Im Jänner versuchte die katholische Kirche die Rekord-Austrittszahlen des
vergangenen Jahres erwartungsgemäß herunterzuspielen. Christoph Baumgarten zog
einen Vergleich mit George Orwells Ministerium für Wahrheit: Miniwahr in Österreich.
Von den rund 50.000 Taufen im
Jahr 2009 waren nur 253 im religionsmündigen Alter von über 14 Jahren. In
diesem Zusammenhang kritisierte Niko Alm im Standard: "Selbst, wenn es
nachvollziehbar erscheint, dass Eltern ihre Kinder innerhalb der
Glaubensgemeinschaft erziehen wollen, widerspricht die Zwangstaufe der
individuellen Selbstbestimmung in diesem höchstpersönlichen Bereich.”
Am 23.1. kritisierte der Zentralrat der Konfessionsfreien in einer
Presseaussendung den Ethikunterricht (in der jetzigen und in der geplanten Form)
als religiöse Bevormundung und
Abschaffung des Grundrechtes auf Religionsfreiheit.
Am 26.1. empfing der evangelische Bischof Michael
Bünker Vertreter der Konfessionsfreien. In der einstündigen Unterredung kam
es allerdings zu keiner Einigung.
Am 9.2. empfing Bundespräsident Heinz
Fischer »Die Konfessionsfreien«. Der Zentralrat hat seine grundsätzliche
Forderung nach Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention bekräftigt
und deutlich gemacht, dass die Konfessionsfreien jene Rechte einfordern, die
ihnen seit fast 50 Jahren verfassungsmäßig zustehen, nämlich die völlige
rechtliche Gleichstellung aller BürgerInnen, unabhängig ihrer religiösen oder
weltanschaulichen Überzeugungen. Dies bedingt die Abschaffung des Systems der
Anerkennung von Religionen sowie sämtlicher Privilegien, die den Religionen
immer noch gewährt werden.
Im Februar geisterte die Mär durch die Medien, dass den Heidenkindern, die keinen
konfessionellen Unterricht besuchen, etwas fehle. In der Kampagne für einen
verpflichtenden Ethikunterricht in Österreich tat sich besonders der
evangelische Bischof Michael Bünker hervor, er hängt an den Zitzen der Macht. Die
Debatte gipfelte in einem Standard-Interview zwischen Heinz
Oberhummer und Michael Bünker.
Ab März startete die Initiative gegen Kirchenprivilegien mit dem
Sammeln von Unterstützungserklärungen, der Standard berichtete. Das
Kirchenvolksbegehren erhebt zwei Hauptforderungen: erstens die klare Trennung
von Kirche und Staat. Zweitens verlangen die Initiatoren die Einrichtung einer
Sonderkommission zur staatlichen Aufklärung der Missbrauchsfälle (Video). Eine Integralumfrage
bescheinigte der römisch-katholischen Kirche einen
dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust.
Ende März gab es zwei gerichtliche Urteile zum christlichen Kreuz. Der
österreichische VfGH stellte Kirchenprivilegien über
Menschenrechte und definierte das Kreuz nicht mehr als religiöses Symbol,
sondern neu als Symbol der abendländischen Geistesgeschichte. Der EGMR urteilte
im Fall Lautsi ähnlich. Was zuerst nach einer Niederlage aussah, war tatsächlich
ein Triumph, denn das
christliche Kreuz ist nun höchstrichterlich in Europa kein geschütztes
religiöses Symbol mehr. Aber das ist nur eine Teilsicht. Das Augenzwinkern
kann einem vorübergehend auch wieder vergehen. Denn solche Entscheidungen untergraben
zugunsten von religiösen Wahrheitsaposteln und Machtpolitikern die europäische
Rechtskultur.
"Die zwei Urteile sind zu akzeptieren”, sagte die grüne Abgeordnete Daniela
Musiol im Standard-Interview. Und: "Das Kreuz ist natürlich auch für
viele Menschen ein Symbol der Unterdrückung.” Vielmehr gebe es "kein
eindeutiges Symbol für Nächstenliebe und Toleranz, schon gar nicht das
Kreuz”.
Die für Mai geplante parlamentarische Enquete zum Ethikunterricht für alle
SchülerInnen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, sollte zunächst ohne
VertreterInnen der zwei Millionen Konfessionsfreien
stattfinden. Konfessionsfreien-Vorsitzender Heinz Oberhummer fühlte sich »vor
den Kopf gestoßen« und sprach von einer Farce. Das Blatt wandte sich jedoch,
die Grünen verhalfen den Konfessionsfreien zur Teilnahme an
der Parlamentsenquete.
Im April lief die Berichterstattung über das geplante Volksbegehren gegen
Kirchenprivilegien weiter: Es wird nun auch von den Jungen Liberalen (JULIs)
unterstützt. In einer Pressekonferenz wurde eine erste Zwischenbilanz gezogen.
Während Kardinal Schönborn sich im Missbrauchsskandal auf Verjährung beruft
und Betroffene kirchlicher Gewalt mit Almosen abgespeist werden, kennt die
Kirche beim Eintreiben der Kirchensteuer keine Gnade: schon wegen geringer Euro-Beträge
geht sie gegen ihre Mitglieder gerichtlich vor und schreckt auch vor Exekutionen
nicht zurück” zeigte sich Sepp Rothwangl, Sprecher der Plattform
Betroffener Kirchlicher Gewalt, verärgert.
