Am 5. Jänner dieses Jahres hat Charb, der Chefredakteur von Charlie
Hebdo, das Manuskript seines Buchs Brief an die Heuchler abgegeben,
zwei Tage später wurde er ermordet. Pointenreich und prägnant erklärt
er in diesem kurzen Werk seine Aversion gegen den Begriff "Islamophobie",
ein Wort im original-französischen Titel, das in der deutschen Übersetzung
leider weggelassen wurde.
Seine Argumente richten sich auch gegen
einen Teil der Linken, die "Gutmenschen", für die der Schutz
von Religionen – hier des Islam – wichtiger als der Kampf gegen den Rassismus
geworden ist. Wenn eine Frau, deren Eltern aus Algerien stammen, keine Wohnung
in Paris findet, ist es dann wirklich deshalb, weil sie Muslimin ist? Es kann
gut sein, dass sie Atheistin ist. Wenn einem Schwarzafrikaner aus Togo der Zutritt
zu einer Disco verweigert wird, dann sicher nicht, weil der Türsteher in
ihm einen Muslim sieht (der Togoleser könnte ohne weiteres auch Christ
sein). Charb bringt es lapidar auf dem Punkt: "Opfer des Rassismus, die
von Roma abstammen oder aus Indien, Asien, Schwarzafrika, den Antillen usw.
kommen, wären gut beraten, sich für ihren Schutz nach einer Religion
umzusehen."
Die Verbreitung des Begriffs "Islamophobie"
verbietet jede Kritik an der muslimischen Religion. Man sollte aber den
Unterschied klarer sehen zwischen dem typisch rassistischen Hass auf Menschen
und der Abneigung gegenüber einer Idee, wenn man zum Beispiel behauptet,
der Koran sei ein schlechtes Buch, sofern man ihn als Ratgeber für seine
Lebensführung betrachtet. Leute, die gegen den Kommunismus sind, nennt
man doch auch nicht "kommunistophob", merkt Charb an, sondern Antikommunisten.
Auch die Mohammed-Zeichnungen richten sich seiner Meinung nach nicht gegen die
muslimische Gemeinschaft, sondern gegen Fanatiker, die den Koran befolgen "wie
andere eine Ikea-Bauanleitung". Dem sollte man hinzufügen, dass laut
einer Studie nur ein Prozent der Titelseiten von Charlie Hebdo in den vergangenen
zehn Jahren den Islam zum Hauptthema hatte. Der französische Journalist
findet auch, dass beim Begriff "Islamophobie" eine Art Paternalismus
mitschwingt, so als ob Muslime keinen Unterschied zwischen dem Jihadisten und
dem einfachen Gläubigen ausmachen könnten.
Das Buch spielt
häufig auf die politische Lage in Frankreich an. Charb kritisiert zum Beispiel
François Hollande, der im Februar 2014 die Große Moschee von Paris
besucht hat, um die "muslimischen Soldaten" des Ersten Weltkriegs
zu ehren. Für Charb war dies eine durchsichtige Strategie für die
kommenden Wahlen, um mögliche "muslimische Stimmen" zu gewinnen.
"Es ist ganz normal, dass führende Vertreter der islamischen Religion
den im Ersten Weltkrieg gefallenen Muslimen die letzte Ehre erweisen. Aber es
ist absurd, wenn ein Staatspräsident Muslimen, die angeblich 'für
Frankreich gestorben sind', die letzte Ehre erweist: Die kolonialisierten, ausgebeuteten
und versklavten Männer, die damals in den meisten Fällen zusammengetrieben
und zwangsrekrutiert wurden, starben nicht als Muslime für Frankreich.
Sie starben als billiges Kanonenfutter." Und weiter, wieder schnell auf
dem Punkt gebracht: "Liebe Genossen, liebe Sozialisten, vielleicht sollte
man die Kolonialisierten von gestern nicht für die Dummköpfe von heute
halten."
Dieses Buch kann vielen heimischen Politikern und Meinungsmachern
empfohlen werden. Im Jänner hatte etwa Kardinal Christoph Schönborn
einen ominösen Vergleich gezogen, als er in einem Boulevardblatt schrieb:
"Unser Land hat eine traurige Geschichte von verhetzenden Karikaturen.
Ich denke an die hasserfüllten antisemitischen Karikaturen des späten
19. Jahrhunderts. Diese giftige Saat ist aufgegangen und hat zu den Massenmorden
an den Juden beigetragen. Hätte es damals deutliche Schritte gegen diese
Hetze gegeben, vielleicht wären viel Leid und schreckliche Schuld vermieden
worden." Charb zeigt, warum diese Parallele absolut unzulässig ist:
Hetze ist gegen Menschen gerichtet, nicht gegen Ideen. Er fragt, ob es in den
1930er-Jahren einen jüdischen internationalen Terrorismus gab, ob ein fliegender
orthodoxer Jude je mit einem Flugzeug ins Empire State Building geflogen wäre
oder ob in vielen Ländern ein jüdisches Äquivalent zur Scharia
existierte. Mandarf Angst vor islamistischem Terrorismus haben.
"Wer
die Dinge beim falschen Namen nennt, trägt zum Unglück der Welt bei!",
schrieb Albert Camus. Charb zeigt, dass der Begriff "Islamophobie"
schon längst auf den Scherbenhaufen der Geschichte gehört.