Wolfgang Sellinger
Sellinger
vor der "Galerie der Kirchenkritik":
Blick
in die Ausstellung
Fotos: © Martin Pauleser
Im beschaulichen Eichstätt mit seinen ca. 14.000 Einwohner ist der
Galerist Wolfgang Sellinger bekannt wie ein bunter Hund. Der ehemalige
Schuhhändler mischt sich grundsätzlich mit bunten großen Brillen,
eleganten Hüten und insgesamt auffallend farbenfroh und elegant
gekleidet unter die Menschen in der oberbayerischen Kleinstadt. Aber
damit nicht genug. Seit einigen Jahren betreibt der umtriebige 68jährige
Kaufmann mitten im Zentrum des katholischen Bischofssitzes eine
Kunstgalerie der besonderen Art, wie sie es sicherlich in ganz
Deutschland kein zweites Mal geben dürfte.
Sein ehemaliges Ladengeschäft in guter Lauflage nutzt Sellinger
nämlich als "Galerie der Kirchenkritik". Dort stellt er Gemälde, Plakate
und Skulpturen aus, die in aller Regel geeignet sind, gläubigen
Katholiken vor Empörung die Zornesröte ins Gesicht zu treiben. Nun hat der Unternehmer Sellinger in diesem Jahr juristisch
erstritten, in der säkularisierten Johanniskirche in Eichstätt gleich –
neben dem Dom – die seit geraumer Zeit als Ausstellungsraum genutzt
wird, seine umstrittenen Werke ausstellen zu dürfen.
Am vergangenen Samstag war es dann so weit. Die Ausstellung "Kirche
mit Kirchenkritik – gestern, heute, morgen" wurde von Wolfgang Sellinger
feierlich eröffnet. Für die kommenden zwei Wochen ist sie immer von
13:00 Uhr bis 18:00 Uhr bei freiem Eintritt für jedermann offen.
Gezeigt werden überwiegend Bildtafeln mit religions- und
kirchenkritischen Karikaturen, Gemälden und Zitaten von mehr und auch
weniger bekannten Persönlichkeiten. Außerdem Installationen wie z.B. die
"Zölibat-Tankstelle", umfunktionierte Toilettenschüsseln und
"Päderasten-Nektar" und "Pädophilen-Ejakulat". Größter Blickfang ist –
im hinteren Bereich wie auf einer Art Altar positioniert – ist ein
überdimensionierter Penis in Form eines christlichen Kreuzes. Gleich
beim Eingang hat Sellinger bildlich den geschäftsführenden Beamten der
Eichstätter Stadtverwaltung, Hans Bittl, und den Eichstätter
Oberbürgermeister Andreas Steppberger ans Kreuz genagelt.
Wolfgang Sellinger im lithurgisch lila-farbenen Hemd heißt gegen halb
sechs am Samstag Abend die ca. 60 Vernissage-Gäste in seiner
Ausstellung herzlich willkommen und übergibt umgehend das Mikrofon an
einen freundlich blickenden jungen Mann mit ähnlich gefärbtem Hemd und
kleiner schwarzer Fliege. Andreas Karlstetter ist Kunstlehrer, frei
schaffender Künstler und Mitglied der Säkularen Humanisten aus
Neuburg/Donau. Mit Sellinger verbindet ihn, wie er selbst sagt, "dass er
und ich den faktischen Wahrheitsgehalt sämtlicher Religionen
bezweifeln, allerdings bei unterschiedlichen Ausdrucksweisen im
öffentlichen Raum." Wo Sellinger "der Meister der Provokation" ist, sieht Karlstetter
sich in seinen säkularen Aktivitäten stets um einen "sachlichen Diskurs"
bemüht. Die punktuelle Zusammenarbeit von ihnen beiden, so Karlstetter,
muss zwangsläufig "eine spannende Mischung" ergeben.
Natürlich ist die Ausstellung der Galerie der Kirchenkritik
unglaublich provokant. Allerdings muss "eine demokratische Gesellschaft
im 21.Jahrhundert fähig sein, eine Ausstellung wie diese zu ertragen."
Und man dürfe zu keinem Zeitpunkt vergessen, dass jedermann die
Ausstellung besuchen könne, aber niemand zum Besuch gezwungen würde.
