Scientology, die sich selbst als Kirche bezeichnet, aber hierzulande nicht
als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, schwächelt in Deutschland. Jahrelange
Aufklärung und Beobachtung durch den Verfassungsschutz zeigen Wirkung.
Experten schätzen die Zahl der Scientologen bundesweit auf nur noch 2.500.
Seit Anfang des Jahres kämpft die weltweit operierende Psycho-Sekte an
ihrem Stammsitz USA ums Überleben.
Breite Diskussionen über die Machenschaften von Scientology löste
die Uraufführung der Dokumentation "Going Clear: Scientology and the
Prison of Belief" am 25. Januar 2015 auf dem renommierten Sundance Film
Festival in Park City, Utah, aus. Der Film basiert auf dem gleichnamigen, 2013
erschienenen Buch von Lawrence Wright.
Regisseur Alex Gibney, ein Oscar-Preisträger, breitet in seinem zweistündigen
Film mit Archivmaterial, Rekonstruktionen und Interviews die perfiden Mechanismen
von Scientology aus.
Die Dokumentation gliedert sich in drei Teile.
Im ersten berichten ehemalige
Scientologen aus dem Innenleben der Sekte,
im zweiten Teil wird die Geschichte
der Organisation und ihres Gründers L. Ron Hubbard beschrieben. Dem Film
zufolge soll Hubbard seine erste Frau geschlagen, gemeinsame Tochter nach Kuba
entführt und sie dort einer sozial inkompetenten Pflegemutter überlassen
haben.
Im finalen Teil wird der Aufstieg des heutigen Scientology-Boss David
Miscavige nachgezeichnet. Ihm werden u.a. vorgeworfen, Sektenmitglieder psychisch
unter Druck gesetzt zu haben. Prominente Aussteiger wie der ehemalige PR-Sprecher
Mike Rinder und Mark Rathbun, einst rechte Hand von Miscavige, schildern Belästigungen,
Überwachungen und Einschüchterungen durch Scientology.
Dargestellt wird die "Inhaftierung" von missliebigen Führungskräften
in einer Art Konzentrationslager, "The Hole" genannt, in Riverside
County, Kalifornien. Nicht zuletzt unterstreicht der Film auch die Rolle von
prominenten Mitgliedern wie Tom Cruise und John Travolta.
Die beiden Hollywood-Stars gehören seit Jahrzehnten zu den wichtigsten
Aushängeschildern von Scientology. "Going Clear" enthüllt,
dass Tom Cruise Scientology-Mitgliedern, die in seinem Haus arbeiten, gerade
mal 40 Cent pro Stunde zahlt. Travolta sieht Regisseur Alex Gibney als Erpressungsopfer
der Sekte. Über Jahre hinweg soll die Organisation in sogenannten Auditings
brisante Informationen aus dem Privatleben des Schauspielers gesammelt haben,
vor allem zu dessen angeblichen homosexuellen Neigungen. Eine Abkehr von der
Sekte wäre das berufliche Aus für John Travolta.
Dass Gibneys Enthüllungen politischer Sprengstoff sind, war den Produzenten
des Films, dem amerikanischen Bezahlsender HBO, früh klar. 160 Anwälte
prüften die Dokumentation im Vorfeld, um sich gegen Klagen der Organisation
zu wappnen. Nach der Uraufführung wurde der Film zunächst am 13. März
2015 in ausgewählten Kinos in New York, Los Angeles und San Francisco gezeigt.
HBO strahlte “Going Clear” am 25. März 2015 erstmals im Fernsehen aus.
Die TV-Premiere war für amerikanische Verhältnisse ein riesiger Erfolg.
Mit 6,8 Mio Zuschauern war sie die zweiterfolgreichste HBO-Dokumentation seit
zehn Jahren. Ein Filmstart in Deutschland ist noch ohne Termin.
Bereits zehn Tage vor der Filmpremiere schaltete die Scientology ganzseitige Anzeigen in der New York Times und der Los Angeles Times und polemisierte darin gegen die "Ausstrahlung von falschen Informationen". Mit einem "Special Report" auf ihrer Website wehrt sich die Organisation gegen die Vorwürfe; eigens wurde ein Twitterkanal eingerichtet, um gegen den Film anzuschreiben. Zudem kaufte Scientology zahlreiche Google-Suchergebnisse, um damit zu ihrer Anti-"Going Clear"-Seite zu lenken.
Die Sekte beschwerte sich bei zahlreichen Journalisten über die "Lügen" in den Bewertungen des Films und verlangte Gegendarstellungen. Und sie schickte, wenig überraschend, John Travolta ins Feld. Er sei so glücklich über seine 40 Jahre bei Scientology und könne keine negative Perspektive einnehmen. Der Film sei ein Produkt von Menschen, die "verdrossen" und "negativ" seien. Tom Cruise hat bislang nicht Stellung bezogen. Die Zeitung New York Daily News berichtet jetzt, dass die beiden Hollywood-Stars ausgedient haben. Für eine neue Image-Kampagne sucht Scientology "normale" Gesichter von jungen Männern und Frauen in den Zwanzigern. Es bleibt abzuwarten, was an dieser Meldung stimmt.
Die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion in den USA stellen erstmals
seit Jahren die Glaubwürdigkeit von Scientology ernsthaft in Frage. Schätzungen
von amerikanischen Experten gehen davon aus, dass die Zahl der aktiven Mitglieder
der Sekte mittlerweile auf 25.000 gesunken ist. Dies dürfte die Organisation
noch verkraften. Die Alarmglocken im Hauptquartier in Florida werden in erster
Linie wohl deshalb schrillen, weil "Going Clear" klar macht, dass
Scientology als Sekte und nicht als Religionsgemeinschaft einzustufen ist und
daher keine Steuervorteile genießen darf.
Titelseite der "National Enquirer":
Seit dem 1. Oktober 1993 wird Scientology von der amerikanischen Steuerbehörde
(IRS) nicht mehr als Wirtschaftsunternehmen, sondern als gemeinnützige
Organisation angesehen und ist daher steuerbefreit. In der Öffentlichkeit
werden jetzt verstärkt Forderungen laut, dass die IRS den Status von Scientology
überprüft und das Gesamtvermögen inklusive der globalen Immobilien-Bestände
von mehr als 3 Milliarden US-Dollar zukünftig besteuert. Eine solche Maßnahme
dürfte das Fundament des Imperiums nachhaltig erschüttern, wenn nicht
gar ganz zum Einsturz bringen.
Auch ein anderes Faktum wird den Scientologen zu schaffen machen: Der Rückgang
der Religiosität in den USA. Laut einer Umfrage von 2012 sind nur 70 Prozent
der Amerikaner der Auffassung, dass Scientology keine echte Religion ist. Diese
Zahl wird sich nach den jüngsten Enthüllungen sicherlich erhöhen.
Und ein weiterer Trend ist von Relevanz. Nach einer aktuellen Studie des amerikanischen
PewRearchCenters in Washington wird Amerika säkularer. Die Gruppe der Nicht-Religiösen
beträgt 22,8 Prozent an der Gesamtbevölkerung. 2007 wurden den Säkularen
noch 36 Mio zugerechnet (16,1 Prozent der Gesamtbevölkerung).
Bleibt zu hoffen, dass die Stimmung in den USA nicht kippt und Scientology
eines nahen Tages ganz von der Bildfläche verschwindet.