Zu wenige Islammitglieder?

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) hat seit 22. Oktober 2009 eine neue Verfassung, die vom für Religionen zuständigen staatlichen Kultusamt genehmigt wurde. In dieser Verfassung ist festgeschrieben, dass sich Muslime als Mitglieder registrieren sollen/müssen. Allerdings sind die entsprechenden Artikel eigenartig formuliert:
Artikel 1

(1) Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ist die staatlich anerkannte Religionsgesellschaft der Anhänger des Islams (§ 1 Islam VO 1988), die in der Republik Österreich ihren Wohnsitz oder ihren Aufenthalt haben.
(2) Ihr Zuständigkeitsbereich erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der Republik Österreich.
(3) In regionaler Hinsicht gliedert sich die IGGiÖ in die einzelnen Islamischen Religionsgemeinden (IRGn). Diese sind untrennbarer und integraler Bestandteil der IGGiÖ.
(4) Die Mitgliedschaft in einer IRG begründet die gleichzeitige Mitgliedschaft in der IGGiÖ.
(5) Der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gehören alle Muslime/innen (ohne Unterschied des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Rechtsschule und der Nationalität) an, welche in der Republik Österreich ihren Hauptwohnsitz haben.
Artikel 2 - Die Aufnahme in die IGGiÖ:
(1) Kleinkinder (0-12 Jahre) werden in den Islam bzw. in die IGGiÖ aufgenommen durch Willensäußerung und Entscheidung der Eltern oder der Erziehungsberechtigten. Bei Kindern zwischen 12 und 14 Jahren bedarf es noch die eigene freie Zustimmung des Betroffenen. Bei der Feststellung der religiösen Zugehörigkeit von unmündigen Kindern finden die Bestimmungen des ABGB und des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung strikte Anwendung.
(2) Andere Personen werden durch Ablegung des islamischen Glaubensbekenntnisses in Gegenwart zweier muslimischer Zeugen durch den zuständigen Imam aufgenommen.
(3) Ab Vollendung des 14. Lebensjahrs muss die betroffene Person über ihre eigene Aufnahme in den Islam entscheiden. Die Aufnahme in den Islam von Kindern (0-14 Jahre) muss von der zuständigen islamischen Religionsgemeinde registriert werden. Die Registrierung darf nicht verweigert werden.
(4) Nach Vollendung des 14. Lebensjahres kann die Aufnahme von Konvertierten in den Islam und in der Folge die Registrierung dieser Aufnahme nach reiflicher Überprüfung durch den ersten Imam der zuständigen islamischen Religionsgemeinde von der Religionsgemeinde verweigert werden.
(5) Der Nachweis der Zugehörigkeit zum Islam erfolgt durch die Bestätigung des zuständigen ersten Imams aus dem Registerbuch der Islamischen Religionsgemeinde.

Der Absatz 5 des Artikel 1 steht im Widerspruch zum Absatz 4 und zum Artikel 2, weil der Absatz 5 aussagt, alle Muslime, die in Österreich den Hauptwohnsitz haben, gehörten der IGGiÖ an, während im Absatz 4 von einer Begründung der Mitgliedschaft durch die Zugehörigkeit in einer regionalen Religionsgemeinde die Rede ist und im Artikel 2 die Beschreibung des formalen Aufnahmevorganges steht. Wenn Artikel 1 (5) sowieso jeden Muslimen in Österreich als IGGiÖ-Angehörigen definiert, wozu braucht es dann Beitritte?

IGGiÖ-Obmann Anas Shakfeh hat anlässlich der Verlautbarung der neuen IGGiÖ-Verfassung gesagt, er erwarte, dass sich hunderttausende Muslime als Mitglieder registrieren lassen. Anscheinend hat das nicht so funktioniert, wie es erwartet wurde. Am 3. Oktober war ein Artikel in der Kronen Zeitung zu lesen, der "Keilaktionen" in den Schulen kritisierte (siehe Info Nr. 298), im Profil Nr. 43 vom 24. 10. war zu lesen:


Es muss jedoch entschieden angezweifelt werden, dass die IGGiÖ berechtigt ist, für "alle Muslime in Österreich" zu sprechen. Denn der o.a. Absatz 5 des Artikel 1 kann in dieser Form rechtlich keine Geltung haben. Das wäre dasselbe, als ob der österreichische Freidenkerbund oder sonst ein Verein von Ungläubigen in seine Statuten schriebe "dem Freidenkerbund Österreichs gehören alle Konfessionslosen an, welche in der Republik Österreich ihren Hauptwohnsitz haben". Dann spräche der Freidenkerbund auch plötzlich statt für ein paar hundert registrierte Mitglieder für ca. 1,8 Millionen Religionslose. Offenbar maßt sich zurzeit jedoch die IGGiÖ an, mit ein paar hundert oder ein paar tausend Mitgliedern für 500.000 Muslime in Österreich zu sprechen!

Man kann also gespannt sein, wieviele Wahlberechtigte die IGGiÖ 2011 aufweisen wird. Weil es kann nicht sein, dass diese Glaubensgemeinschaft für jeden in Österreich Lebenden zu sprechen berechtigt ist, der aus einer muslimischen Familie stammt. Alle mit muslimischem Background, die sich nicht bei der IGGiÖ oder einer ihrer regionalen Gemeinden registrieren lassen, sind doch wohl nach österreichischem Recht genauso konfessionslos, wie Leute, die aus einer Kirche ausgetreten oder in keiner als Mitglied registriert sind!

Offiziell ist ein Muslim, wer der staatlich anerkannten Islamischen Glaubensgemeinschaft angehört! Anders wird das nicht sein können! Dann gibt es in Österreich eben nicht 500.000 Muslime, sondern soviele wie sich in der IGGiÖ einschreiben haben lassen. Wer sich als Muslim sieht, dies jedoch nicht tut, ist offiziell genauso konfessionslos wie Mitglieder in einer staatlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaft!