Gott: Schnuller für Erwachsene

Publiziert am 12. November 2015 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Die Facetten der Religion sind vielfältig. Sie hat philosophische, ideologische, politische und spirituelle Aspekte, und sie basiert auf diversen Schwächen der menschlichen Natur. In der Praxis leisten Menschen im Namen der Religion Hilfe. Dabei kommt ein unterschätztes Feature der Religion zum Vorschein. (Bild: Der Peanut-Gott mit Rock hoch und Heiligenschein ist in Wirklichkeit ein Schnuller von ClkerFreeVectorImages, pixabay)

Features der Religion auf dem Prüfstand

Nach der Aufklärung und dem Höhenflug der Wissenschaft hat die Religion eigentlich abgewirtschaftet. Religiöse Gefühle sind materiell begründet und können durch Hirnstimulation ausgelöst werden. Götter sind als Ausgeburten menschlicher Phantasie erkannt, benannt und gebannt. Nichts von den Gottesbeweisen und -offenbarungen hat einer objektiven Überprüfung standgehalten. Die Religion hat null Erklärungskraft, ihre Schöpfer-Argumentation ist ein logischer Widerspruch. Nichts kann aus sich selbst heraus entstehen, also hat ein Schöpfer die Welt gemacht – aber wer schuf den Schöpfer? Und falls doch etwas aus sich selbst heraus entstehen kann - etwa ein Schöpfer -, dann kann das auch die Welt.

1) Philosophischer Grund: Welterklärung
Wie man's auch dreht und wendet, in den Gefilden von Vernunft und Verstand haben Götter und Religionen als Welterklärung ausgedient. Sie liefern ein Fundament so fest wie Zuckerwatte, sie sind so wahr wie Werbung und haben soviel Sinn wie Wahnsinn. Der erste Grund für den Glauben ist damit obsolet geworden. Trotzdem hält sich die Religion zäh am Leben. Unsere Regierung*) ist komplett religiös kontaminiert, der Bundestag in überwiegenden Teilen. Über den Menschenrechten, die dort eigentlich vertreten werden sollen, steht klar der Gottesgehorsam. Oft ist's der Gott Mammon; bei der Sterbehilfe war's der liebe Foltergott.
*) Anm. atheisten-info: die BRD-Regierung ist tatsächlich um 50% religiöser als die BRD-Bevölkerung - bei der Regierungsangelobung der BRD-Minister 2013 haben alle Regierungsmitglieder einen Meineid schworen, sie sagten nämlich "ich gelobe, so wahr mir Gott helfe", wahr ist es aber, dass ihnen kein Gott hilft.

2) Ideologischer Grund: Repressionsinstrument
Im Mittelalter wurde der Glaube zur Repression instrumentalisiert, und wo das noch der Fall ist, herrscht noch das Mittelalter. Ansonsten wurde die Unterdrückung durch Verdummung abgelöst. In der modernen Welt entfällt damit der zweite Grund für die Religion großteils, denn um das Verdummungsmonopol wird von allen Seiten her gerangelt, von Politik, Werbung, Kunst, Kommerz, Sport …

3) Politischer Grund: mir san mir
Nun ist der dritte Grund für die Religion auch am Wegbrechen. Traditionellerweise dient die Religion zum Ausgrenzen Andersgläubiger. Doch der mir-san-mir-Effekt lässt nach – warum? Aus Nächstenliebe kann's eigentlich nicht sein, wo doch Regierung und Parlament höchstens Bankenliebe bewiesen haben. Dass es Fremdenliebe ist, sei den Wohlmeinenden zugestanden, aber dahinter schimmert doch politisches Kalkül durch: Dass das Ausgrenzen Andersgläubiger nicht mehr gilt, dürfte ein Zeichen dafür sein, wie schlimm der Unglaube eingeschätzt wird. Also der Zusammenschluss mit Andersgläubigen gegen die Freidenker und das Säkulare. Lieber anders verdummt als vernünftig.

4) Sonstige Gründe: menschliche Features
Der vierte Grund ist eine Sammlung von menschlichen Eigenarten:
1. die menschliche Einbildungskraft. Wenn der Mensch glaubt, es ist ein Wirkstoff drin, kann die Täuschungskraft des Placebo-Effekts Wirkung erzeugen, wo gar kein Wirkstoff ist. Genauso können Götter wirken, ohne zu existieren.
2. der menschliche Denkfehler, den Zufall als Absicht zu missdeuten. So, wie der Mensch in den Wolken Gesichter erkennt, so meint er in zufälligen Abfolgen kausale Zusammenhänge zu sehen. Was der Mensch nicht erklären kann, hat eben Gott gemacht.
3. das menschliche Verlangen nach einer schützenden Hand. Wen die Last des Lebens schwer drückt, der mag sich nach einer Vatergestalt sehnen, die ihn wieder zum unbelasteten Kind werden lässt. Das kann bis zur masochistischen Unterwerfung und zum Sklaventum führen; die Bedürfnisse sind weit gefächert.
4. das menschliche Streben nach Gerechtigkeit, wenn schon nicht auf Erden, dann wenigstens im Himmel.
5. die menschliche Liebe zum Spirituellen, Sakralen und Weihevollen. Viele Menschen mögen Kirchenmusik, auch ohne gläubig zu sein. Dasselbe gilt für religiösen Pomp & Zeremonien, da weint es sich so schön.
6. das menschliche Bedürfnis nach Gemeinsamkeit und Miteinander, gerade in einer Zeit, wo die Familien schrumpfen. Dafür leisten die Kirchen das, was auch Clubs und Vereine leisten.
7. die menschliche Hilfsbedürftigkeit. Viele gläubige Menschen tun Gutes und leisten echte Hilfe. Andere leisten Placebo-Hilfe, indem sie die Hilfsbedürftigen zum Beten & Hoffen anstiften.

Unterschätztes Feature
Im letzteren liegt das meistunterschätzte Feature der Religion. Es ermöglicht normalen Menschen, ohne viel  Aufopferung viel Hilfe zu leisten. Als Religionsfreie müssten sie sagen, hör mal, bloß weil ich nett zu dir war, mag ich nicht die ganzen Lasten übernehmen, die du nicht tragen kannst. Mit Religion sagen sie, bete zu Gott, und nach Gottes Willen wird dir geholfen. Dann hat nämlich der vermeintliche Gott die Hilfsbedürftigen an der Backe und nicht der Helfer.
Mit dem Gott kann er die Hilfesuchenden ruhigstellen. Gott als Schnuller für Erwachsene. Das bringt's, denn es ist ein Alleinstellungsmerkmal für die Götter- und Geister-Branche. Humanisten verfügen nicht über solche Möglichkeiten und tun sich deshalb schwerer mit Hilfeleistungen. Der Umstieg von religiös zu humanistisch ist auch deshalb so schwer.

Links dazu:
Göttliches Ablaufdatum überschritten
Von der Notwendigkeit eines globalen menschlichen Ethos’
Religion richtet schweren Schaden an 
Emanzipation von der Religion Überbau der Schuldzuweisungen
Das Ethosdefizit 1. Schuldzuweisung an die Religion
Die Lügenkultur 2. Schuldzuweisung an die Religion
Die Übervölkerung 3. Schuldzuweisung an die Religion