In Österreich kennen wir das ja: die türkischen Rechtsextremisten erfreuen sich der Zuneigung aus den größeren Parteien. Etwa in Vorarlberg, wo die ÖVP den "Grauen Wölfen" freundlich gegenübersteht oder in Linz, wo die SPÖ dieser Organisation sehr gerne städtische Räumlichkeiten für Veranstaltungen überlässt und politische Kontakte pflegt. Weil die "Grauen Wölfe" sorgen dafür, dass die jeweiligen "Wolfsrudel" bei den Wahlen den lokalen "Sultan" unterstützen. Einen ÖVP-Sultan oder einen SPÖ-Sultan. Dass es in Deutschland auch nicht anders ist, zeigt der folgende Bericht:
Integration ist kein einfaches Thema
Viele Einwanderer beklagen,
dass deutsche Politiker über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Viele Migranten
engagieren sich aber auch in den Volksparteien. Dass darunter auch ultra-nationalistische
Extremisten sind, wollen Union und SPD mitunter gar nicht so genau wissen.Die
Grauen Wölfe nutzen diese Ignoranz aus. Verfassungsschützer warnen bereits vor
einem Einsickern der türkischen Ultra-Nationalisten in die etablierten Parteien.
Die Behörden verweisen auf demokratiefeindliche Haltungen und die Feindbilder,
die von den Grauen Wölfen propagiert werden: Kurden, Armenier, Juden, Christen,
Homosexuelle.
Doch in der Politik finden die Warnungen erstaunlich wenig
Gehör. In der Dekade seit den Anschlägen vom 11. September hat sich die Debatte
fast ausschließlich auf die Bedrohung durch islamistische Extremisten verengt.
Marsch
durch die Institutionen
Dabei wächst mit der längst überfälligen Öffnung
der Parteien für Migranten auch das Risiko, dass dort nationalistische Extremisten
Fuß fassen. Die SPD-Führung will auf dem Parteitag Anfang Dezember für ihre
Gremien eine 15-Prozent-Quote für "Menschen mit Migrationsgeschichte"
beschließen lassen. Eine Debatte, dass dadurch möglicherweise auch Extremisten
auf höchster Ebene salonfähig werden könnten, findet nicht statt.
Dabei hat
der Marsch der Grauen Wölfe durch die Institutionen längst begonnen. Das zeigt
ein Beispiel aus Wetzlar. Noch Anfang des Jahres stand der türkisch-stämmige
Bayram Serin für die SPD auf der Kandidatenliste der damals anstehenden Kommunalwahl.
Die Partei hielt den Vorsitzenden des Ausländerbeirats für einen Glücksgriff.
Mit ihm wollte sie unter türkischstämmigen Wählern punkten. Doch dann kam heraus,
dass Serin im Vorstand des örtlichen Vereins der Grauen Wölfe war. Er zog sich
zwar von der Kommunalwahlliste zurück, blieb aber weiter in der SPD.
Im Ortsverein
scheut man ein Parteiordnungsverfahren und hat erst mal eine Anfrage im Willy-Brandt-Haus
gestellt, ob eine Mitgliedschaft in der türkischen Mutterpartei der Grauen Wölfe,
der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP), mit der SPD vereinbar
ist. Eine Antwort aus Berlin haben die hessischen Genossen bislang noch nicht.
Türkische
Innenpolitik
Immer wieder gibt es Hinweise, dass türkische Radikale sich
in etablierte Parteien einschleichen. In Krefeld, Köln oder Wiesbaden gab es
ähnlich gelagerte Fälle wie in Wetzlar. Der Düsseldorfer Landtagsabgeordnete
Serdar Yüksel (SPD) klagt, dass in NRW das Deutsch-Türkische Forum der CDU und
auch vereinzelt seine Partei von Mitgliedern der Grauen Wölfe infiltriert seien.
"Auch in Integrationsbeiräten sind die Grauen Wölfe inzwischen sehr präsent".
