Auf der Site idea.de wird unter dem Titel "Verstehen wir die Menschen?" aus dem Bericht vom 1.11.2012 des evangelischen Bischofs Gerhard Ulrich an die Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) zitiert. Bischof Ulrich hat offenbar einen ungewöhnlich realistischen Blick in die Welt geworfen. Er sagte nämlich u.a.: "Antworten wir auf Fragen, die tatsächlich gestellt sind?" Es gelte, darüber nachzudenken, wie ein Mensch sein Leben und Denken beschreibe, "der ganz und gar ohne jede Bindung an Gottes Wort oder eine Konfession aufgewachsen ist und für sich mit Recht sagt, er sei ganz gut ohne ausgekommen? Verstehen wir, was er oder sie denkt, sagt, tut?" Man müsse fragen, ob die Kirche offensiv Themen aufgreife, die für die Menschen zentral wichtig seien. Dafür seien Aus-, Fort- und Weiterbildung von zentraler Bedeutung. Jetzt stehe die Kirchen vor der Frage, "was wir eigentlich dafür tun können, dass Menschen heute sich die Einsichten des christlichen Glaubens für sich persönlich aneignen, sich darin vertiefen, dass sie ihre Zuversicht im Leben und im Sterben auf Gott setzen".
Seine Wahrnehmung, dass religionsfrei aufgewachsene Menschen nichts vermissen,
ist eine klare Einsicht. Ich bin zwar ebenfalls in einer religionsfreien
Familie aufgewachsen, aber der damalige gesellschaftliche religiöse Terror verhinderte
es lange Zeit, religionsfrei leben zu können. Ich wurde getauft und musste den
Religionsunterricht besuchen. Wie die Leute, die meine Site regelmäßig besuchen,
eh schon wahrlich oft genug vorgesetzt bekamen, hat sich daraus eine heftige
und bis ins Pensionsalter anhaltende Aversion gegen Religionen entwickelt. Meine
Söhne sind ebenfalls religionsfrei aufgewachsen, aber heutzutage geht das gesellschaftlich
wirklich, sie brauchten sich fast nimmer gegen religiöse Unterdrückungsversuche
zu wehren. Religion ist ihnen einfach egal, ihren Vater sehen sie als kuriosen
Spinner, der seine Zeit damit vertut, gegen Sachen zu argumentieren, die für
normale Menschen wie sie bedeutungslos sind.
Und hier sitzt für die
religiösen Funktionäre das tatsächliche Problem. Sie können nämlich nichts
tun, damit "Menschen heute sich die Einsichten des christlichen Glaubens
für sich persönlich aneignen, sich darin vertiefen, dass sie ihre Zuversicht
im Leben und im Sterben auf Gott setzen". Der christliche Glaube interessiert
sehr viele Menschen heute genau so intensiv wie der griechische Olymp oder die germanischen Götter,
also irgendwo zwischen gar nicht, als Kuriosität oder möglicherweise als historisch
interessant. Als Kind hab ich durchaus mit Interesse die griechischen und germanischen
Götter- und Heldensagen gelesen, es hat ja niemand verlangt, das glauben zu müssen.
Wenn der Herr Bischof offensiv Themen aufgreifen
will, "die für die Menschen zentral wichtig" sind, könnte er sich
damit versuchen, gesellschaftspolitische Fragen aufzuwerfen. Z.B. warum
sich die Politik nur noch für steigende Aktienkurse und die Rettung von Spekulantenbanken
einsetzt und nichts mehr tut für die Interessen der arbeitenden Menschen? Da
könnte er berühmt werden. Dazu, zum Jesus und zum Christentum soll er sich diese
Verse von Heinrich Heine in der von mir geringfügig verbesserten Version einprägen:
Es
wächst hienieden Brot genug für alle Menschenkinder,
auch Rosen und Myrten,
Schönheit und Lust und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir den Pfaffen und den
Spatzen.