Medizinisches zur Beschneidung

Die Beschneidung männlicher Säuglinge wird von den Vertretern der Beschneidungsreligionen und ihren Lobbyisten ständig verharmlost und kleingeredet, auf Info Nr. 968 wurde daher ein Lehrfilm über den Ablauf so einer Beschneidung online gestellt.

Dass mehr verloren geht als bloß ein bisschen Haut, ist dem hier folgenden offenen Brief einer Genossin an die SPD-Abgeordnete Christine Lambrecht zu deren Rede am 19.7.2012 im deutschen Bundestag zu entnehmen:

Liebe Christine, als SPD-Mitglied, Medizinstudentin kurz vor dem Staatsexamen und Lebensgefährtin eines Kinderarztes möchte ich Dir gerne ein paar Sachinformationen geben, von denen ich den Eindruck habe, dass sie beim gestrigen Beschluss des Bundestages zur Beschneidung von Jungen nicht vorlagen:

Ich habe Deine Ausführungen zur weiblichen Genitalverstümmelungen im Bundestag gehört und finde sie sehr richtig. Es ist jedoch eine medizinische Fehlinformation, die in fast allen Fraktionen vorhanden ist, dass die Vorhaut des Penis anders gebaut sei als beispielsweise die Labien (kleinen Schamlippen) einer Frau. Dieser Irrtum entsteht wahrscheinlich dadurch, dass Beschneidungen an Jungen häufiger und wegen überalterter medizinischer und traditoneller Vorstellungen auch akzeptierter sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie folgenärmer wären. Sowohl Vorhaut als auch Labien haben eine sehr hohe Dichte verschiedener Tast-Körperchen. Das sind spezialisierte Sinneszellen.

Dass beide Gewebe gleich aufgebaut sind liegt daran, dass bei der Entwicklung eines Embryos im Mutterleib lediglich das Vorhandensein des Y-Chromosoms bestimmt wie die Form des äußeren Geschlechtsorganes aussieht. Aber eben nur die Form, nicht zwingend die Funktion. Zur Ausbildung der Form wird das gleiche Gewebe benutzt weswegen auch dessen Aufbau gleich ist. Ein Gewebe, das voll mit diesen Tast-Körperchen ist, ist hochempfindlich und erogen. Egal ob es Labie oder Vorhaut heißt. Die Empfindlichkeit beider übertrifft die von Lippen oder Fingerkuppen um ein Vielfaches und bilden damit mit die wichtigsten erogenen Zonen von Mann und Frau. Es ist also keinesfalls zynisch oder unsachlich, wenn die Gegner der Beschneidung darauf hinweisen, sondern Stand der modernen Medizin, den jeder Medizinstudent in der Vorklinik lernt.

Eine umfangreiche dänische (englischsprachige) Studie von Frisch, Lindholm, and Gronbaek (2011), die die sexuellen Auswirkungen der Beschneidung untersuchte, stellte fest, dass die Beschneidung eine Vielzahl sexueller Probleme sowohl für Männer als auch für deren Partnerinnen verursacht. Die Studie, bei der über 5000 Männer und Frauen untersucht wurden, fand heraus, dass die Beschneidung mit häufigen Orgasmus-Schwierigkeiten bei Männern und einer Vielzahl sexueller Schwierigkeiten bei Frauen vergesellschaftet ist, insbesondere Orgasmus-Schwierigkeiten, Schwierigkeiten mit der Penetration, schmerzhafter Geschlechtsverkehr und ein Gefühl der unvollständigen Erfüllung der sexuellen Bedürfnisse.

Die Studie stellte fest, dass während hinsichtlich gelegentlich auftretender Orgasmusschwierigkeiten kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen intakten und beschnittenen Männern besteht, hinsichtlich häufiger Orgasmusschwierigkeiten ein beträchtlicher statistischer Unterschied zwischen beiden Gruppen vorliegt. Beschnittene Männer berichteten dreimal häufiger über häufig auftretende Orgasmusschwierigkeiten als unbeschnittene Männer.

Wie Du in Deiner Rede betontest, habt ihr Euch vorher auch nicht medizinisch mit dem Thema befasst - so habe ich das zumindest verstanden. Das ist ungünstig, denn es ist nicht möglich per Gesetz zu definieren, wann ein Arzt Körperverletzung begeht. Das ist nahezu immer der Fall, wenn er sich außerhalb des medizinischen Wissenstandes bewegt und dieser ändert sich ständig. Medizinischer Wissensstand ist derzeit, dass unnötige Beschneidungen, egal aus welchem Grund, obsolete sind. Das macht nichts, solange nichts schief geht, wird jedoch akut, wenn es zu Komplikationen kommt. Egal was ihr also beschließt: Ein Arzt wird den Eingriff ablehnen müssen.