Dabei
ist die Sorge, die Infiltration habe eine Türkifizierung der deutschen Politik
zum Ziel, unbegründet. Dafür sind die extremistischen Gruppen zu klein und es
ist auch nicht ihr Ziel, Deutschland zu einem Teil der Türkei zu machen. Sie
wollen hier vielmehr "türkische Innenpolitik" betreiben. So sollen
deutsche Politiker im Sinne türkisch-nationalistischer Positionen beeinflusst
werden. Angefangen von der Definitionshoheit über die türkische Kultur bis hin
zu brisanten Themen wie der Kurden- oder Armenierfrage.
Doch das Thema wird
tabuisiert. Wenn es durch Medienberichte aufkommt, setzen Kommunalpolitiker
meist auf einen integrativen Dialog. Dahinter steckt die Hoffnung, der "extremistische
Überbau" der Mitglieder werde sich durch die Mitarbeit in demokratisch
gewählten Zirkeln mit der Zeit schon abschleifen.
Scheu vor offenen Worten
Der Bielefelder Soziologe Emre Arslan
hat über die Mythenbildung in Deutschland lebender Mitglieder der Grauen Wölfe
geforscht. Er hält diese Hoffnung für trügerisch. "Wenn Mitglieder der
Grauen Wölfe in Parteien und Parlamente gehen, ist es nicht ihre Absicht, Demokratie
zu lernen, sondern politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen",
sagt er. Außerdem wüchse ihre Anerkennung in der türkischen Community, wenn
sie durch ihr politisches Engagement an Informationen und Ressourcen gelangen.
Würde
ein vergleichbarer integrativer Dialog mit Vertretern des deutschen Rechtsextremismus
gepflegt, wären NPD-Abgeordnete inzwischen längst salonfähig. Das sind sie aber
aus gutem Grund nicht. Für türkische Rechtsextreme soll das nicht gelten. Warum
eigentlich?
Eine Erklärung könnte die Scheu vieler Politiker vor offenen
Worten in der Integrationspolitik sein. Solange sich türkische Ultra-Nationalisten
an die demokratischen Spielregeln halten, wird ihr ideologischer Hintergrund
ausgeblendet oder als "kulturspezifisch" verharmlost. Als Pflichtübung
gehen Kommunalpolitiker zum Fastenbrechen auch in Moschee, von Vereinen der
Ultra-Nationalisten oder lassen sich auf Integrationsfesten beim Verzehr "türkischer
Köstlichkeiten" ablichten. Der politische Hintergrund der rund 150 Vereine
der Grauen Wölfe in Deutschland interessiert sie nicht. Das Politische wird
gleichsam als Privatsache behandelt.
Ehrliches Interesse fehlt
Claudia
Dantschke kennt viele Beispiele für diese Ignoranz. Die Rechtsextremismus-Expertin
vom Berliner Zentrum Demokratische Kultur wird von Kommunen und Bildungsträgern
als Referentin eingeladen, wenn es geknallt hat. Wenn etwa kurdische und türkisch-nationalistisch
gesinnte Jugendliche aufeinander losgegangen sind. Dann vermittelt sie Politikern
und Pädagogen Basiswissen über diese Formen des Extremismus. "Es wird immer
noch paternalistische Politik gegenüber Migranten betrieben. Es fehlt ein ehrliches
Interesse", sagt sie. Das gelte oft auch gegenüber den eigenen Parteimitgliedern.
Wer sich ernsthaft für seine Parteifreunde interessiere, könne auch ohne Gesinnungsschnüffelei
leicht erkennen, wenn sich ein ideologischer Hardliner ein demokratisches Deckmäntelchen
übergestreift hat.