Am 3.5., einen Tag vor der parlamentarischen Enquete, veröffentlichte die
Initiative Religion ist Privatsache einen offenen Expertenbrief zur
parlamentarischen Enquete. In diesem Brief wurde nicht nur die versteckte
religiöse Motivation des geforderten Pflichtethikunterrichtes thematisiert,
sondern es wurden auch drei Grundforderungen gestellt. Die
Konfessionsfreien und die Initiative gegen Kirchenprivilegien
legten darüber hinaus einen
7-Punkte Forderungskatalog vor.
Über die parlamentarische Enquete zum Ethikunterricht am 4.5. berichtete der
Standard: Ketzer und Gläubige
auf der Suche nach Werten. Lesenswert ist das Impulsreferat von Konrad Paul
Liessmann, der fordert: Ethikunterricht vom
Religionsunterricht entkoppeln (siehe auch hier). Christoph Baumgarten
analysierte das Ergebnis der Enquete und konstatierte zwei Dinge: Den Einfluss der
Religionsgemeinschaften auf die öffentliche Meinung. Und strukturelle Denkfehler
zahlreicher Politiker und so genannter Experten.
Mitte Mai legte der Physiker und Wissenschaftskabarettist Heinz Oberhummer
den Vorsitz des Zentralrats der Konfessionsfreien in Österreich zurück. Zu
seinem Nachfolger wurde Niko
Alm gewählt, einer der bekanntesten Vertreter der laizistischen Bewegung des
Landes.
Am 16.6. lud die Regionalgruppe Österreich der Giordano Bruno
Stiftung zum Thema "Wahrheit und Wirklichkeit, Religion im 21.
Jahrhundert" zu einem Philosophischen Diskussionsabend nach Graz. Fazit: Die Trennung von Konfession
und Staat ist ethisch geboten.
ORF und Kirche -kein heiliges Band: unter dieses Motto brachte die
Initiative Religion ist Privatsache Ende Juni eine
Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien betreffend des ORF-Sponsorings der diesjährigen
"Langen Nacht der Kirchen" ein und bat den Rechnungshof in einem Brief, den
selben Sachverhalt ebenfalls zu prüfen.
Im Juli war es dann endlich so weit: Das Nudelsieb als religiöse
Kopfbedeckung wurde von der Republik Österreich als solche anerkannt.
Behördlicherseits versuchte man sich danach natürlich herauszureden. Kurz darauf
folgte der Aufruf, der religiösen Bekenntnisgemeinschaft "Kirche des fliegenden
Spaghettimonsters" beizutreten, um die staatliche Anerkennung zu erlangen.
Niko Alm: "Es ist an der Zeit sich nicht mehr länger hinter Sieben zu
verschanzen. Wir müssen diesen Glauben an die Öffentlichkeit bringen! Wir werden
uns dieselben Sonderrechte holen, wie alle anderen Kirchen und
Religionsgesellschaften: Religionsunterricht, theologische Fakultäten, Befreiung
von der Stellungs- und Wehrpflicht für unsere Seelsorger, Steuerbefreiungen, usw
usf. Den Blasphemieparagraphen werden wir bis zum Anschlag ausreizen!”
Im September überraschte Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI anlässlich
seines Deutschland-Besuches unerwartet positiv. Er hat zur "Entweltlichtung" der
römisch-katholischen Kirche aufgerufen. Nirgends können das die Katholiken
so rasch und effektiv umsetzen wie in Österreich. Österreichs Katholiken sind
nach der Freiburger Rede des Papstes de facto verpflichtet, das Volksbegehren
gegen Kirchenprivilegien zu unterstützen.
Am 21.9. lud die GBS Österreich zum zweiten Philosophischen
Diskussionsabend mit dem Thema Evolutionären Humanismus
verstehen und implementieren.
Anfang Oktober stellten
SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim und die Grüne Verfassungssprecherin Daniela
Musiol das Konkordat in Frage. Jarolim betonte, dass er für eine strikte
Trennung von Staat und Kirche eintrete. Das sei aber seine "persönliche
Meinung” und nicht die Meinung der Partei, sagte der SPÖ-Justizsprecher. Musiol
tritt für eine Kündigung des Konkordats ein. Dies sei ihre persönliche Meinung,
erklärte auch sie.
Mitte Oktober überraschte ein Coup der Grünen die gesamte säkulare
Szene in Österreich: am
Bundeskongress beschlossen die Grünen eine Resolution zur Trennung von Staat und
Kirche. Das monatelange Lobbying der Konfessionsfreien hat Wirkung
gezeigt.
Anfang November kam Dr. Carsten Frerk auf Einladung der Initiatoren des
Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien sowie der Freidenker und der
Regionalgruppe der Giordano Bruno Stiftung nach Wien und hielt einen Vortrag zum
Thema "Wie der Staat die Kirchen
finanziert".
Im Dezember kritisierte die Initiative Religion ist Privatsache die
Renovierung
des Papstkreuzes in Wien.
Und das Beste zum Schluss: In St. Pölten haben kurz vor Weihnachten SchülerInnen zum Kirchenaustritt aufgerufen.
Wir wünschen einen besinnlichen Jahresausklang!