Der Jenaer Historiker Stefan Gerber beobachtet einen drastischen Rückgang
katholischer Intellektueller. "Kaum eine Geistesgröße will noch mit
dem Attribut 'katholisch' in Verbindung gebracht werden, aus Angst in eine Schublade
gesteckt und darauf reduziert zu werden", sagte Gerber am Donnerstag (=
26.9.) in Jena bei einer Tagung von Katholizismusforschern. (..) Dahinter stehe
die Sorge, die eigenen philosophischen, wissenschaftlichen oder politischen
Positionen würden nur noch als "katholisches Sondergut" wahrgenommen
(..).
Im 20. Jahrhundert sahen sich Gerber zufolge katholische Denker immer
wieder einer Deklassierung ausgesetzt. "Wer nicht in das allgemeine Bild
des modernen Intellektuellen passte, wer nicht Liberalismus und Aufklärung das
Wort redete, wurde von den anderen klar ausgegrenzt" (..) Die starke Abneigung
heutiger Intellektueller gegen eine Einordnung als "katholisch" deutet
Gerber als eine Kapitulation, die aus der Jahrzehnte langen Deklassierung herrühre.
Auf die Ursache kommt der Herr Gerber natürlich nicht: Es wäre wohl einem Intellektuellen auch peinlich, für einen Musikanten-Stadel-Fan gehalten zu werden oder für einen Leser von Heftromanen. Katholisch zu sein, bedeutet eben der Aufklärung und einer offenen Gesellschaft mit Ablehnung gegenüberzustehen. Und wer die Aufklärung als Errungenschaft sieht und Gesinnungs- und Meinungsfreiheit hoch schätzt, der wird schwerlich gleichzeitig wirklich katholisch sein können, weil dort seine Ansichten zumindest als verdächtig angesehen werden können. Das Verweilen der katholischen Kirche im Vormodernismus hat zukunftsorientierte Intellektuelle von den katholischen Lebenswelten entfernt. Da brauchte niemand vor einer "Deklassierung" kapitulieren, die katholische Kirche hat es mit ihrem Verhalten den Intellektuellen zusätzlich noch leichter gemacht, im Geiste der Aufklärung zu handeln und sich von der Religion zu lösen. Das ist ein völlig natürlicher evolutionärer Vorgang in der Geistesgeschichte.