Angeblich soll der EU-Fiskalpakt ja für "solide öffentliche
Finanzen" sorgen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Er zwingt die
Gemeinden in die Privatisierung der Infrastrukturen durch sog.
PPP-Projekte (Public-Private-Partnerschaft). Die Folgen: Die
Investitionen werden bis zu 30% teurer, dafür haben die Gemeinden sehr
viel weniger mitzureden.
Der EU-Fiskalpakt – bzw. der darauf beruhende österreichische
Stabilitätspakt - verpflichtet die österreichischen Gemeinden ab 2017
zum sog. "Nulldefizit". Die kommunalen Investitionen sind bereits in der
Vergangenheit seit dem EU-Beitritt deutlich zurückgegangen – von 1,4%
auf rd. 0,6% des BIP. Der verschärfte Spardruck trifft also auf einen
großen Bedarf an Investitionen in Instandhaltung und Ausbau von
Infrastrukturen – Kindergärten, Schulen, sozialer Wohnbau, Sozial- und
Gesundheitseinrichtungen, Wasser, Abfall, Öffentlicher Verkehr, Kultur-
und Freizeiteinrichtungen, uvm.
Wie gehen die Gemeinden mit diesem Dilemma um?
Im aktuellen
"Finanzrahmen sowie Strategiebericht der Stadt Wien 2017 - 2022" findet
man dazu eine interessante Aussage: "Wien wird sich auf politischer
Ebene weiterhin für eine ‚'Golden Rule' einsetzen, also für eine Ausnahme
von Investitionen aus den Fiskalregeln, um hier den nötigen Spielraum
zu schaffen. Derzeit ist eine derartige Ausnahme allerdings nicht
absehbar. Aufgrund dieser Situation greift die Stadt Wien zur
Beschaffung und Finanzierung von Großprojekten vermehrt auf den
Schuldenstand schonende Lebenszyklusmodelle zurück." (Budget
2017, Seite XIV1) Hinter dem
scheinbar harmlosen Begriff "Lebenszyklusmodell" versteckt sich die
Privatisierung der kommunalen Infrastrukturen - durch die Hintertür der
sog. PPP-Projekte (Public-Private-Partnerschaft). Das heißt: Ein
privates Unternehmen wird mit dem Bau und Betrieb einer Infrastruktur
über den ganzen "Lebenszyklus" betraut (z.B. 20 bis 30 Jahre), die
öffentliche Hand zahlt dem privaten Eigentümer dafür ein Mietentgelt.
Damit kann die Gemeinde ihre Schlinge aus den EU-Defizitvorgaben ziehen.
Denn nunmehr werden nur die jährlichen Mietentgelte dem Defizit
zugerechnet. Würde die Gemeinde die Investitionen dagegen selbst
durchführen und Eigentümer der Infrastruktur bleiben, würde die EU
sofort das gesamte Investitionsvolumen in das Defizit einrechnen.
Die Investition kommt in der Regel um vieles teurer,
wenn sie als PPP-Projekt abgewickelt wird. Denn öffentliche Haushalte
haben viel günstigere Refinanzierungsbedingungen. Private Investoren
müssen bis zu 4% höher Zinsen zahlen. Klarerweise rechnen sie diese
höheren Finanzierungskosten in die "Mietentgelte" ein, die ihnen die
öffentliche Hand zu zahlen hat. Diese Kosten erhöhen sich nochmals durch
die Aufsetzung kompliziertester Vertragswerke, die oftmals mehr als
20.000 Seiten umfassen, in denen das Verhältnis zwischen privatem
Eigentümer und öffentlichem Nutzer detailreich geregelt wird.
Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien verdienen daran ein kleines
Vermögen. Transparenz ist dabei ein Fremdwort, denn Verträge mit
Privaten unterliegen zumeist der Geheimhaltung.
Die öffentliche Hand verliert maßgeblich an demokratischen Einflussmöglichkeiten auf
die Nutzung, die laufende Ausgestaltung und flexible Weiterentwicklung
von Infrastrukturen, da diese eben einem Privaten gehören. Und dieser
will vor allem eines: Kosten sparen, um mehr Gewinn zu machen. Jede
zusätzliche Investition bzw. Adaptierung von Einrichtungen kann nicht
einfach beschlossen werden, sie muss dem privaten Eigentümer mühsam
abgerungen werden. Die jahrzehntelange Bindung an ein Unternehmen gibt
diesen auch ein enormes Erpressungspotential gegenüber den Gemeinden in
die Hand. Und das kann teuer werden. So hat in der BRD der Landkreis
Offenbach die Sanierung und Instandhaltung von 91 Schulen mit insgesamt
500 Schulgebäuden als PPP realisiert. Die ursprünglich vereinbarten
jährlichen Kosten von 52,1 Mio sind mittlerweile auf 82,2 Mio
geklettert. Bis 1919 sollen es dann 95,1 Millionen sein. Eine satte
Kostensteigerung um 82%.
Das Interesse des Privaten an Kostensenkungen gefährdet die Qualität von Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen.
Schlimmstes Beispiel in dieser Hinsicht war die Privatisierung des
britischen Schienennetzes, das zu einer regelrechten Verlotterung der
Infrastruktur und eine starken Zunahme von tödlichen Eisenbahnunglücken
führte. Auch für die Beschäftigten hat das negative Auswirkungen. Denn
der Kostendruck wird entsprechend an die Beschäftigten bzw.
Subunternehmen weitergereicht.
