Wenig begeistert waren leitende katholische Funktionäre in Österreich über die
am 28.6. 2010 an die Öffentlichkeit gebrachte Pfarrerbefragung, die der Pastoraltheologe
Paul Zulehner organisierte. Dazu wurden rund 500 österreichische Priester
telefonisch
über ihre Meinung zu einer Reihe von kirchlichen Problemen befragt.
Das
Ergebnis war aufschlussreich: 74 Prozent der Pfarrer meinen, dass das Kirchenvolk
in wichtigen Fragen anders denkt als die Kirchenführung, 52 Prozent tun es selber
auch. Den Pflichtzölibat wollen 80 Prozent abschaffen, 51 Prozent sind
dafür, auch die Weihe von Frauen zu Priestern zuzulassen. 64 Prozent sagen, die
Kirche soll sich der modernen Welt mehr öffnen. 39 Prozent wollen jedoch eine
deutliche Unterscheidung der Kirche von der modernen Welt. 86 Prozent der Pfarrer
treten dafür ein, dass Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils entschlossener
durchgeführt werden. Während die katholische Vertuscherfraktion sich immer noch
bemüht, die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche kleinzureden, meinen
76 Prozent der Befragten, dass dieses Thema für die Kirche ein größeres
Problem sei als für andere Institutionen. 80 Prozent sind der Meinung, dass
sexueller Missbrauch zum Anlass genommen werden soll, grundsätzlich über den
kirchlichen Umgang mit Sexualität nachzudenken. Auffällig war allerdings,
dass jüngere Priester sich modernitätsskeptischer äußerten. Was wohl daran
liegen wird, dass heute die Bedingungen für den Priesterberuf konservative Kandidaten
eher anziehen, der Welt zugewandtere Interessenten tun sich das besser nicht
an.
Besonders bemerkenswert ist die folgende Aussage: 67 Prozent stimmen in Bezug auf ihr persönliches eheloses Leben der Aussage zu:
"Ich habe einen eigenständigen Weg gefunden, den ich verantworten kann!"
Das kann alles bedeuten: Ich habe eine Freundin, einen Freund, ich habe
gelegentlich Verhältnisse, ich gehe zu Prostituierten. Sicher nicht heißt
diese Antwort: ich habe keine Liebesbeziehungen und lebe sexuell enthaltsam.
Weil das wäre nicht "eigenständig", sondern die vorgeschriebene Lebensweise,
die ein Priester nicht extra "verantworten" muss. Eigenständig
verantworten muss er es nur, wenn er nicht enthaltsam lebt! Zweidrittel
pfeifen somit höchstwahrscheinlich auf die kirchlichen Sexualverbote
für Priester, sie halten zwar den Zölibat ein, haben aber trotzdem irgendeine Art von
Liebesleben. 69 Prozent stellen
fest, dass sie mit ihrem ehelosen Leben bisher recht glücklich waren.
Prof.
Zulehner stellte fest, es sei nicht Aufgabe dieser Studie gewesen, näher
zu erforschen, "was das im konkreten Lebensvollzug bedeutet" und welche
Formen von Beziehungen damit gemeint sein könnten. In diesem Punkt werde
jedoch deutlich, dass die Kirchenleitung zu einem Großteil den Zugriff auf die
Lebensgestaltung der Geistlichen verloren habe. Die Betroffenen sprechen diese Frage
nicht mehr offen an, sondern gehen ihren Weg "selbst verantwortet",
dadurch wären sie im Durchschnitt auch zufriedener als in früheren Jahren. Zulehner
versuchte in einer "kreuz & quer"-TV-Diskussion am 29.6. dazu
dann doch präziser zu sein, er sprach von 29 %, die bei einer Freundin und von
47 %, die bei einem Freund "daheim" seien, man habe vermutlich wesentlich
mehr "homosexuelle Paare im Klerus" als bisher angenommen. Leider
wurde die Diskussion zu diesen Aspekten nicht fortgeführt.
Wenn
67 Prozent einen "eigenständigen Weg" gefunden haben und 69 Prozent
feststellten, dass sie mit ihrem ehelosen Leben bisher "recht glücklich"
waren, dann kann das auch als Hinweis gewertet werden, dass solche Undercover-Zweisamkeiten
als praktikabel erlebt werden. Man hat keinen Ehestress, keine familiären
Probleme und ist trotzdem nicht darauf angewiesen, zu sich selber "zärtlich"
sein zu müssen. Das Zölibatproblem wird somit von vielen Priestern in der Lebensrealität
durch
selbstständiges Handeln gelöst. Und homosexuelle Paare werden vermutlich davon
ausgehen, dass es besser ist, ehelos zweisam zu leben, statt durch eine "eingetragene
Partnerschaft" die Kirche in Verwirrung zu stürzen.
Die Hierarchie weiß das natürlich,
aber sie weiß auch, wie man damit umgeht. Nämlich: erstens schweigend
und zweitens tolerierend.
Wir sind also wieder am Kernpunkt der katholischen Praxis: Beim Heucheln. Wäre Heucheln eine Sportart, die katholische Kirche gewänne mit Sicherheit sämtliche Medaillen bei allen Staats-, Europa- und Weltmeisterschaften.