Meldung des TAGESSPIEGEL vom 3.8.2011:
So schlecht waren die Beziehungen zwischen dem katholischen Irland und dem
Vatikan noch nie. Nach einer harten Attacke von Premierminister Enda Kenny auf
die Leitung der katholischen Kirche hat Rom seinen Botschafter in Dublin, Erzbischof
Giuseppe Leanza, zu Beratungen zurückgerufen - ein für den Vatikan beispielloser
diplomatischer Affront. Irland wiederum lässt den eigenen, im Juni durch Pensionierung
freigewordenen Botschafterposten beim Papst unbesetzt.
Auslöser der Krise
war der "Cloyne-Report". Es ist bereits der vierte von einer Regierungskommission
erstellte Bericht über die tausendfachen Missbrauchsfälle in den Diözesen Irlands.
Wie
seine 2005 und 2009 erschienenen Vorgänger, so beschuldigt auch das neue, gut
400-seitige Dokument die Kirche, die Vergehen von Priestern - vierzig in diesem
Fall - vertuscht und weder den staatlichen Behörden noch der kircheninternen
Strafverfolgung angezeigt zu haben. Untersucht wurden Vorgänge in der südirischen
Diözese Cloyne im Zeitraum zwischen 1995 und 2009; Hauptbeschuldigter ist der
damalige Bischof John Magee, der sich - so der Bericht - für das Thema sexueller
Missbrauch von Kindern "wenig oder gar nicht interessiert" habe. Magee,
der zwischen 1969 und 1982 sogar persönlicher Sekretär dreier Päpste war, hatte
die Behandlung von Missbrauchsfällen an einen Mitarbeiter abgetreten. Dieser,
so der Bericht, habe die Anschuldigungen gegen Kleriker zwar für glaubwürdig
gehalten, aber nichts unternommen; nicht einmal der innerkirchlichen Anzeigepflicht
sei die Diözese Cloyne damit nachgekommen.
Premierminister Kenny nutzte
die Ergebnisse des Berichts nun zu einem schweren Angriff auf den Vatikan. Der
Heilige Stuhl habe die Ermittlungen eines "souveränen und demokratischen
Staates behindert", sagte er im Parlament. "Vergewaltigung und Folter
von Kindern wurden heruntergespielt, nur um die Macht und den Ruf der Institution
Kirche zu erhalten." Dies sei ein Beispiel für das "elitäre Denken,
den Narzissmus und die Entfernung von der Realität", wie sie in der "Kultur
des Vatikans" vorherrschten.
Kenny hat - so lassen sich die irischen
Medien interpretieren - nur die Stimmung im Volk wiedergegeben und der Forderung
im eigenen Land Nachdruck verliehen, der Papst solle "endlich etwas unternehmen".
Der Vatikan antwortete, die eigenen "objektiven und entschlossenen"
Untersuchungen, der "Prozess der Buße und der Reinigung" gingen voran;
man sei "im Zeitplan".
Anfang 2010 hatte Benedikt XVI. die
Oberhirten der 26 irischen Diözesen nach Rom zitiert. Sie mussten ein Dokument
gegen die "abscheulichen Verbrechen" des sexuellen Missbrauchs unterschreiben
und - an die eigene Adresse gerichtet - das "Versagen der kirchlichen Autoritäten
in Irland über viele Jahre hinweg" zugeben.
Im März 2010 schrieb
der Papst dann einen Hirtenbrief an die irischen Katholiken, in dem er "Demut,
Scham und Reue" bekundete und die schuldigen Kleriker anklagte, sie hätten
"der Kirche und dem öffentlichen Bild vom Priestertum schweren Schaden
zugefügt". Die Täter sollten nunmehr "offen ihre Schuld zugeben, ohne
etwas zu verheimlichen", sowie "persönlich Schadenersatz leisten".
Dann schickte der Papst fünf Erzbischöfe zu einem umfassenden Kontrollbesuch
nach Irland. Seit dieser "Apostolischen Visite" und dem Rücktritt
von insgesamt fünf Bischöfen ist aber nichts weiter passiert, und Irland wird
nun ungeduldig.