Auch in Deutschland und Österreich wird von Kirchenvertretern immer wieder
die Forderung zur Diskussion gestellt, Kirchenbeitrag oder Kirchensteuer durch
eine "Kultursteuer" oder "Mandatssteuer" zu ersetzen, die allerdings nicht nur Kirchenmitglieder,
sondern alle Steuerpflichtigen zahlen müssten und diese dann den Kirchen oder
anderen Einrichtungen zuwidmen könnten. Der Grund dafür ist klar: Kirchenaustritte brächten
keine Vorteile mehr, eine "Kultursteuer" brächte Nachteile für Konfessionsfreie.
Zurzeit
läuft diese Diskussion auch in der Schweiz, dort hebt - wie in Deutschland -
der Staat die Kirchensteuer direkt bei den Steuerpflichtigen ein. Hierzu hier
das "Wort zum Freitag":
Der Co-Präsident der Freidenker Ostschweiz, Daniel Stricker, fordert eine strikte Trennung von Kirche und Staat, was natürlich auch die ersatzlose Streichung der Kirchensteuer beinhaltet. Denn von einem gelassen-aufgeklärten Standpunkt aus mutet es geradezu bizarr an, dass die direktdemokratische Schweiz für eine fremde Diktatur das Inkasso macht.
Die Rede des Videos im Wortlaut:
"Generalvikar Martin Grichting hat dem Sonntagsblick mitgeteilt, dass
er die Kirchensteuer abschaffen will.
Das tönt im ersten Moment nach einer netten Idee. Doch Freidenker haben von
den Trojanern gelernt und sind entsprechend skeptisch. Nicht erst seit dem Ablasshandel
sind die Kirchen sind für ihre Innovationskraft in Sachen Mittelbeschaffung
bekannt. Und genau diese milliardenschwere Institution will plötzlich freiwillig
auf Geld verzichten? Schnell zeigt sich: Weder tut sie das freiwillig, noch
verzichtet sie auf Geld. Im Gegenteil.
Tatsache ist: den Amtskirchen laufen die Mitglieder davon. Immer mehr Menschen,
die in eine Amtskirche hineingeboren wurden, genügt es nicht mehr, dass ihre
Kirche sich auf Gott beruft, sondern sie erwarten einen echten Gegenwert. und
diesen Gegenwert können immer weniger Menschen erkennen. Stattdessen sind die
faulen Früchte unverkennbar: Kindsmissbrauch, Diskriminierung von Schwulen,
Unterdrückung der Frauen, Rückwärtsgewandtheit. Das gipfelt in der Anmaßung,
immer alles besser zu wissen und den Menschen bis ins Schlafzimmer hinein Verbote
aufzuerlegen.
Der Mitgliederschwund dauert seit Jahrzehnten an und scheint unumkehrbar.
Die Kirchen sind die Zigarettenindustrie von morgen.
Und genau wie die Zigarettenindustrie agieren auch die Kirchen aggressiv
um ihre Einnahmen zu sichern. Doch die Kirchen beseitigen die ihr immanenten
Missstände genauso wenig wie die Zigarettenindustrie angefangen hätte, gesunde
Zigaretten zu produzieren. Nein, genau wie Tabakfirmen setzt die Kirche auf
geschicktes Subtext-Marketing und offensives Lobbying.
So verbreiten sie den Mythos, dass die Amtskirchen quasi gratis Gutes tun.
Doch unter dem Strich ist dies gleich doppelt falsch. Erstens lässt sich die
Kirche ihre Taten königlich - oder sollte ich sagen päpstlich - vergüten und
zweitens sind diese kirchlichen Taten in der Summe von zumindest zweifelhafter
Güte. Wussten Sie, dass die katholische Kirche nur zwei Prozent der Caritas
finanziert? Der Rest kommt aus Staats- und Privatspenden.
Natürlich braucht die Schweiz ein funktionierendes Allgemeinwesen. Wir brauchen
die Sozialdienste, die Schulen, Altersheime und Spitäler.