Die Hoffnung, dass sich das Problem des nationalistischen
Extremismus bei den hier aufwachsenden Jugendlichen von alleine lösen wird,
ist trügerisch. Lehrer und Sozialarbeiter berichten von einer "Re-Nationalisierung"
der Schulhöfe. Die Herkunftskultur der Eltern habe inzwischen eine viel größere
Bedeutung als noch vor wenigen Jahren. Solange Migranten in der Schule oder
auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden, wird die Sehnsucht, irgendwo richtig
dazu zu gehören, weiter wachsen. Mythen wie die vom Grauen Wolf (türk.: Bozkurt),
der das türkische Volk aus einer bedrohlichen Situation heraus geführt haben
soll, können dabei identitätsbildend sein. In zahllosen Internetvideos verherrlichen
hier aufgewachsene Jugendliche ihr Türkentum. Die Selbstethnisierung von Teilen
der Einwanderungsgesellschaft ist längst Realität.
Vor diesem Hintergrund
scheint es fatal, dass dem ansteigenden Wolfsgeheul in der deutschen Politik
bislang so gut wie nichts entgegengesetzt wird. Doch in den Parteien regt sich
dagegen inzwischen Widerstand. Die Vorreiter sind selbst Kinder von Einwanderern.
Im
Kern faschistoid
"Diesen Rechtsextremismus haben unsere Eltern in
der Türkei erleben müssen", sagt Ohannes Altunkaya. Er stammt aus einer
aramäisch-armenischen Familie und ist Mitglied der CDU. Er will nicht hinnehmen,
dass in seiner eigenen Partei Mitglieder von einer vermeintlichen Überlegenheit
des Türkentums schwärmen. Der junge Frankfurter engagiert sich im Christlich-Alevitischen
Freundeskreis (CAF) der CDU. Der CAF will innerhalb der Partei Aufklärungsarbeit
über ultra-nationalistische Tendenzen betreiben und setzt sich kritisch mit
politisch aktiven Personen aus diesem Umfeld auseinander.
Auch in der SPD
gibt es Mitglieder, die das Tabu aufbrechen wollen. Der Landtagsabgeordnete
Yüksel will auf dem kommenden Parteitag einen Antrag einbringen, wonach SPD-Mitglieder
nicht in der MHP sein können. "Wer in der SPD ist, kann nicht Ziele einer
im Kern faschistoiden Partei vertreten, das widerspricht all unseren Idealen",
sagt Yüksel. Die Unzufriedenheit mit dem Kurs der Partei in dieser Frage ist
auch bei Gesprächen mit anderen Genossen türkischer Herkunft spürbar. "Nur
um an Stimmen von türkisch-stämmigen Wählern ranzukommen, darf das Thema Nationalismus
nicht länger tot geschwiegen werden", sagt ein Sozialdemokrat aus Bayern.
Er betreibt hinter den Kulissen Aufklärungsarbeit über Ultra-Nationalisten und
will deshalb nicht namentlich genannt werden.
Allein der Wetzlarer Fall bezeugt
schon die Dimension des Problems. Das frühere Vorstandsmitglied des dortigen
Vereins der Grauen Wölfe, Habib Yalcin, erzählt, dass Serin als junger Mann
von den Altvorderen ausgeguckt wurde, um den Verein nach außen zu vertreten.
Er droht: "Wenn ihr Leute wie ihn aus der Partei rausschmeißt, habt ihr
bald keinen Nachwuchs mehr".
Hintergrund
Die Grauen Wölfe bezeichnen sich selbst als Ülkücüler
(Idealisten). In der Bundesrepublik werden etwa 150 Vereine mit rund 7.000 Mitgliedern
von den Behörden der Dachorganistaion Föderation der Türkisch-Demokratischen
Idealistenvereine in Deutschland ADÜTDF zugerechnet. Der Name der Grauen Wölfe
ist an den himmlischen Wolf aus der türkischen Mythologie angelehnt, die Ideologie
der Ülkücüler setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, darunter die
Überhöhung der türkischen Nation, dem Panturkismus und Feindbildern, "zu
denen in unterschiedlichen Kombinationen variable Verschwörungstheorien entwickelt
werden" (Verfassungsschutz). Der ADÜTDF wird von den deutschen Behörden
vorgeworfen, "zur Entstehung einer Parallelgesellschaft in Europa"
beizutragen und "ein Hindernis für die Integration der türkischstämmigen
Bevölkerung" darzustellen.