Eine Ausstellung wie die der "Galerie der Kirchenkritik" wäre, so
führte Karlstetter fort, vermutlich alleine dann schon überflüssig, wenn
alle Bürger und Bürgerinnen die Glaubens-, Meinungs- und
Pressefreiheit, die in der Bundesrepublik vom Gesetzgeber gesetzlich
garantiert ist, gleich hoch schätzen würden. Aus Sicht säkularer
Menschen gibt es allerdings noch jede Menge tatsächlichen
Handlungsbedarf, um die Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit für
jedermann, auch für säkulare Menschen, zu garantieren. Und ebensolchen,
um die Trennung von Staat und Kirche echte gesellschaftliche Realität
werden zu lassen.
Die Werke aus der "Galerie der Kirchenkritik" zeigen daher nicht nur
"plakative Kirchenkritik", sondern formulieren in ihrer Gesamtheit eine
"plakative Forderung an die Gesellschaft." Und weil, so Karlstetter
weiter, "diese Ausstellung laut und unübersehbar ist, provokativ und
unmissverständlich", leiste sie einen unverzichtbaren Beitrag zur
dringend notwendigen öffentlichen Debatte um die kirchliche/religiöse
Einflussnahme im Leben der Bürger auch heute noch, thematisiert u.a. das
Verhältnis der großen Religionen zur Sexualität, ihre Scheinheiligkeit
bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in den eigenen Reihen, ihre
unbeschreibbare finanzielle Privilegierung durch den deutschen Staat,
ihre Bigotterie allüberall, ihren unheilvollen Einfluss in Kindergärten
und Schulen und noch viele Themen mehr.
Wie auch der streitbare Wolfgang Sellinger macht Andreas Karlstetter
allerdings keinen Hehl daraus, dass auch für ihn der christliche Glaube
eher etwas für intellektuell nicht besonders entwickelte Menschen ist.
"Je größer der Dachschaden, desto schöner der Aufblick zum Himmel"
zitierte er in diesem Zusammenhang den großen Kirchenkritiker Karlheinz
Deschner. Die Religiosität nehme schließlich mit steigendem
Bildungsniveau ab, und sogar der ehemalige Kardinal Ratzinger verkündete
1979 bereits, dass "der christliche Gläubige eine einfache Person sei.
Und daher (sei es) Aufgabe der Bischöfe, den Glauben dieser kleinen
Leute vor dem Einfluss von Intellektuellen zu bewahren." In Anbetracht
allerdings der zahlreichen akademischen christlichen Politiker in den
höchsten Rängen – man betrachte u.a. Joachim Gauck, Angela Merkel,
Thomas de Maizière, Katrin Göring-Eckhardt … - muss diese Feststellung
vielleicht doch noch einmal neu bearbeitet werden.
In der Johanniskirche dauerte die Diskussion unter den Besuchern an
diesem Samstag noch lange an. Die Besucher diskutierten in kleinen
Gruppen bis zum Einbruch er Dunkelheit. Danach wich man in großer Runde
in die nahe gelegene italienische Gaststätte aus.
Wolfgang Sellinger, "der Ruhelose", hat derweilen schon die nächste
Provokation vorbereitet. Am idyllisch gelegenen Sellinger-Familiengrab
auf dem Eichstätter Friedhof mitten in der Stadt ließ er den Grabstein
künstlerisch umarbeiten. Auf einer golden glänzenden Messingtafel prangt
nun u.a. – weithin gut sichtbar in wunderbarem Blau – die Aufschrift
"Gebete und Opfer sind nutzlos", ein Zitat nach dem griechischen
Philosophen Aristoteles. Noch steht nicht fest, ob diese Grabänderung
von der Friedhofsverwaltung bereits bemerkt worden ist. Vermutlich hat
der gewiefte Sellinger sich vorab darüber Gewissheit verschafft, dass
diese ungewöhnliche Grabbeschriftung im katholischen Eichstätt durchaus
von der örtlichen Friedhofsordnung gedeckt ist. An zustimmenden
Reaktionen von Seiten der Stadtverwaltung oder gar der Kirche ist
Wolfgang Sellinger ziemlich sicher sowieso nicht interessiert.
Das Sellinger-Familiengrab zitiert Aristoteles: "Opfer und Gebete sind nutzlos"
Die Ausstellung "Kirche mit Kirchenkritik – Gestern, heute, morgen"
ist noch bis zum 21. August täglich von 13:00 bis 18:00 Uhr in der
umgewandelten Johanniskirche am Domplatz in Eichstätt zu sehen. Der Eintritt ist
frei.