Die gottlosen Jahre

So lautete der Titel eines Artikels von Markus Rohrhofer am 25. September 2013 im "Standard". Und an diesem Artikel sieht man wieder einmal, wie schnell Journalisten auf kirchliche Aussagen hineinfallen, weil sie glauben, was ihnen erzählt wird und dazu keinerlei kritische Recherchen anstellen.

Der erste Absatz des Artikels lautet:
Etwa eine Million Österreicher sind, laut Statistik, "ohne religiöses Bekenntnis". Rund fünf Prozent davon verstehen sich ausdrücklich als Atheisten. Vor allem weltweit gesehen sind die "Gotteszweifler" rasant im Vormarsch. Experten orten einen regelrechten Boom des so genannten "Neo-Atheismus". So verkaufen sich etwa die Bücher des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins, wohl der bekannteste Vertreter der "Neo-Atheisten"-Bewegung, millionenfach. Das Christentum sieht den Säkularismus auf der Überholspur mit großem Unwohl - und schreitet nach Jahrzehnten, in denen sowohl der Atheismus als auch der Dialog mit ihm überholt schien, zu neuen Gesprächen über die göttliche Existenzberechtigung.

Erste atheistische Anmerkung: wie schon von Kardinal Schönborn öfters vorgegeben, gibt es in Österreich nur "etwa eine Million Österreicher", die ohne religiöses Bekenntnis sind. Weil seit der Volkszählung 2001 wurden die Zugehörigkeiten zu Religionsbekenntnissen staatlich nicht mehr erhoben und darum bleibt man katholischerseits bei den Zahlen von 2001. Damals gab es 963.262 deklarierte Konfessionslose und 160.662 Antwortverweigerer, die wohl kaum bekennende Katholiken gewesen sein werden. Seit 2001 sind 573.966 Katholiken aus der Kirche ausgetreten und die katholische Kirche hat einen steigenden Sterbeüberschuss. Dass heute in Österreich zwei Millionen ohne religiöses Bekenntnis sind, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit. Und dass sich von der katholisch genehmigten Million Konfessionsloser nur fünf Prozent als Atheisten bezeichneten, ist eine direkte katholische Erfindung. Laut einer Meinungsumfrage vom April 2012 hatten 17 Prozent der Befragten gesagt, dass sie an keinen Gott glaubten, von den Unter-30-Jährigen waren es gar 39 %. Somit gibt es etwa 1,3 Millionen Menschen in Österreich, die nicht glauben, dass es Götter gibt. Die katholische Kirche gestattet 2013 nur 50.000.

Weiter im "Standard":
Im Stift Schlägl ging man am Dienstagabend (d.i. der 24.9.) in "medias res" und lud zum bereits dritten "Dialog im Stift". In der altehrwürdigen Bibliothek diskutierten -unter der Leitung von Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid - der Wiener Philosoph Peter Kampits und der Linzer Dogmatikprofessor Franz Gruber rund um das Thema "Atheismus -Christentum". Für den Dialog der katholischen Kirche mit dem Atheismus sei das Zweite Vatikanische Konzil weichenstellend gewesen, betont Gruber in seinen Ausführungen. Man hätte den Atheismus damals als Herausforderung unserer Zeit erkannt. Gruber: "Und daran hat sich bis heute nichts geändert." Prinzipiell sei aber der Dialog mit dem Atheismus für die katholische Kirche ein "reinigender Feuerbach" gewesen.

Zweite atheistische Anmerkung: Ach so, es hat einen Dialog mit dem Atheismus gegeben? Hat der Papst mit Karlheinz Deschner diskutiert? Oder setzte sich das Kardinalskollegium mit Richard Dawkins zusammen? Davon haben wir aber rein gar nichts gehört! Weil die katholische Kirche diskutiert natürlich nur mit von ihr auserwählten Atheisten, da kommt ihr kein Michael Schmidt-Salomon in den Weg oder ein Heinz Oberhummer.

Weiter im "Standard": Aber es sei in den letzten 15 Jahren wieder ein Neoatheismus entstanden, der mit "viel Polemik, Vorurteilen und säkularistischem Eifer" gegenüber dem religiösen Glauben auftrete. Gruber: "Naturwissenschaftler wie etwa der englische Biologe Richard Dawkins bezeichnen den Glauben an Gott als Wahnvorstellung. Derartige Deutungen in seinen Publikationen lösen weltweit ein riesiges Echo aus. Auch hierzulande ist eine Tendenz zu beobachten, dass an die Stelle differenzierter Argumente wieder polemische Abqualifizierungen treten." Diese Entwicklung sei jedenfalls ernst zu nehmen.

Dritte atheistische Anmerkung: Was der Atheismus darf und was nicht, dafür gibt die katholische Kirche den Regeln aus. Weil wenn die katholische Kirche argumentemäßig nimmer mitkann, dann handelt es sich um Polemik, Vorurteile und säkularistischen Eifer. Diskutieren kann die Kirche offenbar nur mit Leuten, die zu höflich sind, Glauben deutlich und kompromisslos als Illusion zu deklarieren. Der von der Kirche auserwählte ungläubige Atheist Peter Kamptis ist ein solcher:

Weiter im "Standard": Der Philosoph Peter Kampits, der sich selbst als "ungläubigen Atheisten" sieht, stellt in seinen Ausführungen klar: "Ob Gott existiert, ist eine Entscheidung des einzelnen Menschen - ebenso ist es bei den Atheisten." Zur Säkularisierungs-Welle hätte die katholische Kirche durchaus ihren Beitrag geleistet: "Die Kirche als moralische Instanz hat viel von ihrem Status eingebüßt - vor allem durch eigenes Verschulden.

Vierte atheistische Anmerkung: Es ist keine Entscheidung des einzelnen Menschen, ob Gott existiert, der einzelne Mensch kann schlimmstenfalls entscheiden, dass er glaubt, dass es einen oder mehrere Götter gibt. Die Entscheidung des Atheisten beruht auf Wissen: er weiß, dass er nichts glaubt. Und eine moralische Instanz war die katholische Kirche nie: die Menschenrechte mussten gegen den massivsten Widerstand der r.k. Kirche durchgesetzt werden.

Weiter im "Standard": Geklärt werden konnte - trotz weitgehender Dialog-Harmonie zwischen Wissenschaft und Theologie - die Gottesfrage auch an diesem Abend nicht. Für Gruber bleibt vor allem eine Frage offen: "Hört nicht eine Kultur, die nicht mehr nach Gott fragt, auch auf, nach dem Menschen zu fragen?" Die philosophische Seite hat eine klare Antwort. Kampits: " Nein. Auch ohne Gott würde es eine menschliche Kultur geben."

Fünfte atheistische Anmerkung: Die Arbeiterbewegung hat 150 Jahre ihren Kampf geführt (bevor sie vor dem Neoliberalismus kapitulierte). Dabei ging es ganz ohne Gott darum, nach dem Menschen und seinen Grundrechten zu fragen. Zum Beispiel nach dem Achtstundentag. Die christlichen Politiker in Österreich treten zurzeit besonders massiv für den Zwölfstundentag ein, weil sie sind auf der Seite der Ausbeuterkultur, die mit Hilfe der göttlichen Religion lehrte, für die Mühseligen und Beladenen gibt's auf Erden fallweise ein bisschen Almosen, dafür dann aber für die Verstorbenen das Paradies im Jenseits.
Diese göttliche Kultur ist für die Menschheit zutiefst entbehrlich. Schließen wir hier daher wieder einmal mit den berühmten Zeilen von Heinrich Heine:

Das ist die gottlose und menschengerechte Kultur der Zukunft!