Nachdem im März dieses Jahres der Österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) das polizeiliche Gründungsverbot für "Letzte Hilfe - Verein für selbstbestimmtes Sterben", dem ersten Sterbehilfeverein Österreichs, für verfassungskonform erklärt hat, liegt nun dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine umfassende Beschwerde vor. Im Schriftsatz wird insbesondere der durch die Untersagung der Vereinsgründung bewirkte Verstoß gegen Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), nämlich das Recht auf Vereinigungsfreiheit, bemängelt. In weiterer Folge wird aber auch eine Verletzung des Rechts auf Privatleben gem. Art. 8 EMRK beanstandet. Mittelbar richtet sich die Beschwerde auch gegen das strafrechtliche Verbot der "Mitwirkung am Selbstmord" (§78 StGB), eine Bestimmung, die als undifferenziert und unsachlich betrachtet wird.
Eingebracht wurde die Beschwerde von Eytan Reif, dem Vorstand der "Initiative
Religion ist Privatsache", der bereits im Februar 2014 gemeinsam mit dem
im letzten Jahr überraschend verstorbenen Astrophysiker Prof. Heinz Oberhummer,
der Landespolizeidirektion Wien die Vereinsgründung angezeigt hat. An das
Verfahren schlossen sich 30 weitere Personen an. Obwohl der EGMR in seiner
Rechtsprechung bisher kein generelles Recht auf Sterbehilfe anerkannt hat, zeigt
sich Reif aus gleich mehreren Gründen optimistisch:
"In Anbetracht
der undifferenzierten und unsachlichen Regelung wird leicht ersichtlich, dass
der österreichische Gesetzgeber mit dieser Gesetzesnorm vordergründig
der Gesamtheit eine bestimmte Weltanschauung aufzwingen will. Diese verhindert
ein Sterben in Würde und ist zudem in der österreichischen Bevölkerung
längst nicht mehr mehrheitsfähig. Spätestens dann, wenn Grundrechte,
wie das persönliche Selbstbestimmungsrecht, die Gewissensfreiheit und das
Recht auf Vereinsbildung, ideologischen - und insbesondere kirchlichen - Wertvorstellungen
untergeordnet werden, hat der EGMR einzugreifen".
Das - auch
vom VfGH - oft ins Spiel gebrachte Argument, wonach §78 StGB primär
Missbrauch im Bereich Sterbehilfe verhindern soll, lässt Reif nicht gelten:
"liberale Sterbehilfegesetze, die einen selbstbestimmten Tod ermöglichen
und gleichzeitig Missbrauch so gut wie ausschließen, zeichnen gerade Staaten
aus, die einen hohen Grad an Rechtsstaatlichkeit aufweisen und eine erstklassige
medizinische sowie soziale Versorgung anbieten. Wenn Feigheit oder Faulheit
den österreichischen Gesetzgeber daran hindern, die komplexe Thematik Sterbehilfe
sachlich zu regeln, müsse die Zivilgesellschaft das Recht haben, sich entsprechend
organisieren zu dürfen und Antworten zu liefern. Bei Vorliegen eines entsprechenden
gesetzlichen Rahmens, würden aber meine Mitstreiter und ich auf die Gründung
des Vereins gerne verzichten!".
Rechtsanwalt Wolfgang Renzl,
der die Beschwerde verfasst hat, führt dazu aus: "Die aktuelle
Gesetzeslage, die jede Form der Sterbehilfe völlig undifferenziert kriminalisiert,
greift in die durch Art 8 EMRK konventionsrechtlich geschützte Privatsphäre
der Betroffenen ein. Die Kriminalisierung missachtet jeden wissenschaftlichen,
aufgeklärten Ansatz zu dem Thema, selbst den der eigens dafür eingesetzten
Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. Sterbewillige haben ein Recht, ihrem
- oftmals als Qual empfundenen - Leben ein menschenwürdiges Ende zu setzen,
auch wenn sie dabei auf die Hilfe Dritter angewiesen sind. Für niemanden
sollte ein gesetzlicher Zwang bestehen, leben zu müssen".