Von Muslimen lernen

Publiziert am 18. Juni 2015 von Wilfried Müller auf wissenbloggt.de

Dieser Artikel bringt Zahlen und Fakten zu deutschen Islamvertretern. Er würdigt die Tüchtigkeit, wenn auch nicht die Inhalte. Die schwächliche Vertretung der humanistischen Ziele könnte sich die islamische Medienpower zum Vorbild nehmen.

BR.de hat unter der Rubrik Religion über den Islam in Deutschland recherchiert. Das Who is Who der deutschen Muslime (15.6.) enthält einige Informationen und weiterführende Links, die interessanter sind als die maue Bewertung des Artikels nahelegt.

Demnach scheint sich die Zahl der Muslime um die 4 Millionen oder 5 % einzupendeln. Diese Zahl wird auch von der Studie Muslimisches Leben in Deutschland unterstützt. Sie scheint noch halbwegs aktuell zu sein. Allerdings muss man unterscheiden, denn die bundesgeförderte Studie ruft zur Skepsis auf: 
Die neuen Ergebnisse belegen aber auch, dass zum Teil erhebliche Anteile der Personen mit Migrationshintergrund aus den entsprechenden Herkunftsländern keine Muslime sind. Beispielsweise geben fast 40 Prozent der Migranten aus Iran an, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Aus anderen überwiegend muslimisch geprägten Herkunftsländern wie etwa dem Irak sind verstärkt religiöse Minderheiten zugewandert, die nicht dem Islam zuzurechnen sind. Aus der religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung des Herkunftslandes kann daher nicht automatisch auf die Religion der in Deutschland lebenden Migranten geschlossen werden.

Noch vorsichtiger sind die Vertretungsansprüche der Islamorganisationen zu genießen. BR.de dazu: Wie aber sind sie organisiert und vernetzt? Und wer spricht für sie? Die kurze Antwort lautet: Niemand ist dazu befugt. Die "institutionelle islamische Landschaft in Deutschland" ist zwar pompös aufgestellt, doch hat  keine Organisation auch nur annähernd genug Anhänger, um einen legitimen Vertretungsanspruch zu erheben. Da werden einfach die Moscheegemeinden als Mitglieder vereinnahmt (jeweils ca. 150). Die Vertretungsansprüche sind immens, und Organisationen gibt's en masse.

Der
Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland IRD kommt schon mit 30 Mitgliedsorganisationen daher:
1. IGMG – Islamische Gemeinschaft Milli GörüS e.V.
2. IGMG-Jugendverband
3. Islamische Union Europa e.V.
4. Moslemisches Sozialwerk in Europa e.V. (MSE)
5. Muslimischer Sozialbund e.V. (MSB)
6. Islamische Föderation Bremen
7. Islamische Föderation Hamburg
8. Islamische Föderation Niedersachsen
9. Islamische Föderation Berlin
10. Islamische Föderation Baden-Württemberg
11. Islamische Föderation Bayern
12. Islamische Föderation Hessen
13. Dachverband der Türkisch-Islamischen Vereine e.V. in der BRD (DTIV)
14. Jama’at un-Nur Köln e.V.
15. Verband der Islamischen Jugendzentren
16. Bundesamt des Bundes Moslemischer Pfadfinder Deutschlands (BMPD) e.V.
17. Weimar Institut für geistes- und zeitgeschichtliche Fragen e.V.
18. Haqqani Trust – Verein für neue deutsche Muslime e.V.
19. Ahlul-Beyt Moscheen- und Kulturverband e.V.
20. Vereinigung Islamischer Gemeinden der Bosniaken in Deutschland (VIGB) e.V.
21. Union marokkanischer Imame
22. Islamisches Informations- und Kulturzentrum e.V.
23. Gesamtverband der türkischen Gemeinden und Vereine in Düsseldorf e.V.
24. Vereinigte Somalische Frauen
25. Ogaden Hilfsorganisation e.V. Bundesrepublik Deutschland
26. Ehsan Hilfsorganisation
27. Deutsch-Afrikanische Transfer Agency (DATA)
28. Informationszenrum für Ost-Turkestan e.V.
29. Islamrat für Rheinland-Pfalz
30. Islamrat für Bayern

