Was sich wie eine neue Verschwörungstheorie anhört, gewinnt bei näherer
Betrachtung Plausibilität. Wer nicht monokausal denkt, sondern auch
Nebeneffekte in sein Kalkül einbezieht, wird durchaus fündig (Bild:
jajif93, pixabay).
In puncto AfD braucht man sich nicht mal mit Nebeneffekten abzugeben.
Wie die merkelsche Grenzöffnung die AfD beflügelte, muss nicht mehr
belegt werden. Als die CDU plötzlich grün-linke SPD-Politik machte,
verprellte sie ihre Klientel.
Eher ist Merkels ungewollter Beitrag zum Brexit strittig. Da schien die
EU-Osterweiterung mit dem Millionen-Zuzug aus Osteuropa eine große
Rolle zu spielen, und die Asylantenwelle kam dann noch obendrauf.
Argumente dazu liefert der wissenbloggt-Artikel GB-Exit und EU-Exitus diskutiert. Der Fall scheint ähnlich gelagert zu sein wie bei der US-Wahl, wo der falsche Trumpf stach.
Eine schöne Darstellung liefert der Artikel Deutschland und die USA – Trumps Werk und Merkels Beitrag (Cicero 11.11.): Als
Angela Merkel im September 2015 die Grenzen für die Flüchtlinge
öffnete, legte sie damit einen Grundstein für den Erfolg Donald Trumps.
Im Einwanderungsland USA stieß die deutsche Geste der Großzügigkeit auf
Unverständnis und Spott.
Bei der Autorin Eva C. Schweitzer hat wahrscheinlich der
Correctnesstrainer versagt. Sie traut sich jedenfalls Aussagen, die
weder der deutschen noch der amerikanischen.Linken gefallen werden. Die
progressive Bewegung kämpfte mit Unterstützung der linksliberalen Medien
gegen alle Art von Uncorrectness und für trigger warnings – aber es war
ihr egal, wie die Fabriken im Mittleren Westen geschlossen wurden, wie
Kleinstädte verfielen und der Reallohn sank. Und die demokratische
Parteielite verquickte sich mit der Wall Street, obwohl deren Raffgier
(und kriminelle Energie, wb) bei der Bankenkrise Millionen von
Amerikanern um ihr Häuschen brachte. Die Demokraten waren sogar stolz
darauf, im Establishment angekommen zu sein.
Damit langt die Argumentation bei Angela Merkel an. Die merkelsche
Grenzöffnung am 5.9.2015 wird von der Autorin als Schlüssel zur US-Wahl
gesehen: Das war der Tag, an dem das Schicksal beschloss, dass Trump
Präsident wird.
Aus Sicht von Schweitzer ging es darum, Deutschland mit seiner
grenzenlosen Gastfreundschaft im Ausland beliebt zu machen.
Möglicherweise habe das in Marokko und Tunesien funktioniert, sagt sie,
aber nicht in England, Polen und den USA. Von den Redaktionen der
linksliberalen Medien wie New York Times gab es denn auch
Schulterklopfen, aber in den Kommentaren sah es von Anfang an anders
aus. Man schüttelte über die naiven Deutschen den Kopf, wenn man nicht
Schlimmeres vermutete, den Import von Arbeitssklaven, die gezielte
Destabilisierung Europas mit dem Ziel der Machtübernahme. Und das waren
die liberalen Kommentare. