Das österreichische Islamgesetz war die Konsequenz aus der österreichischen
Expansionspolitik, 1878 war Bosnien-Herzegowina faktisch einverleibt worden,
die formelle Annexion folgte jedoch erst 1908, damit wurde eine große Zahl von
Muslimen zu Bürgern der k.u.k. Monarchie gemacht. Und sie erhielten auch die
entsprechenden Bürgerrechte, inklusive Religionsfreiheit. Das Gesetz vom 15.
Juli 1912 bezog sich jedoch lediglich auf diese neuen Bürger in Bosnien-Herzegowina,
was auch in den hier folgenden Auszügen aus dem Gesetz zu erkennen ist:
Gesetz
betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islam nach hanefitischem Ritus als
Religionsgesellschaft
Artikel I. Den Anhängern des Islam nach hanefitischem
Ritus wird in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern die Anerkennung
als Religionsgesellschaft im Sinne des Staatsgrundgesetzes vom 1. Dezember 1867,
R.G.Bl. Nr. 142, insbesondere des Artikels XV desselben, nach Maßgabe der folgenden
Bestimmungen gewährt.
§1. Die äußeren Rechtsverhältnisse der Anhänger
des Islam sind auf Grundlage der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung, jedoch
unter Wahrung der Staatsaufsicht, im Verordnungsweg zu regeln, sobald die Errichtung
und der Bestand wenigstens einer Kultusgemeinde gesichert ist. Hierbei ist insbesondere
auf den Zusammenhang der Kultusorganisation der im Inland lebenden Anhängern
des Islams mit jenen Bosniens und der Hercegowina Bedacht zu nehmen. Auch vor
Konstituierung einer Kultusgemeinde können fromme Stiftungen für religiöse Zwecke
des Islams errichtet werden.
Anmerkung: Somit regelt das Gesetz klar,
dass das Gesetz für die Muslime in Bosnien und der Herzegowina bestimmt war,
also nicht z.B. für persische Schiiten oder saudische Wahabiten.
§3. Findet
die Regierung, daß einer den Gottesdienst betreffenden Anordnung der Veranstalter
desselben öffentliche Rücksichten entgegenstehen, so kann sie dieselbe untersagen.
§5.
Die Staatsbehörde hat darüber zu wachen, daß die Religionsgesellschaft der Anhänger
des Islams nach hanefitischem Ritus, deren Gemeinden und Organe ihren Wirkungskreis
nicht überschreiten und den Bestimmungen der Gesetze sowie der Aussicht genommenen
Verordnung über die äußeren Rechtsverhältnisse dieser Religionsgesellschaft
und den auf diesen Grundlagen erlassenen Anordnungen der staatlichen Behörden
nachkommen. Zu diesem Ende können die Behörden Geldbußen in einer den Vermögensverhältnissen
angemessenen Höhe sowie sonst gesetzlich zulässige Zwangsmittel in Anwendung
bringen.
Anmerkung: Die Ausübung der islamischen Religion stand unter
staatlicher Aufsicht.
§6. Die Religionsgesellschaft der Anhänger des
Islams nach hanefitischem Ritus genießt als solche sowie hinsichtlich ihrer
Religionsausübung und ihrer Religionsdiener denselben gesetzlichen Schutz wie
andere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften. Auch die Lehren des Islams,
seine Einrichtungen und Gebräuche genießen diesen Schutz, insofern sie nicht
mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen.
Anmerkung: Es wird auch
klar geregelt, dass etwa die Scharia keine geschützte Einrichtung ist. Das Gesetz
anerkannte die religiöse Minderheit der Muslime in Bosnien-Herzegowina, sonst
nichts.
1988 wurde das Islamgesetz geändert, wohl weil man sich des
Widerspruchs bewusst war: Der Islam türkischer Einwanderer und der Islam
in Bosnien-Herzegowina waren nicht dasselbe. Allerdings wurden nur die Verweise
auf den "hanefitischen Ritus" entfernt und damit auch andere Rechtsschulen
des Islam anerkannt, wie sich die sehr heterogenen Islamgemeinschaften zu organisieren
hätten, war im Gesetz nicht angeführt. Der Verweis auf Bosnien-Herzegowina blieb
im Gesetz allerdings stehen, Muslime aus anderen Herkunftsbereichen haben daher
formal keine staatliche Anerkennung, damit verstößt das Gesetz offensichtlich
gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Im Gesetz wird nicht angeführt, dass
islamische Gemeinschaften dieselbe Rechtsform wie andere Glaubensgemeinschaften
hätten, im Protestantengesetz von 1961, welches in der Nachfolge des Protestantenpatents
von 1861 erlassen worden war, heißt es, "die Evangelische Kirche genießt
die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts", wobei dieser
Status den einzelnen protestantischen Kirchengemeinden zugewiesen wurde und
im Gesetz geregelt wird, wie sich neue Kirchengemeinden als solche als Rechtsperson
zu begründen oder aufzulösen oder mit anderen Gemeinden zu vereinigen hätten.
