In einem Artikel vom 30.1. greift die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein bewährtes Thema auf. Ist das Gehirn fremdgesteuert? Endlich befreit! So schreibt die FAZ, und sie meldet bahnbrechende Erkenntnisse: Entscheidet
unser Gehirn unbewusst, ist der freie Wille eine Illusion? Nach
Jahrzehnten haben Berliner Hirnforscher die berühmte These mit einem
raffinierten Spiel gegen den Computer widerlegt (Bild: geralt, pixabay).
Die Frage war ja immer wieder, ist der freie Wille des Menschen bloß Einbildung? 2004 machte der Neurophysiologe Singer Furore mit der steilen These vom unfreien Willen. In einem FAZ-Artikel behauptete er, Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören von Freiheit zu sprechen. Und
zwar, weil er deterministisches Verhalten der Neuronen feststellte.
Deterministisch heißt, alles ist vorherbestimmt, also kein freier Wille
möglich. Nachdem er 10 Jahre mit dieser physikwidrigen These durch die
Medien getourt war, behauptete er in einem Spiegel-Interview, das hätte
er nie so gesagt, sondern nur, dass alle Entscheidungen die Folge von
vorausgegangenen Hirnzuständen seien, siehe Erfinder des Unfreien Willens schwört ab.
Ein zweiter wissenbloggt-Artikel wendet sich gegen ein noch älteres Argument zur Unfreiheit des Willens, Freier Wille vs. Willusion.
Da geht es um Experimente von Oliver Sacks, Benjamin Libet, John-Dylan
Haynes und anderen. Diese Forscher fanden ab 1979 heraus, dass das
Gehirn bereits Aktivität zeigt, bevor uns bewusst wird, dass wir eine
Entscheidung gefällt haben. Der freie Wille sei erledigt, hieß es
deshalb, das Hirn treffe die Entscheidung anscheinend vor der Person
(Haynes 2008). Wir seien nur "biochemische Marionetten", wo bleibe der
bewusste Akteur, der Herr sei über sein eigenes Innenleben?
Das ist das Thema, was die FAZ jetzt in neuer Variation und mit dem
alten Protagonisten Haynes abhandelte. Die Inhalte blieben die gleichen
wie in dem Spektrum-Artikel vom 20.8.2015, Hirnforschung: Wie frei ist der Mensch?
Dafür ist der Anspruch nochmal hochgesetzt, endlich sei das Hirn
befreit, es sei raus: Unser Wille wäre stärker, als das Gehirn zeigt!
Um
diese Euphorie nachzuvollziehen, muss man nochmal das Libet-Experiment
anschauen: Eine Sekunde bevor die Probanden sich bewusst entschlossen, ihre Hand
zu bewegen, zeigten die Hirnstromkurven schon das
„Bereitschaftspotential“ dafür. Solches wissenschaftliches Material
verstoße gegen den gesunden Menschenverstand und die eigene Erfahrung.
Doch halt - die Argumentationslage hat sich geändert. Dem gesunden
Menschenverstand sei zu vertrauen, so die FAZ, der freie Wille sei nicht
totzukriegen, die Libet-Experimente seien obsolet.
Der Experimentator Haynes behauptet, das gemessene
"Bereitschaftspotential" sei kein Beweis dafür, dass "der Mensch seine
Entscheidungen durch das Gehirn diktiert bekomme", diesen Determinismus
gebe es nicht. Immerhin gingen vielen Handlungen bis zu zehn Sekunden
vor "der Entscheidung des bewussten Ichs" elektrische Spuren in
bestimmten Hirnarealen voraus. Entscheidend sei der Punkt, dass nichts
für eine Kausalität spreche, also dass diese Hirnströme das Handeln
steuern würden. Das "ominöse Bereitschaftspotential" könne quasi
überstimmt werden, die vermeintlich vorbestimmte Handlung könne noch
willentlich und aktiv gestoppt werden, so das Ergebnis der "wichtigsten
Versuche der letzten dreißig Jahre".
Die Versuche zeigten, dass die Probanden eine Bewegungseinleitung, die
durch die Hirnstromkurve signalisiert wurde, noch bis 0,2 Sekunden
vorher stoppen konnten. Haynes Aussage dazu: Das bedeute, dass die
Freiheit menschlicher Willensentscheidungen wesentlich weniger
eingeschränkt sei als gedacht - soweit der referierte Inhalt des
FAZ-Artikels.
Mekrwürdig der Hype, der um so eine graduelle Einschränkungs-Rücknahme
veranstaltet wird. Wenn der Wille bis auf 0,2 Sekunden vorher frei ist,
dann ist er doch immer noch unfrei? Damit ist der freie Wille doch nicht
als Illusion widerlegt, wie die Ankündigung lautet?
Aber das ist gar nicht das Problem bei diesen Interpretationen. Die
eigentliche Crux liegt darin, wie die Forscher überhaupt messen wollen,
welche Hirnaktivitäten Wille sind und welche nicht? Ein bissel was in
der Richtung bringt doch schon die Aussage, dass die gemessenen
Hirnströme nicht unbedingt das Handeln steuern würden. Aber wieso wollen
die Forscher dann allen Ernstes die bewusste Entscheidung gegen die
Hirnstromkurven aufrechnen? Also die Innensicht gegen die Außensicht?
Aufgeklärte wb-Leser sehen hier gleich zwei Fehlinterpretationen.
Einmal die dualistische Trennung von Hirn und Person, von Hirnstromkurve
und bewusstem Ich, wie sie der Satz ausdrückt, "der Mensch bekommt
Entscheidungen durch das Gehirn diktiert."
Zum zweiten stellt sich das Problem der Vermischung von Makroebene und
Mikroebene: Aus Sicht der (philosophischen) Makroebene soll der Wille
bewusste Entscheidungen verursachen. Auf der Mikroebene ist das
Bewusstsein aber der Focus auf die wichtigsten Hirnaktivitäten, und die
müssen sich erstmal ausprägen, damit sie ins Bewusstsein vordringen
können. Es ist also logisch, dass sich erst die Hirnströme aufbauen, ehe
das Bewusstsein davon berührt wird.
Links dazu:
Noodle bobble 2/I – Bewusstseinsraum wie das Bewusstsein funktioniert
Nachgedanken zum Freien Willen
Quantenbiologie: besseres Leben durch Quantenmechanik Quanten im
Bio-Einsatz
Entscheidungsverarbeitung physikalische Repräsentation des Willens
Quanteneffekte und Freier Wille physikalische Grundlage des Willens
Emergenz und freier Wille
Dem sogenannten „freien“ Willen zum Abschied … ungewollt
Hintergrundüberlegungen zur „Willensfreiheit“ aus Makro-Sicht