Sehr geehrter Herr Chefredakteur Dr. Brandstätter,
ich war bei Ihrer
Diskussions-Veranstaltung "Religion" im Raiffeisenhaus am Montag,
den 22.2. 16.
Ich finde es großartig, dass der Kurier, den ich sehr
schätze und den wir seit Jahrzehnten abonniert haben, diese Veranstaltungen
macht. Der Kurier wird auch unter Ihrer Leitung immer besser!
Zu dieser
speziellen Veranstaltung kann man Ihnen nicht gratulieren.
Es mag sein,
dass Sie sich insgeheim gefreut haben, dass die Diskussion so friedlich und
ruhig über die Bühne ging. Das ist aber gleichzeitig das Zeichen,
dass so ein Set-up sinnlos ist. Die Orthodoxen in den Religionen verstehen sich
untereinander blind, wie wir an diesem Abend wieder gesehen haben. Jeder weiß
wieviel sie alle trennt, jeder weiß, dass die Religionen Trost spenden,
aber um welchen Preis? Ihr Glaube hat Millionen an Opfern gefordert und welcher
Hass ist über die Jahrhunderte ausgestreut und geschürt worden, speziell
zwischen Christen und Juden, weil Jesus von den Juden „ermordet“ wurde.
Ich
gehe einmal davon aus, dass der Kurier nicht Religionen verbreiten will, sondern
sich in den Dienst der säkularen Gesellschaft stellen will,
das
ist die, die über die letzten Jahrhunderte das Morden am besten bekämpft
hat und am ehesten eine gewisse Gerechtigkeit geschaffen hat und die gleiche
Würde der Menschen hat Realität werden lassen. Wie eine Gesellschaft
aussieht, in der die Religionen das Sagen haben, das kann man heute noch in
aller Welt, speziell im Nahen Osten studieren und wenn man nur drei Jahrhunderte
zurückgeht auch bei uns in Europa.
Religionen wird man in der Tat nie
ausrotten können und darum geht es auch gar nicht, sondern um Säkularität.
Das ist ein permanenter Kampf. Nun haben Religionen den Startvorteil, dass sie
geschlossen auftreten und einen meist gefinkelten Redner nach vorne schicken,
dem äußerste Ehrerbietung entgegengebracht wird. Die Vertreter der
Säkularität werden nicht einmal in den Kreis der Diskutanten berufen.
Aus dem Publikum heraus kann man keine echte kritische Argumentation beginnen.
Dabei gäbe es tausende Ansatzpunkte der Kritik. Die Vorträge
der Diskutanten waren aus meiner säkularen Sicht ein wildes Potpourri an
gekonnten Lügen und Beschönigungen. Zur Krönung kam dann noch
der Satz: "Wir müssen mit Ehrlichkeit an die Sache herangehen!".
Was über bleibt im Publikum, ist das Gefühl grenzenloser Ohnmacht.
Das können Sie nicht wollen. Ich bin von Ihren ehrlichen Absichten völlig
überzeugt, deswegen tue ich mir diesen Brief an.
Wie überall
in der Demokratie, kommen wir nur weiter, wenn es in der Auseinandersetzung
eine Möglichkeit gibt, die tatsächlichen Verhältnisse einigermaßen
abzubilden. Dazu müssen Sie wissen, dass - Achtung! - trotz kindlichem
Brainwash und massiver christlicher Prägung im Erwachsenenalter in Österreich
eine Mehrheit von 53% ungläubig ist und nur etwa 10% tatsächlich praktizierend
gläubig ist - in etwas so viele wie es dezidierte und bekennende Atheisten
gibt. Über den Hebel der kulturell aufgeblähten Mitgliedschaft (noch
immer 59% Katholiken, früher 95%) und der mächtigen Institution Kirche
mit ihrer enormen wirtschaftlichen und medialen Macht, wird, was die Menschen
glauben, zur Nebensache.
Welche marketingtechnische Chance darin bestünde,
die Vielfalt zu leben, den säkularen Menschen entgegenzukommen und auch
ihre Anliegen z.B. in Kommentaren zu vertreten, hat leider keine Zeitung bisher
erkannt und man bringt lieber Predigten, obwohl jeder weiß, dass kein
Mensch das liest und vor allem nicht deswegen eine Zeitung kauft.
Als
Vertreter der Konfessionsfreien Österreichs mahne ich ein, die Stimme des
Volkes ein wenig gerechter abzubilden, als bisher und z.B. bei Diskussionen
auch Vertreter der 53% Ungläubigen einzuladen. Vielleicht kann man
auch diese Tatsache besser verbreiten, so dass der Vertreter der Kirche nicht
von 85% Religiösen im Land faseln kann, wo schon 25 % Konfessionsfreie
sind.
Ich denke, dass man mit Diskussionen wie dieser der Beschönigung
und dem Weichspülen der harten Realität Vorschub leistet und die so
notwendige Kritik an religiös begründeten Problemen in der Gesellschaft
verhindert. Dabei will niemand Religionen abschaffen, während umgekehrt
dies sehr wohl der Fall ist. Wir haben in unserem Verein Leute, die in ihrer
Heimat als Atheisten bereits tot wären. Schon allein das sollte zu denken
gaben.
Österreich hinkt in diesem Feld international gesehen entsetzlich
hinterher. Es gibt in Österreich keine einzige humanistische Akademie oder
humanistische Institution öffentlichen Rechts wie in vielen westeuropäischen
Staaten. Ich fordere nicht nur den Kurier, sondern alle Medien auf, sich mehr
für konkrete Projekte einzusetzen und in ihren Medien Vielfalt und Säkularität
zu leben.
Für ein entsprechendes Gespräch über diese Projekte
und wie man dieses Anliegen fördern könnte, wäre ich Ihnen dankbar.
Mit
freundlichen Grüßen
Dr. Gerhard Engelmayer - Vorsitzender des
Freidenkerbundes Österreich und des Zentralrates der Konfessionsfreien