Bild: Fotomontage, Forum Kritische Psychologie 2012
TIBET. (hpd) Erneut hat sich ein Anhänger des Dalai Lama selbst
verbrannt. Die Zahl der Tibeter, die sich seit 2009 auf diese Weise getötet
haben - angeblich als Protest gegen die chinesische Besetzung Tibets -, liegt
inzwischen bei über fünfzig.
Selbstverbrennungen tibetischer Mönche sind vor dem Hintergrund des
buddhistischen Selbstverständnisses zu sehen, dass der Tod nur den Übergang in
die nächstfolgende Wiederverkörperung darstellt. Die im Zwischenleben des
sogenannten Bardo bis zur nächsten Inkarnation zuzubringende Bußzeit ist
buddhistischer Vorstellung zufolge umso kürzer und die darin zu erduldenden
Leiden sind umso erträglicher, je weniger schlechtes Karma - eine Art
Sündenschuld - im jetzigen Leben angehäuft bzw. je mehr davon abgetragen
wurde.
Aus Sicht des tibetischen Buddhismus können Selbstverbrennungen sowohl zur
Verkürzung der Leiden im Bardo beitragen - das Brennen bei lebendigem Leibe in
einer Art Höllenfeuer kann im Feuersuizid gewissermaßen vorgezogen und damit
abgegolten werden -, als auch zur Verbesserung der Lebensbedingungen in der
darauffolgenden Inkarnation: aufs Ganze gesehen also verringern sie Leiden.
Dass Selbstverbrennungen tibetischer Mönche auch als medienwirksame
Protestakte gegen die Beschneidung des klerikalen Einflusses durch die Chinesen
instrumentalisiert und inszeniert werden können - die jeweiligen Mönche werden
dadurch zu Helden, die ihre karmischen Pluspunkte ins nächste Leben mitnehmen zu
können glauben -, macht das Ganze für junge und fanatisierte Mönche doppelt
attraktiv.
Der Dalai Lama kommentiert die Selbsttötungen seiner Glaubensbrüder so:
"Obwohl ich mit der Art ihres Vorgehens nicht einverstanden bin, so bewundere
ich doch die Motivation und die Entschlossenheit dieser Tibeter. Sie sind bereit
zu sterben, nicht aus egoistischen Motiven heraus, sondern für die Rechte der
sechs Millionen Tibeter und das Überleben ihrer Kultur."
Auf ein Verbot der Selbsttötungen, das er jederzeit aussprechen könnte,
wartet man insofern vergeblich. Auch über die tatsächliche Motivation der Mönche
verliert er kein Wort. Selbstredend auch nicht über die Frage, weshalb sich noch
nie ein hochrangiger Lama verbrannt hat, der buddhistischer Überzeugung zufolge
keine Bußzeit im Bardo verbringen müsste und Ort und Zeit seiner Reinkarnation
frei bestimmen könnte. Es sind immer junge Mönche, halbe Kinder noch, die den
verbrecherischen Irrwitz ihrer religiösen Leitfiguren und Ideologien auszubaden
haben.
Colin Goldner am 7.11.2012 in hpd 14290