Im Islamgesetz steht für diese konkrete Praxis der Glaubensgemeinden überhaupt
nichts. Im §1 heißt es auch in der Fassung von 1988 nur: "Die äußeren Rechtsverhältnisse der Anhänger des
Islams sind auf Grundlage der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung, jedoch
unter Wahrung der Staatsaufsicht, im Verordnungsweg zu regeln, sobald die
Errichtung und der Bestand wenigstens einer Kultusgemeinde gesichert ist."
Anmerkung: Bei der katholischen Kirche ist der Status so, dass die
Kirche in ihrer Gesamtheit eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ist, die
einzelnen Gemeinden diesen Status jedoch nicht haben (also kann beispielsweise
Helmut Schüller von der Pfarrerinitiative seine Pfarre nicht als eigene Körperschaft
anmelden). Da der Islam aber keinen Papst oder eine ähnliche zentralistische
Ordnung hat, kann keine zentrale, sondern nur eine Regelung über einzelne, auch unterschiedlich orientierte
Gemeinden erfolgen!
In der Republik Österreich wurde die im §1 geforderte islamische
Glaubensgemeinde erstmals 1979 eingerichtet, die früheren islamischen Glaubensgemeinden,
auf die sich das Gesetz von 1912 bezog, lagen ja nunmehr in Jugoslawien. Diese
Genehmigung von 1979 zur Einrichtung einer islamischen Glaubensgemeinde hat
der Verfassungsgerichtshof allerdings am 29. Februar 1988 aufgehoben. Begründung:
die Anerkennung dieser Gemeinde sei durch eine nicht richtig kundgemachte Verordnung
erfolgt. Diese Verordnung wurde im August 1988 erlassen, die "Islamische
Glaubensgemeinschaft in Österreich" (IGGiÖ) anerkannt.
Es gibt
noch eine Entscheidung des VfGH, in welcher im Dezember 2010 festgestellt wurde,
dass die IGGiÖ keinen Alleinvertretungsanspruch für alle Muslime besitzt.
Die Reaktion des zuständigen Kultusamtes war, dass die IGGiÖ darauf gedrängt
wurde, ihren Mitgliederstand, der damals maximal ein paar Tausend betrug, umfassend
auszuweiten. Wozu die IGGiÖ eine große Registrierungskampagne startete, die
nur einen geringen Teil von registrierten und zahlenden und damit wahlberechtigten
Mitglieder erbrachte und auch der Bestand an bloß kostenfrei in der IGGiÖ registrierten
Mitgliedern weitaus unter den Schätzungen über die Zahl der Muslime in Österreich
liegt. Diese Zahl wurde mit gut 500.000 angegeben, was auch heute immer noch
von verschiedenen Medien - besonders vom ORF - fälschlich so behauptet wird,
weil bei der IGGiÖ sind bloß ca. 130.000 Personen registriert. Da es als
anerkannte Religionsgemeinschaft nur die IGGiÖ gibt, sind ca. 75 % der mutmaßlichen
Muslime staatsrechtlich konfessionslos.
Zurzeit bemühen sich verschiedene
Gruppierungen aus dem Islambereich ebenfalls um Anerkennung, die Aleviten
haben inzwischen den Status einer Bekenntnisgemeinschaft erhalten, die Liberalen
Muslime brachten im Februar 2012 eine Verfassungsbeschwerde ein, weil die Verordnung
vom August 1988 gegen das Legalitätsprinzip und das Prinzip der Gewaltentrennung
verstoße, weil es keine hinreichende gesetzliche Regelung über die Anerkennung
von islamischen Glaubensgemeinden gäbe (also im Islamgesetz nichts Ähnliches steht
wie im o.a. Protestantengesetz), außerdem sei der Verweis auf Bosnien-Herzegowina
grundrechtswidrig. Im Islamgesetz müssten für die entspr. Verordnungen des Kultusamtes
alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können,
ohne solche Vorgaben nur auf den Verordnungsweg zu verweisen, stelle die Behörde
über den Gesetzgeber.
Das seinerzeit aus staatspolitisch-innenpolitischen
Gründen entstandene Islamgesetz dürfte also noch einen gewissen Reformweg vor
sich haben.