Wien (hpd) Ein Gastkommentar in der österreichischen Tageszeitung
"Die Presse" erregt die säkulare Szene des Landes. Die Autorin
versucht dort, Religion mit einem Angriff auf den Atheismus zu verteidigen.
"Skandal",
"bisheriger journalistischer Tiefpunkt", "anti-atheistische Hetze",
"Entsetzen über diesen Artikel". Vertreter der säkularen
Szene in Österreich sparen nicht mit deutlichen Worten über einen
Gastkommentar
in der Tageszeitung "Die Presse" von vergangener Woche.
Unter dem Titel "Wieso wegen des Islamismus die Religion an sich infrage
stellen" rechnet die Autorin und Historikerin Gudula Walterskirchen dort
mit dem ab, was sie für "radikalen Atheismus" hält. Wegen
der Gräueltaten der Terrormiliz IS würden alle Religionen infrage
gestellt. "Da werden Uralt-Argumente wie die Kreuzzüge vorgebracht,
deren letzter vor mehr als 600 Jahren (!) stattgefunden hat, und die längst
nicht mehr Leitlinie der christlichen Kirchen sind. Sogar das Grüß
Gott wollen radikale Atheisten abschaffen", heißt es in der Polemik.
Besonders
ein "Argument" der Autorin erregt den Unmut der säkularen Leserschaft:
"Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dem Islamismus mit Bekämpfung
der Religionen an sich begegnen zu können. Auch der Atheismus - rassenideologisch
im Nationalsozialismus oder materialistisch im Marxismus - hat viele Millionen
Tote auf dem Gewissen."
Eine alte Propagandalüge, die sich
vor allem in katholischen Kreisen ungebrochener Beliebtheit erfreut. Oftmaliges
Wiederholen macht sie nicht wahrer.
"Wenn Sie Atheismus und damit Atheisten gleichstellen oder nur in die
Nähe von ’ - rassenideologisch im Nationalsozialismus….’ bringen, so ist
das eine unverschämte Beleidigung aller Agnostiker und Atheisten",
heißt es in einer Reaktion auf den Gastkommentar, die dem hpd vorliegt.
Ähnlich der Tenor in anderen Leserbriefen- und Mails, die dem hpd ebenfalls
vorliegen.
Gerhard Engelmayer, Vorsitzender des Freidenkerbundes zeigt
Verständnis für die heftigen Reaktionen. "Niemand lässt
sich gerne in die Nähe von Nazischergen rücken, nur weil er oder sie
an keinen Gott glaubt! Die Schergen Hitlers waren mit einem ‘Gott mit uns’ auf
der Gürtelschnalle unterwegs." Und: "Leute als ‘Radikale’ zu
bezeichnen, weil sie ‘Tschüss’ oder ‘Achte dich!’ statt ‘Grüß
Gott!’ sagen, finde ich penetrant, vor allem angesichts der täglichen News,
wozu radikale Religiöse wirklich imstande sind."
Der hpd hat bei der Chefredaktion der "Presse" nachgefragt, wie
die nachweislich falsche Behauptung, der Atheismus sei für die Millionen
Opfer des Nationalsozialismus verantwortlich, durch die interne Qualitätssicherung
auch bei einem Gastkommentar rutschen konnte. Auch wenn Gastkommentare nicht
die Blattlinie wiedergeben - ein gewisses Maß an Plausibilität sollten
die Behauptungen der Autorinnen und Autoren doch haben. Das liegt im Interesse
einer Qualitätszeitung.
Die Zeitung hat diese Frage bislang nicht
beantwortet - und die Anfrage an Gudula Walterskirchen weitergeleitet.
In ihrer Antwort beschuldigt sie den hpd "seit Jahren aggressiv gegen
alles Religiöse und Kirchliche vorzugehen". Der Reporter und hpd-Chefredakteur
Frank Nicolai würden "eine von Ihrer Weltsicht abweichende Meinung
in Grund und Boden verdammen." Angriff ist offenbar die beste Verteidigung.
Die
eigentliche Frage - warum sie eine Lüge als Tatsache verkauft - ließ
sie unbeantwortet.
Tatsächlich hat der hpd niemals infrage gestellt, dass Gudula Walterskirchen
das Recht auf eine eigene Meinung hat. Nur kritisch hinterfragt, ob das auch
das Recht auf eigene Fakten beinhaltet. Und die Frage aufgeworfen, was man in
der "Presse" als Gastautor ungeprüft als Tatsache behaupten darf.
Die
"Presse" hat mittlerweile zumindest mehrere Leserbriefe der säkularen
Szene abgedruckt. Ob das den Unmut in der Szene besänftigen kann, wird
sich weisen.