-Gebet am Petersplatz riet Papst Benedikt XVI.
den Gläubigen, "nicht vorschnell über andere zu urteilen". Wenn seine
Worte als Aufforderung an die Schäfchen daheim gedacht waren, so fanden sie
kein Gehör.
Laut einer im Auftrag des Magazins Stern durchgeführten
Forsa-Umfrage befinden sich die Vertrauenswerte des Papstes im freien Fall.
Demnach vertrauen nur noch 17 Prozent der Deutschen der Kirche und 24 Prozent
dem Pontifex. Ende Jänner, als die ersten Missbrauchsfälle in Berlin bekannt
geworden waren, hatten laut Forsa noch 29 Prozent der Deutschen ungebrochenes
Vertrauen in die Kirche, 38 Prozent glaubten damals noch fest an den Heiligen
Vater.
Unter den Katholiken vertraut nur noch eine Minderheit auf den Papst.
Von Ende Jänner bis Mitte März sank die Quote von 62 auf 39 Prozent, der Kirche
schenken nur noch 34 Prozent Vertrauen, im Vergleich zu 56 Prozent zu Jahresbeginn.
Die Umfrage wurde zwischen 17. und 19. März unter 1500 Deutschen durchgeführt,
kurz vor Veröffentlichung des Hirtenbriefs. Für den Psychotherapeuten Manfred
Deiser von der Kriminalitätsopferhilfe "Weißer Ring Tirol" sind die
schlechten Umfragewerte des Papstes eine Folge der "Doppelmoral in der
katholischen Kirche".
Enthüllungen
Fast täglich gibt es neue Enthüllungen und Entschuldigungsnoten
kirchlicher Würdenträger. So gab der Münchner Kardinal Friedrich Wetter Fehler
im Umgang mit einem Priester zu, der Kinder sexuell missbraucht hatte. In seiner
Amtszeit als Erzbischof wurde der einschlägig verurteilte Geistliche 1986 erneut
in der Pfarrseelsorge eingesetzt. Ob es danach weitere Übergriffe gegeben hat,
teilte das Erzbistum nicht mit. Laut dem Münchner Merkur sollen aber
neue Vorwürfe von Kindermissbrauch durch den Pfarrer bekannt geworden sein.
Am
Mittwoch beschloss die deutsche Bundesregierung ein Konzept zur Aufarbeitung
und Vorbeugung von sexuellem Missbrauch. Es besteht aus zwei Bausteinen: Die
frühere SPD-Familienministerin Christine Bergmann ist die neue Missbrauchs-Beauftragte.
Zudem wird ein ressortübergreifender "Runder Tisch" eingesetzt, um
die bekannten Fälle aufzurollen. Die erste Sitzung ist am 23. April.
Ruf nach staatlicher Kommission
Fünfzig Betroffene kirchlicher
Gewalt riefen am ersten Tag bei der neuen Opfer-Hotline (0699/10 369 369) einer
Privatinitiative an. Die Mehrzahl der Anrufe dreht sich um Gewaltexzesse in
den sechziger Jahren, aber auch um Übergriffe aus jüngster Vergangenheit, sagte
Hotline-Sprecher Philipp Schwärzler dem KURIER. Ein Engagement des Staates in
der Beratung und bei der Aufarbeitung würde der Psychotherapeut begrüßen: "Wir
kommen nicht hinterher."
Justizministerin Claudia Bandion-Ortner
lädt am 13. April zu einem "Runden Tisch" über Kindesmissbrauch
- mit Vertretern von Kirche, Polizei, Justiz, Ärzteschaft und Schulen. Die Diözese
Wien signalisierte Kooperationswillen. In der Diözese Gurk-Klagenfurt ist man
weiter, dort werden Missbrauchsfälle ab nun umgehend der Justiz übergeben, teilte
Diözesanbischof Alois Schwarz via Hirtenbrief mit. Den Opfern gehe es nicht
um die Höhe des Schmerzensgeldes, sondern "darum, dass man ihnen glaubt",
sagte Psychotherapeut Deiser.