Der Wortlaut der zweistündigen kardinalen Ausführungen wird vom Vatikan
nicht an die Öffentlichkeit gebracht. Was weiters nicht überrascht. Denn
allzu viel gemeinsam mit der Denkwirklichkeit unter katholischen Kirchenmitgliedern
scheinen diese Ausführungen nicht gehabt zu haben. So heißt es auf der Wiener
HP u.a.: "Die 'Wahrheit' von Familie überzeuge durch ihre 'Schönheit',
wie sie das Evangelium zeige, habe der deutsche Kardinal ausgeführt. Ein zentraler
Punkt in Kaspers Vortrag war (..) der Gedanke einer 'Hauskirche', die in der
Familie Gestalt annehme. Es müsse für die Kirche darum gehen, Familien angemessen
zu begleiten, so wie Familien die Kirche begleiten sollten."
Das
liegt für jeden in der heutigen säkularen Welt lebenden Menschen soweit weg
von jedweder Realität, dass zu überlegen ist, ob entweder der Kardinal
Kasper seinen neuen Papst oder der neue Papst die Wirklichkeit nicht begriffen
hat. Da der Letztere den Ersteren lobt, dürfte das Zweite der Fall sein. Dass
heute manche Familien bei der Gestaltung einer "katholischen Hauskirche"
mitmachen, wird es schon hin und wieder geben können, in Österreich wird es
bestimmt einige solche Familien geben. Aber im Dutzendbereich und nicht in katholischen
Kohorten. Solche Vorstellungen als katholische Familienreformen zu präsentieren,
ist Ausdruck von aus Ahnungslosigkeit gespeister Hilflosigkeit.
Zum
berühmten Thema wiederverheiratete Geschiedene: "Vergangene Woche hatte
Kasper (..) für wiederverheiratete Geschiedene einen Weg 'zwischen Rigorismus
und Laxismus' gefordert. Die katholische Kirche müsse bei allem Festhalten an
ihrem Verständnis von Ehe und Familie den Betreffenden auch einen Neuanfang
ermöglichen (..).1993 hatte Kasper als Bischof von Rottenburg-Stuttgart gemeinsam
mit dem Mainzer Bischof Karl Lehmann und Erzbischof Oskar Saier in Freiburg
ein Hirtenwort zu dem Problem verfasst. Es sollte wiederverheirateten Geschiedenen
im Rahmen einer 'verantworteten Gewissensentscheidung' einen Weg zum Kommunionempfang
eröffnen. Diese Lösung wurde von der Glaubenskongregation zurückgewiesen."
Hier
würde die Sache schon deutlich näher an der Realität liegen. Bekanntlich
hatten nach dem von Papst Paul VI. 1968 erlassenen vollständigen
Verhüteli-Verbot in mehreren Ländern die Bischofskonferenzen die Schwangerschaftsverhütung
an das Gewissen der katholischen Eheleute delegiert und damit deren Gewissensentscheidung
als Maßstab für die Sündhaftigkeit genommen. Ob allerdings eine ähnliche
Entscheidung bezüglich katholischem Geschlechtsverkehr ohne katholische Verehelichung
(also vorehelich oder in Zivilehe ohne katholisches Ehesakrament) möglich werden
wird, hat eher keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, wird aber zurzeit des öfteren
in Klerikerköpfen angedacht (siehe dazu zum Beispiel "Bischof
Ackermann mit Atheisten-Meinung?").
Kardinal Kasper hatte
in einem kath-net-Interview im Juli 2011 sogar die klare Ursache der katholischen
Probleme erkannt: "Wir müssen das Problem an der Wurzel angehen: das
dramatische Schwinden des Glaubens. In dieser Situation brauchen wir radikale
Zeugen des Glaubens; nur Zeugen können überzeugen. (...) Das Grundproblem ist
ein Verdunsten des Glaubens in den Herzen vieler; man lebt als ob Gott nicht
wäre. Man kann dies auch als Gotteskrise in unserer westlichen Welt bezeichnen."
Als
Gegenmittel sah er damals die Neuevangelisierung von der man aus Rom zurzeit
kaum noch was hört. Zur Ursache der Glaubensverdunstung sagte er damals nichts.
Denn die einfache Ursache, dass der traditionelle katholische Glauben in der
Gesellschaft immer weniger Bedeutung hat, liegt nicht an den Menschen oder an
einer Art Glaubensverdunstungsmaschinerie, sondern am Glauben: es knüpft heute
kaum jemand sein Leben an Gottesfurcht und Gottvertrauen und bekämpft z.B. Masern
mit Rosenkranzgebeten. Wenn ein Glaube nix mehr zu bieten hat, verdunstet er
im Lichte des säkularen Sozialstaates wie verschüttetes Wasser in der Sonne.
Und man lebt ohne Götter, weil man keine Götter mehr braucht. Dass es keine
Götter gibt, ist dann sowieso schon egal. Amen.
PS: Innerkirchlich
wird die weitere Vorgangsweise in Sachen Sex, Ehe und Familie sicherlich konfliktreich
werden. Die kursierenden Andeutungen, man könne wiederverheiratete Geschiedene
wieder zu den Sakramenten zulassen, stoßen bereits auf heftige Kritik von Strengkatholischen
...
PPS: auf Info Nr. 1817 - "Katholische Moraldifferenzen"
- wird das Thema weiter behandelt.