Wie heilt man Kirchenkrisen?

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 23.8.2010:

(..) (Die katholische) Kirche steht nicht allein wegen der Missbrauchsfälle derart in der öffentlichen Kritik. Es werden nicht allein deswegen dieses Jahr 200.000, vielleicht sogar mehr als 300.000 Menschen aus der Kirche austreten. Die Leute treten nicht aus, weil Kirchenmitarbeiter Verbrechen begangen haben. Sie gehen, weil ihnen die gesamte Institution unglaubwürdig geworden ist und der Skandal den letzten Anstoß zum Austritt gegeben hat.

Die Kirche hätte auch jetzt den Menschen viel zu sagen - sie suchen ja nach jemandem, der über Sinn und Glauben und die existentiellen Dinge des Lebens redet. Stattdessen verdunstet die Glaubwürdigkeit der größten Institution des Landes wie im Aralsee zwischen Kasachstan und Usbekistan das Wasser. Selbst ein guter Teil der Kirchenmitglieder glaubt nicht mehr an die Lehre von der Auferstehung der Toten, dass Jesus also leibhaftig vom Tod erstand - und weiß nicht mehr, ob es nun sieben oder zehn Gebote gibt.

(Im Folgenden verlangt der Artikelautor Matthias Drobinski, die katholische Kirche sollte ihre Probleme offen und kritisch diskutieren - zur Ehe, zur Sexualität, zur Sterbehilfe etc. - und in der Folge vielleicht ein Konzil einberufen. Er schließt seinen Artikel mit:) Die Bischöfe haben, eine gute Woche vor ihrer Würzburger Versammlung, Michael Broch zum Rücktritt von seinem Amt als geistlicher Direktor der katholischen Journalistenausbildung gedrängt, weil der ein papstkritisches Interview gegeben hat. Es ist das Gegenteil der "obligation to dissent": die Reihen schließen, Kritiker zu Feinden erklären und ausschließen. Die Krise der katholischen Kirche geht weiter.

Atheistischer Kommentar:

Die Ratschläge sind sicherlich nicht zielführend, sie brächten keinen Nutzen. Denn wenn auch die katholische Kirche all ihre bekannten und berüchtigten Seltsamkeiten ablegen täte, die o.a. Sachlage "selbst ein guter Teil der Kirchenmitglieder glaubt nicht mehr an die Lehre von der Auferstehung der Toten, dass Jesus also leibhaftig vom Tod erstand", würde das nicht ändern. Es ist zunehmend das Programm selber, das beim Publikum durchfällt, nicht die Darbietung. Eine Liberalisierung würde zu Verhältnissen wie bei den Protestanten führen, die Protestanten haben jedoch noch mehr Austritte als die Katholiken. Eine solche Reform würde keine neuen Gläubigen bringen, aber die Glaubenseifrigen zu strengkatholischen Sekten wie den Piusbrüdern treiben.

Zwei- bis dreihunderttausend Austritte im Jahre 2010 wäre zudem ein Lercherlschas. In Österreich rechnet die katholische Kirche, dass 2010 von 5,5 Millionen bis zu 80.000 austreten könnten. In der BRD gibt es knapp 25 Millionen Katholiken, also wären 80.000 in Österreich 360.000 in Deutschland, selbst die 53.216 österreichischen Austritte im Jahre 2009 ergäben in der BRD 240.000 (voriges Jahr waren es dort magere 123.681). Als Atheist muss man dem Handeln der katholischen Kirche zustimmen: Es ist viel vernünftiger, "die Reihen schließen, Kritiker zu Feinden erklären und ausschließen", die Krise wird ausgesessen, anders geht es gar nicht, ohne noch mehr Schaden zu stiften.

Aber: Ist es nicht schön, dass die größte Kirche der Welt in einer so unheilvollen Lage steckt?

PS: Auf kath.net versucht sich ein besonders strenggläubiger Theologe am 25.8. als Problemlöser: Nur die Belebung der Beichte kann die Kirche erneuern - lest Euch das durch, soviel religionszentrierte Einfalt ist höchst unterhaltsam ...