Geistliche Berufe erleben in den aufgeklärten Staaten zunehmend weniger
Nachfrage. Katholische Priester sind inzwischen zu einer aussterbenden Gattung
geworden, aber auch bei den Protestanten wird darüber gejammert, dass es zuwenig
Interessenten für den Pfarrerberuf gebe und sogar für Religionslehrkräfte
müssen Werbeinserate geschaltet werden.
Es
ist daher nicht unbedingt die größte Weltsensation, wenn nun sogar im Vatikan
darüber debattiert werden könnte, den Zölibat abzuschaffen. Der neu ernannte
vatikanische Regierungschef, Staatssekretär Pietro Parolin, der nach dem
Papst ranghöchste katholische Funktionär, sagte in einem Interview mit einer
venezianischen Zeitung, "Der Priesterzölibat ist kein Dogma der Kirche.
Man kann darüber diskutieren, weil es sich um eine kirchliche Tradition handelt.
Dies bedeutet aber nicht, dass der Zölibat einfach der Vergangenheit angehört
(..). Man kann (..) darüber sprechen und nachdenken über diese Themen, die nicht
Glaubensdogmen sind und an manche Änderung denken, aber immer im Dienst der
Einheit und alles gemäß dem Willen Gottes (..). Gott spricht auf viele Arten.
Wir müssen auf diese Stimme achten, die uns über Ursachen und Lösungen orientiert,
zum Beispiel den Priestermangel. Daher gilt es im Augenblick, in dem Entscheidungen
zu treffen sind, diese Kriterien, den Willen Gottes, die Kirchengeschichte
gegenwärtig zu halten, so wie die Offenheit für die Zeichen der Zeit."
Am 11.9.2013 wurde diese Aussage auch in Europa bekannt und erntete in den meisten
Medien Wohlwollen.
Der Zölibat ist ja keine Originaleinrichtung der
katholischen Kirche, im 1. Timotheus-Brief, der dem tatsächlichen Kirchengründer
Paulus zugeordnet wird, war über Bischöfe zu lesen, dass sie verheiratet sein
sollten (1.Tim 3,1-2: "Wer das Amt eines Bischofs anstrebt, der strebt
nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof ein Mann ohne Tadel sein,
nur einmal verheiratet, nüchtern.").
Der Zölibat wurde viel später
eingeführt, definitiv erst im Jahre 1139 durch das 2. Laterankonzil. Der Hintergrund
war die damalige feudale Gesellschaftsstruktur. Durch den Zölibat wurde
die Herausbildung von feudalen Klerikerdynastien unterbunden, also die
Vererbung von Pfarren, Dechanaten, Diözesen innerhalb von Familien. Weil das
Eindringen und die Verfestigung feudaler Strukturen hätte dazu geführt, dass
nicht der Bischof den Pfarrern ihre Pfarren zuweist, sondern Söhne eines Pfarrers
so erbberechtigt gewesen wären wie Söhne eines Barons oder Grafen. Und der Nachfolger
des Bischofs wäre der älteste Sohn gewesen und nicht ein vom Papst Ernannter.
Da
es heute keine feudale Gesellschaftsstruktur mehr gibt, hat der Zölibat schon
längere Zeit keine strukturelle Funktion mehr, sondern dient nur noch zur
Vertreibung von beruflichen Interessenten bzw. zur Fehlauswahl unter den zölibatär
vorgesiebten Bewerbern.
Was könnte die Zölibatsabschaffung unmittelbar
bewirken? In erster Linie wohl, dass viele Priester ihre Freundinnen heiraten
würden und dass unverheiratet Bleibende in den Geruch der Homosexualität gerieten.
In zweiter Linie würden wohl Diakone und Pastoralassistenten die Priesterweihe
empfangen, dadurch könnte der katholische Priestermangel reduziert werden. Ob
es einen deutlichen Anstieg von Priesterkandidaten geben würde, ist aber nicht
unbedingt sicher. Gespannt kann man auch auf die Reaktionen der innerkirchlichen
Kritiker sein, also der Pfarrerintiative und von "Wir sind Kirche".
Und natürlich auf die Meinungen der Strengkonservativen, die einer Zölibatsaufweichung
ablehnend gegenüberstehen.
Allerdings würde die Abschaffung des Zölibats nicht das Geringste
am steigenden Mangel an praktizierenden Gläubigen ändern. In Wien läuft
bekanntlich im Dechanat Favoriten ein Reformversuch, die dortigen 15 Pfarren
sollen in Groß- und Filialpfarren zerlegt und das Priesterpersonal auf die Großpfarren
konzentriert werden. Laut kircheneigenen Angaben gehen in Favoriten von den
dortigen 60.000 Kirchenmitgliedern weniger als 2000 am Sonntag zur Messe. Auch
eine Steigerung des Pfarrpersonals und die Erhaltung aller Pfarren wird in Wien-Favoriten
oder sonst wo die sonntägliche Besucherfrequenz nicht erhöhen oder auch nur
das religiöse Interesse steigern.