Das besagt eine (Teil-)Studie der FES (Friedrich Ebert Stiftung) im nicht datierten Abschnitt 6. Muslimische Spitzenverbände in Deutschland. Die Aussage von FES und BR ist ganz klar, dass die größten und bekanntesten Organisationen keineswegs die Mehrheit der Muslime hierzulande vertreten. Im Gegenteil sprechen die vier im Koordinationsrat zusammengeschlossenen Verbände (mehr dazu unten) nur für 1/5 aller Muslime.

Der Großteil aller Muslime ist also nicht in den großen Institutionen und Verbänden organisiert. Speziell der besonders laut auftretende Zentralrat der Muslime vertritt faktisch nur 1-2% der Muslime in Deutschland. Zudem sind viele seiner o.a. Mitgliedsorganisationen direkt oder indirekt zur IGMG (=Milli GörüS) gehörig, so dass der Islamrat zu einem erheblichen Umfang von der IGMG dominiert wird.

Schon am 13.1. hatte n-tv von einem unübersichtlichen Geflecht aus Dachverbänden und Überorganisationen gesprochen, in Ditib, Islamrat & Co.Wer spricht für die Muslime in Deutschland? Anscheinend ist der Koordinationsrat der Muslime (KRM, Vertretungsanspruch: 250.000 = 6%, real laut Umfrage 2%) der Dachverband der 4 aufgeführten Dachverbände, die weiteren 4 sind beim KRM nicht beteiligt:
die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB, 900 Ortsgemeinden, Vertretungsanspruch: 2.800.000 = 70%, real: 16% laut Umfrage)
der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD, vertritt 30 oder auch 37 Vereine,  Anspruch: 50.000 = 12%, real: vielleicht 1-2%)
der Zentralrat der Muslime (ZMD, vertritt 19, 21 oder auch 22 Organisationen, die wiederum 300 Gemeinden vertreten, läßt tatsächlich das gesamte Spektrum unterschiedlicher Organisationen in Deutschland erkennen, real: 1,5% bzw nach wiki 0,25%)
der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ, vertritt 300 Moscheen, Anspruch: 12%, real: vielleicht 1-2%)
die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF, Anspruch 500.000 = 12%, real: 4% laut Umfrage)
der Liberal-Islamischer Bund (LIB, pro Homosexualität, real unter 1%)
die Türkische Gemeinde in Berlin (TGB, real unter 1%)
Zentralrat der Ex-Muslime (ZdE, real vielleicht 1%)

Alle zusammen vertreten real höchstens 25% der Muslime bzw. Personen mit muslimischem Migrationshintergrund. 20% davon kann  der Koordinationsrat KRM incl. seiner Unterorganisationen beanspruchen. Es sieht also schlecht aus mit der Legitimation, die muslimischen Organisationen sprechen für höchstens 1 Mio. Menschen.

Im Vergleich dazu haben die deutschen Kirchen erheblich mehr Mitglieder (sogar mehr, als es Gläubige gibt). Katholen und Evangelen sprechen für jeweils mehr als 20 Mio. Menschen. Anders herum haben die Konfessionslosen und Humanisten eine minimale Vertretung, vielleicht 30 Organisationen mit ein paar Tausend Mitgliedern – obwohl es sich um 30 Mio. betroffene Menschen handelt.

Das ist eine enorme Schieflage, sowohl bei der öffentlichen Beachtung, als auch bei der institutionellen Berücksichtigung. Die humanistischen Verbände erfahren viel zu wenig Beachtung und Berücksichtigung. Und die muslimischen haben viel mehr, als ihnen zukommt. Das darf man als Fazit zu dem Thema ziehen: Die Humanisten können von den Muslimen lernen.