Doch dazu braucht es die Kirchen nicht. Der Schweizer Staat funktioniert
auch ohne Kirche. Es ist nicht nur unnötig, sondern, nüchtern betrachtet, ist
es einfach nur bizarr, dass die Schweiz das Inkasso macht für eine fremde Diktatur.
Wären wir einverstanden, wenn die Schweiz für Weißrussland Steuern eintreiben
würde? Natürlich nicht. Aber warum akzeptieren wir das bei der Kirche?
An dieser Stelle wird oftmals argumentiert: Weil die Kirche die christlichen
Werte verteidigt! Doch dieser Satz birgt ein tiefes und weit verbreitetes Missverständnis.
Historisch betrachtet bestehen die sogenannt christlichen Werte zu weiten Teilen
aus Diskriminierungen. Aus Kreuzzügen, Hexenverbrennungen, Wissenschaftsfeindlichkeit
und Vetternwirtschaft. Das alles ist definitiv nicht Wert, verteidigt zu werden.
Wer heute von christlichen Werten spricht, meint in Wahrheit die humanistischen
Werte. Sklavenbefreiung, die Emanzipation der Frau, der noch immer anhaltende
Kampf gegen die Diskriminierung von Schwulen, die Gewaltentrennung, die Menschenrechte,
der Ausgleich der Startchancen: das alles sind humanistische Errungenschaften,
die in mühsamem Dauerstreit den christlichen Kirchen abgerungen wurden. Auch
dass ich diese Sätze sagen kann, ohne Gefahr zu laufen, angezündet zu werden,
verdanke ich nicht den Kirchen und den "christlichen" Werten, die
sie zu vertreten behaupten, sondern den mutigen Aufklärern, die sich lange vor
mir für die heute selbstverständliche Rede- und Meinungsfreiheit einsetzten.
Ja, sogar die Religionsfreiheit haben wir natürlich nicht den Kirchen sondern
den Aufklärern und Humanisten zu verdanken.
Der Vatikan ist nebst Weißrussland der einzige europäische Staat, der die
Menschenrechtskonvention bis heute nicht unterschrieben hat.
Nein, die Schweiz braucht keine Kirchensteuer. Sie braucht auch keine Mandatssteuer.
Die Schweiz braucht gesunde Sozialwerke. Die Schweiz hat die Kraft, von sich
aus für das Wohl seiner Bürger und Gäste zu sorgen. Die Schweizer sind auch
ohne Zwang großzügig. Immer neue Spendenrekorde sind ein Beleg dafür.
Die Behauptung, dass die Schweiz ohne Amtskirchen moralisch degenerieren
würde, ist einfach nur eine oft wiederholte Behauptung. Die Zigarettenindustrie
hat auch lange behauptet, rauchen schade nicht, sei sogar gesund. Und diese
Strategie hat sogar recht lange funktioniert. Doch irgendwann hat die Vernunft
Oberhand gewonnen und die wissenschaftlichen Fakten wurden nicht mehr ignoriert.
Die Amtskirchen stehen vor einer ähnlichen Herausforderung. Die geforderte Mandatssteuer
ist ein geschickter Taschenspielertrick um die eigentlichen Probleme nicht angehen
zu müssen.
Doch selbst nach einer Kirchensteuerabschaffung würden die Kirchen nicht
einfach verschwinden. Ihre Basis ist stark genug, dass sie problemlos auch ohne
das Bundesinkasso überleben werden. Und das ist auch gut so. Jeder soll selber
entscheiden, nach welcher Facon er glücklich werden will. Denn, so finden wir
Freidenker, Religion ist Privatsache. Und anders als viele religiöse Gruppierungen
reden wir den Menschen nicht ins Privatleben hinein.
Wir Freidenker wollen von den Gotteskennern einfach endlich in Ruhe gelassen
werden und werden dafür paradoxerweise als Unruhestifter verunglimpft.
Doch ich bin optimistisch: Denn seit bald dreihundert Jahren tickt die Zeit
für den Humanismus. Und die Früchte von Aufklärung, Wissenschaft und Technologie
genießen wir schließlich alle: auch die Leute, die vorgeben, anderer Meinung
zu sein."