Prof. Dr. med. Maximilian Stehr von der Universitätsklinik München beziffert die Komplikationsrate wie folgt im Interview mit der Frankfurter Rundschau: "Wir reden hier nicht über einen läppischen Eingriff! Untersuchungen zeigen, dass es bei jedem fünften Säugling nach der Operation Probleme gibt. Sie sind zum Teil so schwerwiegend, dass noch einmal operiert werden muss. Es gibt Nachblutungen, Narben, häufig später eine Verengung der Harnröhrenöffnung, und sogar teilweise Amputationen des Gliedes habe ich gesehen. Abgesehen davon dürfen wir mögliche Auswirkungen auf die Sexualität nicht außer Acht lassen, über die immer wieder von Betroffenen berichtet wird."

Da Universitäten den aktuellen Stand der Wissenschaft abbilden, wirkt diese Aussage automatisch wie eine Leitlinie. Mal ganz abgesehen davon, dass solche Komplikationsraten für einen religiösen Eingriff inakzeptabel sind. Er liegt damit auch nicht neben anderen medizinischen Meinungen, sondern bildet den aktuellen Stand der Forschung ab, der durch neuere Studien gestützt wird. Auch der Verband der Kinder- und Jugendärzte hat Maßstäbe für Ärzte gesetzt und sich klar gegen eine religiöse Beschneidung ausgesprochen. Genauso wie der Verband der Kinderchirurgen. Einem Arzt sind also ab jetzt sowieso die Hände gebunden. Eine Rechtssicherheit ist bereits hergestellt: Man darf es, aber wenn Komplikationen auftreten befindet man sich außerhalb der allgemeinen medizinischen Meinung und ist voll haftbar. Nicht nur strafrechtlich, sondern vor allem zivilrechtlich, was meist noch viel schlimmer ist, weil es ruinös teuer werden kann. Zumal dann unter Umständen die Arzthaftpflicht nicht einspringt, wenn man groben medizinischen Unsinn macht.

Ob etwas erlaubt oder verboten ist in der Medizin kann nicht durch den Bundestag geregelt werden. Eine Medizin per Dekret von oben gab es nur einmal in der Geschichte Deutschlands und die nannte sich "Neue Deutsche Heilkunde". Gesetze des Bundestages, die bestimmte medizinische Handlungen erlauben oder verbieten behindern die Weiterentwicklung von Medizinern und der Medizin. Das kann doch wohl nicht gewünscht sein.

Du erwähntest auch die Beschneidungen durch Nichtmediziner. Du solltest Dir darüber klar sein, was das bedeutet: 8 Tage alten Neugeborenen wird ohne Betäubung und per Skalpell die Vorhaut beschnitten. Nicht in einer Klinik oder einer sterilen Umgebung, sondern in der Synagoge oder zu Hause. Die Blutung wird nicht gestoppt. Eine neuere Studie aus den USA beziffert die jährlich dadurch zu Tode kommenden Neugeborenen mit über 100. Besonders bedrohlich sind dabei Herzstillstand und große Blutverluste. So ein Neugeborenes hat höchstens 400 ml Blut. Wenn Du Dir ein Glas mit 400 ml Wasser füllst kannst Du Dir vorstellen, wie wenig das ist. Viel zu wenig um eine Arterie ohne Klemme und Naht zu durchschneiden. Zudem drohen schwere Infektionen, wenn nicht steril gearbeitet wird. Z, B. HIV, Herpes uns Hepatitis B, Bakterien aller Art sowieso.

Eine angemessene Betäubung wird es bei derartigen Beschneidern nicht geben, weil alle Medikamente, die man dazu braucht, entweder nur der ärztlichen Verwendung vorbehalten sind oder sogar unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Goldstandard ist eine Narkose plus Penisblock und alles andere unmenschlich.

Nach Rechtsauffassung verstößt eine derartige Operationstätigkeit sowieso gegen das Heilpraktikergesetz und auch das UWG (siehe OVG NRW Az: 13 A 2495/03). Hier wird man der jüdischen Beschneidungstradition also kaum Zugeständnisse machen können. Orthodoxe Juden werden auch nach einem Gesetz unbefriedigt bleiben.

Auch eine Beschneidung durch Mediziner ist in diesem Alter nicht realistisch, weil Anästhesisten, die Neugeborene narkotisieren können, sehr rar sind. Die Wenigen die es gibt, kümmern sich um wirklich kranke Kinder, bei denen eine Operation unvermeidbar ist. Es kann ja wohl kein ernsthaftes Anliegen sein, für einen unnötigen Eingriff rare Fachkräfte zu binden, die anderweitig viel dringender gebraucht werden. Zudem wird sich kaum einer finden, der das Risiko einer Neugeborenen-Narkose für eine Schönheitsoperation eingeht. Wer soll also für eine "angemessene Betäubung" und eine medizinisch "fachgerechte" Versorgung sorgen?

Über eine fundierte und nicht angstgetriebene Stellungnahme würde ich mich freuen. Außerdem wäre es sinnvoll sich vor irgendwelchen Beschlüssen mit den leitenden Kinderärzten und -chirurgen von Universitätskliniken zu unterhalten. Diese geben sicher gerne Auskunft und erläutern ihren Standpunkt fachlich fundiert.

Mit sozialdemokratischen Grüßen,

Tanja Hindemith - In der Reute 15 - 71566 Althütte / Mitglied der SPD im Rems-Murr-Kreis