Maria
und Josef, das Kind im Stall zu Bethlehem - die traditionellen Weihnachtsgeschichten
sind aus unserem Kulturkreis nicht mehr wegzudenken. Aber ist es wirklich so
gewesen, vor über zweitausend Jahren? Mit dieser Frage hat sich George A. Wells
jahrzehntelang eingehend beschäftigt. Der emeritierte Germanistikprofessor Wells
hat die Geschichten von der Geburt Jesu gründlich studiert. Dabei fand er indes
keinen historischen Bericht, sondern ein dichtes Netzwerk von Mythen und Legenden.
Die Autoren und Übersetzer bedienten sich reichlich bei den Propheten des Alten
Testaments und spannten die schon damals jahrhundertealten Texte vor den eigenen
Karren. Die Ergebnisse seiner Forschungen fasst Wells hier zusammen.
Aber
muss man unserer liebgewonnen Weihnachtsgeschichte denn wirklich mit Quellenkritik
zu Leibe rücken? Man muss, ist Wells überzeugt:
Es liegt mir fern, ein
Spielverderber zu sein, doch wenn spekulative und sogar falsche Angaben als
historische Realität angesehen werden, besteht dringender Korrekturbedarf.
Zwar lesen moderne Alttestamentler die biblischen Weihnachtsgeschichten längst
nicht mehr als historische Tatsachenberichte, schreibt Wells.
Dennoch
besteht Papst Benedikt XVI weiterhin auf einer "christlichen Hermeneutik",
die Jesus Christus als Schlüssel zur ganzen Bibel sieht, so dass das Alte Testament
"christologisch" zu lesen sei.
Allgegenwärtigkeit der traditionellen christlichen Auffassung von alttestamentlichem
Material als Jesusverheißungen in der christlichen Liturgie beurteilt Wells
nicht nur aus Sicht der Quellenkritik als bedenklich:
Jedes Jahr zu Weihnachten
werden in zahllosen Gottesdiensten die sogenannten Verheißungen der Kindheitserlebnisse
des Herrn vorgetragen, die implizieren, dass die Juden den in ihren eigenen
heiligen Schriften angekündigten Messias aus purer Verstocktheit nicht anerkannt
haben. Angesichts der jahrhundertelangen christlichen Judenfeindschaft mag dies
nachdenklich stimmen.
Letztlich machen wohl der emotionale Gehalt, das
Gemeinschaftserlebnis, die "frohe Botschaft" die immense Attraktivität
von Krippenspielen und Christmetten aus. Noch einmal George A. Wells:
Appelle
an die Vernunft führen zu Diskussionen, zu Streitgesprächen und zu Meinungsverschiedenheiten.
Emotionen aber verbreiten sich schnell und sind geradezu ansteckend. Dieses
Missverhältnis zwischen den beiden ist ein entscheidender Faktor, der den Fortbestand
religiöser und politischer Systeme begünstigt. Ein Gedankengang stellt Ansprüche
an das Erinnerungsvermögen und an die Fähigkeit, Ideen zu organisieren, und
keine zwei Menschen sind auf diesen beiden Gebieten gleich begabt. Hinzu kommt,
dass ihre Erfahrungen verschieden sind. Emotionen gibt es aber nur wenige, und
sie sind Menschen jeglicher Begabung und Ausbildung von Kindheit an völlig vertraut,
sodass ein Politiker oder Prediger leicht Zorn oder Enthusiasmus entfachen kann.
Inge Hüsgen auf gwup.net - Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP)