Vor kurzem erschien in dem Diskussionsforum "quora" die Frage (auf
Englisch): Wie kannst du die Relativitätstheorie einem zweijährigen Kind erklären?"
Ich hab's versucht, doch wohl ohne Erfolg.
Der Anfang ist leicht und sieht so aus:
Schau. Ich geh zu dir, du stehst still, ich stoße mit dir zusammen, beide sagen
"aua". Aber wenn ich still stehe und du auf mich zukommst, stoßen
wir immer noch zusammen und sagen beide "aua". Das ist Relativität.
Später kam ich drauf: Da fehlt was, das Entscheidende. In die Kindersprache
übersetzt:
Wir fahren mit dem Auto. Wir haben nur einen gewöhnlichen Toyota. Es gibt aber
ein Superauto, das ist ganz flach, ganz rot und ganz schnell, wie der Blitz.
So schnell ist kein anderes, so schnell kann kein anderes werden.
Aber stell dir vor. Dieses Auto ist immer gleich schnell. Wenn wir versuchen,
es aufzuholen, und selbst wenn wir ihm schon ganz nahe am Auspuff sind: Es bleibt
so schnell wie immer. Wenn wir auf der anderen Fahrbahn auf es zurasen, ist
seine Geschwindigkeit immer noch die gleiche. Das Auto hat auch einen Namen:
Es heißt "Licht".
Soweit so gut, aber den Rest würde das Kind nicht verstehen (und die meisten
Erwachsenen auch nicht, obwohl sie das nicht zugeben): Wenn ein anderes Superauto,
sagen wir ein schwarzer BMW, sehr schnell fährt, nicht ganz so schnell wie
der Rote, aber doch ihm nahe, und wir stehen still, dann sieht der Schwarze
gestaucht aus, und sein Fahrer wird viel langsamer alt. Die erste Erscheinung
heißt "Raumstauchung" oder "Längenkontraktion", Fachausdruck:
Lorentz-Kontraktion. Die zweite Erscheinung heißt "Zeitdehnung" oder
"Uhrenverlangsamung". Womit alles über die (spezielle) Relativitätstheorie
gesagt ist,
Bloß: Wie sollen wir uns das vorstellen. Dass ein schnell bewegtes Objekt gestaucht
wird - oder gestaucht erscheint? Ist es real? Natürlich, Einstein sagte 1938:
"... hat die Beobachtung den Beweis dafür erbracht, daß ein Stab seine
Länge wirklich ändert."
Natürlich NICHT, sagte Nobelpreisträger Max Born (einer der Mitbegründer
der Quantenphysik) in seinem berühmten Lehrbuch der Relativitätstheorie aus
dem Jahre 1922. Denn die Sache ist in Wirklichkeit so:
"Wenn ich mir von einer Wurst eine Scheibe abschneide, so wird diese größer
oder kleiner, je nachdem ich mehr oder weniger schief schneide. Es ist sinnlos,
die verschiedenen Größen der Wurstscheiben als "scheinbar" zu bezeichnen,
und etwa die kleinste, die bei senkrechtem Schnitt entsteht, als die "wirkliche"
Große."
Jetzt bin ich aber verwirrt: Ist die größere Wurst nur scheinbar kleiner
als die gleich große, aber doch irgendwie größer aussehende andere Hälfte?
Glücklicherweise erinnerte ich mich an eine Fernsehsendung, wo dieses Problem
auf erschöpfende (und für alle hoffentlich eindeutige) Weise erörtert und
gelöst wurde. Nein, der Sprecher war nicht Harald Lesch:
Wäre die eine Hälfte der zwei gleich großen Hälften von diesem Kosakenzipfel
größer als diese kleinere Hälfte (Einwand: die absolut gleich große Hälfte),
oder wäre die kleinere Hälfte (Einwand: die gleich große Hälfte) - wäre
diese Hälfte etwa größer als eine von diesen beiden gleich großen Hälften?
(Loriot: Kosakenzipfel)
Der Kellner löste das Problem auf pragmatische Art: "Erst habe ich den
einen Kosakenzipfel gebracht, dann den anderen." Wenn nur alles so einfach
wäre! Immerhin beseitigen Roman Sexl und Herbert Kurt Schmidt in ihrem Buch
"Raum - Zeit - Relativität" (Rowohlt, Hamburg 1978) schließlich
jegliche Klarheit:
Für uns ist heute die Lorentz-Kontraktion nicht ... real... Das bedeutet jedoch
nicht, dass [sie] nur scheinbar vorhanden ist und sich einer Beobachtung entzieht.
Und ich dachte immer, die Physik wäre die exakteste aller Wissenschaften!
Mehr dazu in meinem Buch
"Einsteins einmalige Einsichten"!