Nutznießer solcher PPP-Projekte sind in der Regeln nur einige wenige private Großkonzerne,
die zunehmend den Infrastrukturmarkt beherrschen, denn solche
langfristigen "Lebenszyklusmodelle" können in der Regel nur die ganz
Großen stemmen. Widerstand gegen PPP kommt daher nicht nur von
Gewerkschaften, sondern auch von klein- und mittelbetrieblichen
Unternehmen, die bei solchen Vergabemodellen zumeist durch die Finger
schauen. So hält der Raumplaner und Bürgermeister von Münster (BRD)
Gerhard Joksch gerade einmal ein Promille (!) der Bauunternehmen für
PPP-fähig. Joksch: "PPP ist eine Kampfansage an Klein- und Mittelbetriebe." (Standard, 7.12.2014)
DI Christoph Mayerhofer, Sektionsvorsitzender der Architektenkammer, beschreibt plastisch die Auswirkungen von PPP-Projekten: "Man
stelle sich vor, jemand möchte, um für die Zukunft seiner wachsenden
Familie vorzusorgen, ein Eigenheim errichten. Die Bonität ist
erstklassig, er zahlt Kredite stets pünktlich zurück und seine
Vermögenswerte übersteigen die aufzunehmende Summe um ein Vielfaches.
Die Banken reißen sich darum, ihm ein äußerst günstiges Darlehen zu
momentan minimalen Zinsen anzubieten. Dennoch zwingt ihn der
Gesetzgeber, die Wohnung über einen "Partner" errichten und betreiben zu
lassen, wodurch sie um fast ein Drittel teurer wird und er niemals die
volle Verfügung über seinen Wohnraum erlangt. Eine Geschichte aus
Schilda? Keineswegs, der Sachverhalt beschreibt ziemlich genau die
Situation, in der sich Länder und Gemeinden in der EU heute bei
Investitionen in Bauten für die Zukunftsvorsorge der Bevölkerung
befinden, etwa für Schulen oder Krankenhäuser. ... Dass…, wie im Falle
der Stadt Wien, die öffentliche Hand als Triple-A-Schuldner dazu
gezwungen wird, eine für den Steuerzahler ungleich teurere Finanzierung
im Umweg über ein privates Unternehmen zu wählen, lässt an den guten
Geistern der Brüsseler Gesetzgeber doch einigermaßen zweifeln".
Wien investiert zum Beispiel derzeit in die Errichtung von zehn neuen
Campusschulen. Um aber nicht in Konflikt mit den EU-Fiskalvorgaben bzw.
der EU-Kommission zu geraten, werden diese Bauten als PPP-Projekte
realisiert. Die privaten "Partner" sind ein Konsortium aus Porr
Solutions Immobilien- und Infrastrukturprojekte GmbH und Bank Austria
Real Invest GmbH. Bernhard Sommer, Vizepräsident der Architektenkammer
rechnet vor, was das zusätzlich kostet: "Das Budget der Stadt wird
durch die in Maastricht vereinbarten Maßnahmen zur Eindämmung der
Schulden um 20% bis 30% mehr belastet - bei nahezu völliger Aufgabe der
Einflussmöglichkeiten und Kontrollmöglichkeit der öffentlichen Hand auf
das, was mit dem Geld passiert" (2). Das Gesamtvolumen dieses
PPP-Projekts wird auf knapp 700 Millionen Euro veranschlagt, der
PPP-Aufschlag von 20% bis 30% macht also rund 140 bis 210 Millionen Euro
an zusätzlichen Kosten aus, die der/die Steuerzahler/in berappen darf.
Für private Kapitalgeber sind PPP-Projekte freilich attraktiv, da sie
ähnlich sicher wie Staatsanleihen sind, im Unterschied zu diesen aber
einen deutlich höheren Ertrag abwerfen.
Der EU-Fiskalpakt wurde uns als Instrument verkauft, um für "solide öffentliche Finanzen" zu sorgen. Doch der Zwang, der durch diese EU-Vorgaben in Richtung Privatisierung der Infrastrukturen ausgeübt wird, zeigt, dass es genau darum nicht, sondern um etwas ganz anderes geht: Die öffentlichen Schulden werden längerfristig sogar deutlich mehr, weniger wird die demokratische Verfügungsgewalt über die Organisation zentraler Infrastrukturen. Unter dem Vorwand von Defizit- und Schuldenbekämpfung findet eine enorme Macht- und Gewinnverschiebung zugunsten privater Großkonzerne und der EU-Technokratie statt.
Genau solche Fragen werden im aktuellen Wahlkampf weitestgehend ausgeblendet. Der US-amerikanische Linguistik Noam Chomsky hat diese Form der "Post-Demokratie", wie sie insbesondere in Wahlkämpfen inszeniert wird, folgendermaßen charakterisiert: "Der schlaueste Weg, Menschen passiv und folgsam zu halten, ist, das Spektrum akzeptierter Meinungen strikt zu limitieren, aber innerhalb dieses Spektrum sehr lebhafte Debatten zu erlauben." Solange der Ausbruch aus den EU-Vorgaben wie etwa dem Fiskalpakt tabuisiert wird, kann von einer ernsthaften Demokratie nicht die Rede sein. Denn für eine ernsthafte Demokratie ist es unerlässlich, dass die gewählten MandatarInnen – vom Bund bis zu den Gemeinden – sich aus dieser Entmündigung befreien und souverän über öffentliche Budgets, Investitionen und deren laufende Nutzung entscheiden können.