Auf Drängen der ÖVP - und insbesondere der katholischen Kirche - dürfte
die flächendeckende Einführung eines Ethikunterrichts in Österreich bevorstehen.
Und zwar ausschließlich als Pflichtfach für jene Schüler, die den Religionsunterricht
nicht besuchen. Sind aber Ethik und Religion überhaupt gleichwertige Alternativen?
Mit
dieser Frage befasste sich ein, erstmals in Österreich, weltanschaulich breit
gestreutes Expertenteam im Rahmen einer Podiumsdiskussion, die von der "Initiative
Religion ist Privatsache" am Vorabend des Nationalfeiertages veranstaltet
wurde und die jetzt in voller Länge (2:03:28) online anzusehen ist.
Gleich
zu Beginn der Veranstaltung in der Aula am Campus der Uni Wien stellte der Wiener
Philosoph und Ethikexperte Konrad Paul Liessmann klar, dass fundamentale Unterschiede
zwischen "Ethik" und "Religion" eine Behandlung beider Begriffe
in einem Atemzug verhindern. Dem Vorhaben, einen Ethikunterricht flächendeckend
als "Ersatzpflichtgegenstand" zum Religionsunterricht einzuführen,
sei daher jegliche fachliche bzw. sachliche Basis entzogen. Aufsehen erregte
Liessmann zudem mit der Bemerkung, dass er im Rahmen des Diskurses eine ernsthafte
Auseinandersetzung mit der Zielsetzung und Inhaltgestaltung des Ethikunterrichts
als künftigem Pflichtfach für alle Schüler vermisse. Liessmann zeigte sich zudem
verwundert, dass im Rahmen des Religionsunterrichts, entgegen der Kernkompetenz
der Glaubensvermittlung, vermehrt auf Ethik und andere Religionen eingegangen
wird.
Nationalrat und Bildungssprecher der Grünen Harald Walser bezog
sich hingegen auf seine Praxis als Schuldirektor und plädierte wiederholt für
die Einführung eines für alle Schüler verpflichtenden Ethik- und Religionenunterrichts.
Dieser gehöre vom Religionsunterricht entkoppelt, um eine freie und sachliche
Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen, die die österreichische Gesellschaft
beschäftigen, zu ermöglichen. Dieser Forderung schloss sich auch der Theologe
Anton Bucher, der sich mit der Evaluierung des Schulversuchs Ethikunterricht
intensiv befasst hat, an. Für Bucher haben "Ethik" und "Religion"
in einem gemeinsamen Fach zu verschmelzen.
Eytan Reif, Vorstandsmitglied
der "Initiative Religion ist Privatsache", veranschaulichte die fundamentalen
Unterschiede zwischen den Fächern "Ethik" und "Religion",
wie sie auch in der Praxis gelebt werden. Zahlreiche Themen, die im Rahmen des
Ethikunterrichts behandelt werden wie Geschlechterverhältnis, Menschenrechte
und Religionskritik, können im Rahmen des Religionsunterrichts nicht behandelt
werden. Für Reif liefert die homophobe Grundeinstellung der Orthodoxen Kirchen
gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen das beste Beispiel für die Absurdität
einer Entweder-oder Regelung, wie von der ÖVP und den Religionsgemeinschaften
gefordert. Für Reif sei zudem der gegenständliche politische Diskurs zur Einführung
eines Ethikunterrichtes als Ersatzpflichtgegenstand "verlogen", da
er lediglich die Sekundarstufe 2 betrifft und daher nicht die Wertevermittlung,
die ja bereits in einem früheren Alter zu beginnen hat, sondern die Verhinderung
der Abmeldung seitens religionsmündiger Schüler vom Religionsunterricht bezweckt.
Dabei bezog sich Reif auch auf die wiederholten Behauptungen Gerda Schaffelhofers,
der Präsidentin der Katholischen Aktion, wonach Ethik lediglich als Ersatz für
Religion, die, gegenüber Ethik, ohnehin "ein Mehr anbietet", zu betrachten
ist.
Der Wiener Experte für islamische Religionspädagogik Ednan Aslan
konzentrierte sich hingegen fast ausschließlich auf die IGGiÖ. Für ihn habe
der islamische Religionsunterricht um jeden Preis geschützt zu werden, um den
dringend notwendigen innergemeinschaftlichen Diskurs zu fördern und Radikalisierungstendenzen
entgegenzusteuern.
Für Eytan Reif veranschaulicht der Verlauf der Diskussion, dass bezüglich
der Rollen, die Religion und Ethik spielen und des Verhältnisses der beiden
zueinander, kein Konsens herrscht bzw. herrschen kann. "Dies entzieht jedoch
die Basis für das von der ÖVP und der Kirche favorisierte Ethikunterrichtsmodell,
das auf dem jetzigen Schulversuch basiert", so Reif, der zudem den derzeit
geltenden Schulversuch als "verfassungswidrig, und das gleich auf mehreren
Ebenen" betrachtet.
Das Team der Initiative Religion ist Privatsache