Geradezu euphorisch notierten die deutschen Medien in diesen Tagen die Verurteilung des ehemaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic wegen Völkermordes. Die TAGESSCHAU, ein zentraler Taktgeber des bundesrepublikanischen Medien-Orchesters, fragte in einer Überschrift sogar strafverschärfend: "Warum eigentlich nicht lebenslänglich?" Von solch juristischer Kühnheit sind deutsche Medien in einem anderen Fall völlig frei: Immer wenn das scharfe Schwert des Völkerrechts die USA treffen könnte, schweigt das offizielle und öffentliche Deutschland beredt.
Jener über Massenvernichtungsmittel, die der Irak angeblich besitzen
sollte aber nicht besaß. Brav kolportierten die deutschen Medien den Betrug.
Eine Entschuldigung steht bis heute ebenso aus wie eine Selbstanalyse der Kriegsbefürworter.
Der Krieg endet leider bis heute nicht. Aber die geschätzten Opferzahlen
nach dem offiziellen Kriegsende imIrak – von 109.000 Opfern (US-Kriegsministerium)
bis zur Studie der Johns Hopkins University, die von 654.965 Toten durch den
Krieg und die Kriegsfolgen ausgeht – überschreiten die Zahlen der diversen
Jugoslawienkriege bei weitem.
Auch an Grausamkeit lassen sich die
USA und ihre Verbündeten nur schwer übertreffen: Vom bekannten
Foltergefängnis Abu-Ghuraib, über die düsteren Gefängnisse
der US-Behörden im Ausland, bis zum Einsatz von Uranmunition und weißem
Phosphor gegen die Männer, Frauen und Kinder eines zivilen Protestes im
irakischen Ort Falludscha. Zwei Jahre nach den Angriffen vom Frühjahr 2004
traten dort in sehr großer Zahl, überwiegend bei Kindern, Fälle
von Leukämie, Meningitis, Thalassämie, Septicämie, angeborene
Missbildungen der Nieren und Gehirntumore auf. Schon bei der psychologischen
Vorbereitung des Krieges, den mörderischen Sanktionen der USA gegen die
irakische Bevölkerung, erreichten US-Offizielle einen seltenen Höhepunkt
des Zynismus. Jene 500.000 irakischen Kinder, die im Ergebnis der Strafsanktionen
unter George H. W. Bush und Bill Clinton starben, kommentierte die US-Außenministerin
Albright fröhlich mit "ein Preis der es wert war".
Neben
den faktischen Verbrechen sind auch die juristischen nicht unbekannt. Selbst
der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages vertrat die Auffassung, dass die
USA kein Mandat der Vereinten Nationen für ihren Krieg hatten. Oder, um
es mit den Worten des Völkerrechtlers Michael Bothe zu sagen: "Hier
zeigt sich eine Entwicklung, die dahin geht, dass die USA bewusst das Völkerrecht
im Sinne einer hegemonialen Weltordnung umgestalten wollen." Fraglos brachen
die USA und ihr Oberbefehlshaber George W. Bush das Verbot eines Angriffskrieges
wie es in der UN-Charta festgelegt ist. Und ebenso fraglos wäre das ein
Fall für den "Internationalen Strafgerichtshof".
Ein
weiteres Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages trägt
den bedeutenden Titel "Ausübung militärischer Gewalt durch ausländische
Staaten von Militärbasen" und verurteilt den Einsatz von US-Drohnen
als "völkerrechtswidrige Militäroperationen". Wieder ist
es ein US-Oberbefehlshaber, der mit schreckliche Regelmäßigkeit völkerrechtswidrige
Anschläge anordnet: Präsident Barack Obama lässt sich regelmäßig
eine Liste für gezielte Tötungen vorlegen. Er ist Richter und Henker
zugleich. Inzwischen genügt schon der bloße Verdacht auf terroristische
Aktivität, um einen Drohnen-Einsatz zu legitimieren. Wie bei den gewöhnlichen
Terror-Attentaten, die zur Zeit die Schlagzeilen dominieren, ist die Zahl ziviler
Opfer der angeblich gezielten "Operationen" beträchtlich. Mit
Obama drängt sich die nächste Anklage vor dem "Internationalen
Strafgerichtshof" geradezu auf. Allerdings nicht in den deutschen Gewohnheits-Medien.
Und
wahrscheinlich auch nicht vor dem Gerichtshof. Obwohl die Institution höchst
geeignet wäre. Umfasst ihr Verfolgungsgebiet doch Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord sowie das Delikt des Verbrechens
der Aggression. Und so ziemlich all diese Delikte sind bei den erwähnten
Präsidenten der USA festzustellen. Aber die USA haben dem Generalsekretär
der Vereinten Nationen als dem Verwahrer des Gerichtshof-Statuts bei dessen
Gründung mitgeteilt, dass sie nicht beabsichtigen, das Statut zu ratifizieren.
Die Vereinigten Staaten verweigern sich schlicht der internationalen Gerichtsbarkeit.
Aber
der Fall Karadzic lässt hoffen. Sind dessen Verbrechen doch lange vor Gründung
des Gerichtshofes auf dem Territorium eines Staates verübt worden, der
das Statut gar nicht hat unterschreiben können. Offenkundig darf das Gericht
also auch rückwirkend und gegen Nicht-Unterzeichner tätig werden.
Vielleicht kann die TAGESSCHAU dann künftig auch in den Fällen
Bush und Obama die Frage stellen: Warum eigentlich nicht lebenslänglich?