Angriff ist die beste Verteidigung

Christoph Baumgarten am 1.10.2014 auf https://hpd.de/

Wien (hpd) Ein Gastkommentar in der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" erregt die säkulare Szene des Landes. Die Autorin versucht dort, Religion mit einem Angriff auf den Atheismus zu verteidigen.

"Skandal", "bisheriger journalistischer Tiefpunkt", "anti-atheistische Hetze", "Entsetzen über diesen Artikel". Vertreter der säkularen Szene in Österreich sparen nicht mit deutlichen Worten über einen Gastkommentar in der Tageszeitung "Die Presse" von vergangener Woche.

Alte Propagandalügen aufgewärmt

Unter dem Titel "Wieso wegen des Islamismus die Religion an sich infrage stellen" rechnet die Autorin und Historikerin Gudula Walterskirchen dort mit dem ab, was sie für "radikalen Atheismus" hält. Wegen der Gräueltaten der Terrormiliz IS würden alle Religionen infrage gestellt. "Da werden Uralt-Argumente wie die Kreuzzüge vorgebracht, deren letzter vor mehr als 600 Jahren (!) stattgefunden hat, und die längst nicht mehr Leitlinie der christlichen Kirchen sind. Sogar das Grüß Gott wollen radikale Atheisten abschaffen", heißt es in der Polemik.

Besonders ein "Argument" der Autorin erregt den Unmut der säkularen Leserschaft: "Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dem Islamismus mit Bekämpfung der Religionen an sich begegnen zu können. Auch der Atheismus - rassenideologisch im Nationalsozialismus oder materialistisch im Marxismus - hat viele Millionen Tote auf dem Gewissen."

Eine alte Propagandalüge, die sich vor allem in katholischen Kreisen ungebrochener Beliebtheit erfreut. Oftmaliges Wiederholen macht sie nicht wahrer.

"Niemand lässt sich gerne in die Nähe von Nazischergen rücken"

"Wenn Sie Atheismus und damit Atheisten gleichstellen oder nur in die Nähe von ’ - rassenideologisch im Nationalsozialismus….’ bringen, so ist das eine unverschämte Beleidigung aller Agnostiker und Atheisten", heißt es in einer Reaktion auf den Gastkommentar, die dem hpd vorliegt. Ähnlich der Tenor in anderen Leserbriefen- und Mails, die dem hpd ebenfalls vorliegen.

Gerhard Engelmayer, Vorsitzender des Freidenkerbundes zeigt Verständnis für die heftigen Reaktionen. "Niemand lässt sich gerne in die Nähe von Nazischergen rücken, nur weil er oder sie an keinen Gott glaubt! Die Schergen Hitlers waren mit einem ‘Gott mit uns’ auf der Gürtelschnalle unterwegs." Und: "Leute als ‘Radikale’ zu bezeichnen, weil sie ‘Tschüss’ oder ‘Achte dich!’ statt ‘Grüß Gott!’ sagen, finde ich penetrant, vor allem angesichts der täglichen News, wozu radikale Religiöse wirklich imstande sind."

Wie ist es um die Qualitätssicherung der "Presse" bestellt?

Der hpd hat bei der Chefredaktion der "Presse" nachgefragt, wie die nachweislich falsche Behauptung, der Atheismus sei für die Millionen Opfer des Nationalsozialismus verantwortlich, durch die interne Qualitätssicherung auch bei einem Gastkommentar rutschen konnte. Auch wenn Gastkommentare nicht die Blattlinie wiedergeben - ein gewisses Maß an Plausibilität sollten die Behauptungen der Autorinnen und Autoren doch haben. Das liegt im Interesse einer Qualitätszeitung.

Die Zeitung hat diese Frage bislang nicht beantwortet - und die Anfrage an Gudula Walterskirchen weitergeleitet.

"Seit Jahre aggressiv gegen alles Religiöse und Kirchliche"

In ihrer Antwort beschuldigt sie den hpd "seit Jahren aggressiv gegen alles Religiöse und Kirchliche vorzugehen". Der Reporter und hpd-Chefredakteur Frank Nicolai würden "eine von Ihrer Weltsicht abweichende Meinung in Grund und Boden verdammen." Angriff ist offenbar die beste Verteidigung.

Die eigentliche Frage - warum sie eine Lüge als Tatsache verkauft - ließ sie unbeantwortet.

Immerhin Leserbriefe abgedruckt

Tatsächlich hat der hpd niemals infrage gestellt, dass Gudula Walterskirchen das Recht auf eine eigene Meinung hat. Nur kritisch hinterfragt, ob das auch das Recht auf eigene Fakten beinhaltet. Und die Frage aufgeworfen, was man in der "Presse" als Gastautor ungeprüft als Tatsache behaupten darf.

Die "Presse" hat mittlerweile zumindest mehrere Leserbriefe der säkularen Szene abgedruckt. Ob das den Unmut in der Szene besänftigen kann, wird sich weisen.