Am 26. Juni hat das Landgericht Köln entschieden, dass religiöse Beschneidung
bei Kindern eine Körperverletzung ist und dass sich Ärztinnen und Ärzte, die
sie dennoch vornehmen, strafbar machen. Als Vorstandsvorsitzende von TERRE DES
FEMMES begrüße ich dieses Urteil, da es zeigt, dass die körperliche Unversehrtheit
von Kindern auch nicht mit religiösen Argumenten verletzt werden darf.
Das
Gericht hat bei der Güterabwägung zwischen zwei Grundgesetzartikeln klargestellt:
Das im Grundgesetz verankerte Recht auf ungestörte Religionsausübung und das
Erziehungsrecht der Eltern haben keinen Vorrang gegenüber dem vom Grundgesetz
verbrieften Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.
Hinzu kommt die Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention, mit der sich Deutschland
verpflichtet hat, Bräuche, die für Kinder schädlich sind, abzuschaffen. Dass
dieser irreversible Eingriff nicht dem Wohl des Kindes entsprechen kann, machen
nicht nur die Narkoserisiken sondern auch Nachblutungen, Fistelbildung und z.T.
lebenslange seelische Schäden deutlich. Das ist auch der Grund dafür, dass die
Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie Beschneidungen ohne medizinische Indikation
wie z.B. eine massive Vorhautverengung, ablehnt und auch die Krankenkassen die
Kosten nicht übernehmen, wenn kein Heileingriff vorgenommen wird. Und welches
Männerbild liegt dem nachgeschobenen Argument zugrunde, es sei hygienischer,
die Vorhaut abzutrennen? Wasser ist bei uns kein Mangel und wie "Mann"
sich wäscht, sollten Jungen früh lernen. Auch das Argument, in den USA seien
über 70% der Männer beschnitten, taugt nicht. Im 19. Jahrhundert als Mittel
gegen Masturbation eingeführt, steht die Beschneidung als Symbol der Sexualfeindlichkeit.
Als
Menschenrechtsorganisation geht es TERRE DES FEMMES um etwas Grundlegenderes:
die körperliche Unversehrtheit von Kindern ist ein Menschenrecht und muss für
alle Kinder gleichermaßen gelten, egal welcher Herkunft, Religion und welchen
Geschlechts sie sind. Wir machen uns stark dafür, dass irreversible Eingriffe
in die Unversehrtheit von Kindern - mit Ausnahme medizinisch notwendiger Behandlungen
- generell verboten werden. Sie dürfen weder mit Religion noch Tradition gerechtfertigt
werden. Menschenrechte sind nicht teilbar - auch nicht zwischen Mädchen und
Jungen. Dass dies in der Realität täglich dennoch geschieht, wissen wir als
Mädchen- und Frauenrechtsorganisation nur zu gut. Denn: Seit 30 Jahren setzt
sich TERRE DES FEMMES weltweit für ein Ende weiblicher Genitalverstümmelung
ein, der immer noch jährlich 3 Millionen Mädchen zum Opfer fallen. Nach Schätzungen
der Weltgesundheitsorganisation sterben bis zu einem Viertel der Betroffenen
an den unmittelbaren oder langfristigen Folgen wie Komplikationen bei Schwangerschaft
und Geburt. Indem wir das Urteil des Landgerichts Köln begrüßen, behaupten wir
nicht, dass die Schwere und Folgen weiblicher Genitalverstümmelung und männlicher
Vorhautbeschneidung vergleichbar sind. Unser Anliegen ist es auch nicht, diese
Praktiken gegeneinander aufzuwiegen. Was wir brauchen ist eine gesellschaftliche
Debatte, die durch das Kölner Urteil endlich angestoßen wurde. Diese muss im
gegenseitigen Respekt voreinander geführt werden und darf sich nicht pauschal
gegen Menschen jüdischen oder islamischen Glaubens richten. Die Fragen sind
aber: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Welche Werte sind uns wichtig?
Uns ist bewusst, dass Verbote allein nicht ausreichen.
TERRE DES FEMMES
wird einen Beitrag dazu leisten, dass Eltern davon überzeugt werden, dass kleine
Jungen ohne medizinische Notwendigkeit keinem riskanten Eingriff ausgesetzt
werden dürfen. In der jüdischen Gemeinde gab es 2006 eine Umfrage, wonach
1/3 der Eltern die Beschneidung ablehnen, aber dem Druck der Gesellschaft nicht
standgehalten haben. Dennoch wächst die Zahl derer, die sich gegen dieses Ritual
entscheiden. Jungen sollen sich, wenn sie alt genug sind, selbst für oder gegen
eine Beschneidung entscheiden können. Durch das Urteil sehen wir das Recht der
Eltern auf Religionsausübung nicht eingeschränkt, wenn sie in Zukunft abwarten
müssen, wie ihr Sohn sich später entscheidet. Weibliche Genitalverstümmelung
hingegen ist und bleibt aufgrund der Schwere des Eingriffs und der massiven
Folgen eine Menschenrechtsverletzung, der Ärztinnen und Ärzte nicht zustimmen
dürfen, egal wie alt die Betroffenen sind.
Irmingard Schewe-Gerigk, TERRE DES FEMMES-Vorstandsvorsitzende
TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Mädchen und Frauen, die durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, persönliche Beratung, Förderung von Projekten und internationale Vernetzung von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen unterstützt. TERRE DES FEMMES klärt auf, wo Mythen und Traditionen Frauen das Leben schwer machen, protestiert, wenn Rechte beschnitten werden und fordert eine lebenswerte Welt für alle Mädchen und Frauen - gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei! Unsere Schwerpunktthemen sind Häusliche Gewalt, Zwangsheirat und Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung, Frauenhandel, Zwangsprostitution und soziale Rechte für Arbeiterinnen. Der Verein wurde 1981 gegründet, die Bundesgeschäftsstelle befindet sich in Berlin. Weitere Informationen finden Sie unter www.frauenrechte.de