Denkt Kardinal Walter Kasper klar?

Gemäß eines Berichtes auf der Site der Wiener Diözese hat der Papst verlautbart, er habe in den Ausführungen des deutschen Kardinals Walter Kasper vor dem Kardinalskollegium zum Thema Familie "profunde Theologie" und ein "klares Denken" gefunden. Hat der Papst recht?

Der Wortlaut der zweistündigen kardinalen Ausführungen wird vom Vatikan nicht an die Öffentlichkeit gebracht. Was weiters nicht überrascht. Denn allzu viel gemeinsam mit der Denkwirklichkeit unter katholischen Kirchenmitgliedern scheinen diese Ausführungen nicht gehabt zu haben. So heißt es auf der Wiener HP u.a.: "Die 'Wahrheit' von Familie überzeuge durch ihre 'Schönheit', wie sie das Evangelium zeige, habe der deutsche Kardinal ausgeführt. Ein zentraler Punkt in Kaspers Vortrag war (..) der Gedanke einer 'Hauskirche', die in der Familie Gestalt annehme. Es müsse für die Kirche darum gehen, Familien angemessen zu begleiten, so wie Familien die Kirche begleiten sollten."

Das liegt für jeden in der heutigen säkularen Welt lebenden Menschen soweit weg von jedweder Realität, dass zu überlegen ist, ob entweder der Kardinal Kasper seinen neuen Papst oder der neue Papst die Wirklichkeit nicht begriffen hat. Da der Letztere den Ersteren lobt, dürfte das Zweite der Fall sein. Dass heute manche Familien bei der Gestaltung einer "katholischen Hauskirche" mitmachen, wird es schon hin und wieder geben können, in Österreich wird es bestimmt einige solche Familien geben. Aber im Dutzendbereich und nicht in katholischen Kohorten. Solche Vorstellungen als katholische Familienreformen zu präsentieren, ist Ausdruck von aus Ahnungslosigkeit gespeister Hilflosigkeit.

Zum berühmten Thema wiederverheiratete Geschiedene: "Vergangene Woche hatte Kasper (..) für wiederverheiratete Geschiedene einen Weg 'zwischen Rigorismus und Laxismus' gefordert. Die katholische Kirche müsse bei allem Festhalten an ihrem Verständnis von Ehe und Familie den Betreffenden auch einen Neuanfang ermöglichen (..).1993 hatte Kasper als Bischof von Rottenburg-Stuttgart gemeinsam mit dem Mainzer Bischof Karl Lehmann und Erzbischof Oskar Saier in Freiburg ein Hirtenwort zu dem Problem verfasst. Es sollte wiederverheirateten Geschiedenen im Rahmen einer 'verantworteten Gewissensentscheidung' einen Weg zum Kommunionempfang eröffnen. Diese Lösung wurde von der Glaubenskongregation zurückgewiesen."

Hier würde die Sache schon deutlich näher an der Realität liegen. Bekanntlich hatten nach dem von Papst Paul VI. 1968 erlassenen vollständigen Verhüteli-Verbot in mehreren Ländern die Bischofskonferenzen die Schwangerschaftsverhütung an das Gewissen der katholischen Eheleute delegiert und damit deren Gewissensentscheidung als Maßstab für die Sündhaftigkeit genommen. Ob allerdings eine ähnliche Entscheidung bezüglich katholischem Geschlechtsverkehr ohne katholische Verehelichung (also vorehelich oder in Zivilehe ohne katholisches Ehesakrament) möglich werden wird, hat eher keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, wird aber zurzeit des öfteren in Klerikerköpfen angedacht (siehe dazu zum Beispiel "Bischof Ackermann mit Atheisten-Meinung?").

Kardinal Kasper hatte in einem kath-net-Interview im Juli 2011 sogar die klare Ursache der katholischen Probleme erkannt: "Wir müssen das Problem an der Wurzel angehen: das dramatische Schwinden des Glaubens. In dieser Situation brauchen wir radikale Zeugen des Glaubens; nur Zeugen können überzeugen. (...) Das Grundproblem ist ein Verdunsten des Glaubens in den Herzen vieler; man lebt als ob Gott nicht wäre. Man kann dies auch als Gotteskrise in unserer westlichen Welt bezeichnen."

Als Gegenmittel sah er damals die Neuevangelisierung von der man aus Rom zurzeit kaum noch was hört. Zur Ursache der Glaubensverdunstung sagte er damals nichts. Denn die einfache Ursache, dass der traditionelle katholische Glauben in der Gesellschaft immer weniger Bedeutung hat, liegt nicht an den Menschen oder an einer Art Glaubensverdunstungsmaschinerie, sondern am Glauben: es knüpft heute kaum jemand sein Leben an Gottesfurcht und Gottvertrauen und bekämpft z.B. Masern mit Rosenkranzgebeten. Wenn ein Glaube nix mehr zu bieten hat, verdunstet er im Lichte des säkularen Sozialstaates wie verschüttetes Wasser in der Sonne. Und man lebt ohne Götter, weil man keine Götter mehr braucht. Dass es keine Götter gibt, ist dann sowieso schon egal. Amen.

PS: Innerkirchlich wird die weitere Vorgangsweise in Sachen Sex, Ehe und Familie sicherlich konfliktreich werden.
Die kursierenden Andeutungen, man könne wiederverheiratete Geschiedene wieder zu den Sakramenten zulassen, stoßen bereits auf heftige Kritik von Strengkatholischen ...

PPS: auf Info Nr. 1817 - "Katholische Moraldifferenzen" - wird das Thema weiter behandelt.