Sepp Rothwangl nimmt Stellung

Sepp Rothwangl, Sprecher der Plattform Betroffener über den Sinn der ICC Beschwerde in Den Haag (siehe Info Nr. 594 und "Opfer klagen Vatikan") und das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien:

Die unzähligen Fälle von Kinderschändung und deren absichtliche Verheimlichung innerhalb der katholischen Kirche weltweit, die nun dem internationalem Strafgerichtshof vorgelegt wurden zeigen einen Circulus vitiosus auf, der endlich unterbrochen werden muss, will unsere Gesellschaft nicht in die Spaltung einer privilegierten Priesterkaste mit deren Anhängern und einem immer größer werdenden Bevölkerungsteil in Verwahrlosung.

Die bisher ungestraft, unkontrolliert und weiterhin erfolgende Kindermisshandlung, die von Klerikern gleichsam mit der Hand Jesu durchgeführt wird, hat vielfältige Auswirkungen auf die Betroffenen und weiter auf die Gesellschaft. Durch die schwere der seelischen Auswirkung, die Schande, das Gefühl der Besudelung und die Schuldgefühle, welche durch die Tabuisierung ausgelöst werden, dauert es meist Jahrzehnte bis eine heilende Aufarbeitung angegangen wird. Schnelle Behandlung wie bei einem Unfall, einer Infektion und damit eine Ausschaltung der Ursache oder Vorbeugung ist bei diesem Formenkreis daher nicht möglich. Es ist wie bei einer Infektion mit enorm langer Inkubationszeit, wo die Krankheit erst nach vielen Jahren ausbricht. Der Verursacher der Ansteckung ist meist selbst schon tot oder kann nicht mehr ausgeforscht werden, und da der Schaden so spät auftritt, wird oft auch der Zusammenhang nicht erkannt. Das Spektrum der Betroffenheit ist zweifellos riesig, dennoch möchte ich eine vage Einteilung in vier Gruppen versuchen:
1. Betroffene, die mit ihrem Schicksal allein irgendwie fertig werden, es verdrängen, vielleicht unerklärlich durch Suizid sterben und als Dunkelziffer in die Statistik eingehen.
2. Betroffene, die es durch rechtzeitige Therapie schaffen, ein halbwegs gesundes Leben zu führen.
3. Betroffene, deren Leben nachhaltig zerstört wurde und welchen durch die Grenzüberschreitung ihres Egos so großer Schaden entstand, dass sie selber keine Grenzen mehr erkennen und den Boden unter den Füßen verlieren. Beziehungsunfähigkeit, Kontrollverlust, Alkoholismus, Sucht, psychiatrische Erkrankungen und Suizid stehen meist am Ende.
4. Betroffene, die das ihnen Angetane so weit verinnerlichen und verarbeiten, dass sie es in ihr eigenes Verhalten integrieren und später selbst zu Tätern werden. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von kirchlichen Tätern gab an, selbst als Kind von einem Priester in diese Form der Sexualität eingeführt worden zu sein. Im geschützten Raum der Kirche leben diese Täter geradezu wie die Maden im Speck und das Zölibat scheint diese Menschengruppe regelrecht für die katholische Kirche auszusieben. Wie kann es sonst sein, dass eine Statistik zeigt, die Prozentzahl an Pädophilen sein in der Kirche um das 17-fache höher als im der Durchschnitt der Bevölkerung. Die finanzielle Macht der Kirche mit der sie ihr Ansehen ständig stützt und so Vertrauen gewinnt, bietet Betroffenen, die sich zu Tätern wandeln, Attraktivität und Sicherheit. So lange pädophile Kleriker in dieser vierten Gruppe geschützt und unkontrolliert sind, werden sie ihre Neigung auch umsetzen und zu Pädokriminellen werden. Wie die bisherige Praxis zeigt, regiert die Kirchenführung in allen Fällen, wo ihr Dinge dieser Art zuerst bekannt wurden, mit Verheimlichung, Vertuschung, Verniedlichung oder Verleugnung, um damit ihr Ansehen zu wahren. Die Täter wurden versetzt und setzten an anderer Stelle ihre unheilvolle, erst spät erkannte Spur seelischer Verwüstung fort. Wie sich klar zeigt, erzeugt jeder dieser Täter zig, wenn nicht hunderte Betroffene, worunter leider vielleicht einige sind, die die diesen Kreislauf weiter führen.

Der Schaden, den Betroffene in den Gruppen 1 - 3 erleiden, trifft allerdings nicht nur sie selbst, sondern auch die Gesellschaft durch Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Frühpensionierung usw. Diesen volkswirtschaftlichen Schaden entschädigen nicht die Verursacher, sondern die ganze Gesellschaft. Besonders dramatisch ist, wenn Betroffene schildern, dass aus ihrer Jugendgruppe mehrere von dem selben Kleriker geschändet wurden, und dann sahen, dass 90% aus ihrer Gruppe verwahrlosten, in Sucht Psychiatrie oder Suizid endeten.

Es scheint paradox, aber die Betroffenen aus Gruppe 4, welche in diesem klerikalen pädokriminellen System gefangen den Kreislauf weiterführen, und den größten gesellschaftlichen Schaden anrichten, brachten der Kirche selbst bisher keinen Schaden, sondern sogar Nutzen. Erstens sind sie es, die als meist besonders charismatisch wirkende Vorbilder einige Wenige durch ihre sexuelle Handlungen verführen und anstiften selbst als Kleriker wieder in dieser Weise aktiv zu werden ..., also der Kirche durch Personalrekrutierung helfen. Zweitens erzeugen sie bisher völlig unerkannt eine Unzahl von weiteren Betroffen, die als Sozialfälle dann auf der Straße landen und für deren Betreuung die kirchliche Caritas dann Gelder von der Öffentlichkeit sammelt. Ein herrlicher Kreislauf von Arbeitsbeschaffung durch von der Kirche selbst erzeugte Opfer, für deren Betreuung die Kirche um Mittel bittet, um damit die Caritas zu finanzieren. Dass dieses Geschäftsmodell aber auch global mit Anzettelung von Kriegen funktioniert, wird durch die Lektüre von K.H. Deschner offensichtlich.

Wenn unsere Gesellschaft nicht erkennt, wohin diese Reise geht und den Privilegien der Kirchen nicht Einhalt gebietet, so geht es in kulturellen und gesellschaftlichen Abgrund, denn ein verdorbenes unrealistisches Weltbild kann auf Dauer nicht den Anforderungen gerecht werden, das ein Überleben im Konkurrenzkampf mit Unbill der Natur und beschränkten Ressourcen ermöglicht. Wer an Absurditäten glaubt, begeht Grausamkeiten. Beenden wir an eine Kirche mit einer absurden Religion zu glauben, und wenden wir uns der Realität im Hier und Heute zu, um die Zukunft zu erleben. Die wortwörtliche Erfüllung zweitausendjähriger sehnsüchtiger Phantasien von Predigern eines unterdrückten Hirtenvolkes bringt uns nicht weiter. Deshalb weg mit den Privilegien der ewig Gestrigen, die vorgeben im Besitz der Vergangenheit zu sein und die Geschichte und die Zeitrechnung der Vergangenheit doch nur zu ihrem Nutzen verfälschen. Nehmen wir im Hier und Jetzt die Zukunft in die Hand. Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien unterschreiben!

Sepp Rothwangl, Obmann der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt.