In der medialen Behandlung
der Flüchtlingskrise – mit ihrer Fokussierung auf die Frage, wie der
Flüchtlingsstrom wirtschaftlich und sozial zu bewältigen sei – findet
ein Aspekt relativ wenig Beachtung, der eine weit größere
Herausforderung darstellt als die Beschaffung von Unterkünften: Wie kann
es gelingen, diese Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren?
Der Umstand, dass es sich beim überwiegenden Teil der Flüchtlinge um
Muslime handelt, lässt dramatische Auswirkungen auf das gegenwärtige
islamische Leben in Europa samt den Anstrengungen zu dessen Einbindung
in die Aufnahmegesellschaften erwarten. Sollten die kolportierten Zahlen
– die Rede ist von über 500.000 Menschen, die im deutschsprachigen Raum
unterzubringen sind – stimmen, könnte es nicht nur zu einer
Überstrapazierung der bestehenden muslimischen Organisationsstrukturen,
sondern auch zu einer ernsthaften Infragestellung der Bemühungen um die
Gestaltung einer islamischen Theologie mit europäischer Prägung kommen.
Wir wissen, dass die vom Ausland gesteuerten muslimischen
Organisationen höchst empfänglich sind für die Einflüsterungen ihrer
Schirmherren und sich von ihnen bereitwillig formen lassen. Das hängt
damit zusammen, dass die islamische Theologie noch über keine
europäischen Strukturen verfügt. Welche Folgen dies zeitigen kann bzw.
wie die Flüchtlingsströme aus arabischen Staaten die
Organisationsstrukturen und die Theologie der Muslime künftig prägen
könnten, darüber gibt die Situation, die sich gegenwärtig in der Türkei
entwickelt, Aufschluss. Der wahrgenommenen theologischen und
sprachlichen Überlegenheit des arabischen Islam begegnet der türkisch
geprägte Islam mit größter Ehrfurcht und tiefem Respekt, entsprechend
aufgeschlossen ist man gegenüber dessen Einflussnahme.
Dieses Phänomen, das vor allem in den neuen theologischen Zentren der
Türkei sichtbar wird, lässt einige Islamforscher bereits von einer
Salafisierung der theologischen Fakultäten sprechen. Dass die
islamischen Strukturen in Europa von dieser Strömung unberührt bleiben,
ist mangels Bekenntnisses zu einer europäisch geprägten islamischen
Theologie nicht anzunehmen.
Was die politischen Folgen dieses Rückschritts in der Theologie
betrifft, könnte es zu einer zunehmenden Radikalisierung der
muslimischen Gemeinschaften Europas kommen. Schon hat die
Muslimbruderschaft, die stärkste politische Kraft im arabischen Raum,
die Flüchtlingsströme als eine Gelegenheit erkannt, nach ihrer
Niederlage in Ägypten und Syrien mit dem Westen abzurechnen. Es ist eine
klar erkennbare, einheitliche Strategie, deren sich die
Muslimbruderschaft in der Verfolgung ihres politisch-religiösen
Herrschaftsanspruchs auf internationaler Ebene bedient: Zunächst werden
antiwestliche Ressentiments mit immer neuen Argumenten befeuert und
westlich orientierte Intellektuelle durch Einschüchterungsaktionen in
die Defensive gedrängt.
Valentina Colombo, eine Expertin in Sachen Muslimbrüderschaft, hat
dieses Vorgehen in einer Abhandlung mit dem aussagekräftigen Titel Jihad by court: a modern strategy to terrify the enemy of Allah
beschrieben. Demnach geht es diesem "juristischen Jihad" weniger darum,
Prozesse zu gewinnen, als vielmehr um die finanzielle Schädigung und
Einschüchterung des Gegners.
Wie auch die aktuellen Ereignisse in Österreich bestätigen, wird
diese Strategie gegenüber Journalisten, Intellektuellen und Vertretern
von Organisationen mit aller Entschlossenheit durchgezogen. Die
Finanzströme aus den Golfstaaten und der Türkei erleichtern den
Einschüchterungsfeldzug der Muslimbruderschaft in Europa nicht
unwesentlich. Die zuletzt eingegangene Kooperation der Muslimbrüder mit
der Kirche, ja sogar mit jüdischen Gemeinden in Europa kann als
Teilerfolg dieser Strategie betrachtet werden.
Die jüngsten Übergriffe auf Journalisten und Intellektuelle in der
Türkei – dies eine weitere Eskalation – sind eine unmissverständliche
Botschaft an alle, die sich noch immer widersetzen. Der bekannte Hürriyet-Journalist
Ahmet Hakan, der von Personen aus diesem Umfeld angegriffen und
verletzt wurde, wird denn auch nicht das letzte Opfer gewesen sein – die
Muslimbruderschaft und ihre Ideologen haben die Anwendung von Gewalt
zur Errichtung eines islamischen Staats nie infrage gestellt und werden
dies auch in Zukunft nicht tun. In der Tat ist dies die Lehre, die die
Salafisten den Aktionen der Muslimbruderschaft entnommen haben. Eine
Reihe einschlägiger Schriften, die auch unter österreichischen
Jugendkreisen kursieren, belegt die große Bedeutung dieser Ideologie für
bestimmte Zielgruppen: Physische und psychologische Gewalt gelten als
legitime Waffen im Kampf für die Sache Gottes.
Sollten die Muslimbruderaktivisten mit ihrer Strategie Erfolg haben,
werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach darangehen, wirtschaftliche,
politische und vor allem Bildungseinrichtungen zu etablieren, um ihre
Nachwuchsarbeit zu beschleunigen. Für Österreich etwa würde das
bedeuten, dass sich einzelne Fraktionen allmählich von der
Glaubensgemeinschaft ablösen und mithilfe aus dem Ausland geförderter
Stiftungen eigenständige Bildungseinrichtungen etablieren. Eine
Imam-Hatib-Schule, theologische Einrichtungen und Aktivitäten im
Lehrerbildungsbereich – in alldem sehe ich eindeutige Hinweise auf die
Zukunftsplanung des politischen Islam in Europa.
Sicherlich gibt es eine Gegenstrategie, mit der sich verhindern
lässt, dass die Zukunft der Muslime in Europa durch die
Muslimbruderschaft bestimmt wird. Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie
ist das Gelingen eines aufgeklärten Islam europäischer Prägung. Den nach
Europa kommenden Muslimen zu ermöglichen, eine muslimische Lebensweise
im Einklang mit den Wertvorstellungen einer pluralistischen Gesellschaft
zu pflegen ist und bleibt die unabdingbare Voraussetzung für eine echte
Integration.
Das Bekenntnis zu religiösem Pluralismus ist zudem eine
unverzichtbare Grundlage für den sozialen Frieden in Europa. Ein in
Europa beheimateter Islam allein ist in der Lage, die Widersprüche
zwischen demokratischer Gesellschaft und persönlicher Religiosität
aufzulösen und das staatsbürgerliche Bewusstsein der Muslime zu stärken.
Es tun sich also zwei mögliche Szenarien auf: eines, in dem es den
Muslimbrüdern oder ähnlichen Organisationen gelingt, ihre
Hoheitsansprüche durchzusetzen und damit die Fluchtsituation und
Heimatlosigkeit der Muslime zu perpetuieren. Das andere Szenario ist das
eines europäischen Islam, der es den Gläubigen erlaubt, ihre Religion
in die Zukunft zu tragen. Hoffentlich wissen die Muslime die Arabisierung und
Rückwärtsentwicklung des Islam in Österreich zu verhindern.
Anm. atheisten-info: Von Prof. Aslan stammt die Aussage (September 2014):
"Theologisch betrachtet ist es zu 100 Prozent legitim. Alles,
was der IS macht und fordert, ist theologisch richtig und kommt in allen Grundwerken
des Islam vor. Ein Kalif hat nun einmal einen Kriegsauftrag, keinen Friedensauftrag.
Er muss den Islam auch mit Gewalt verbreiten und sollte dazu mindestens einmal
im Jahr Krieg führen." Damit wandte er sich klar gegen die verschiedentlich
betriebenen Gesundbetereien des radikalen Islams mittels Aussagen, der Terror
des IS habe nichts mit dem Islam zu tun!
(Wiedergabe des Artikels mit Zustimmung des Verfassers)
Dazu passend EAV mit einem europafernen Islamisten-Medley (Scharia Ho, Ein Stein der deinen Namen trägt, Kommt ein Ziegel geflogen):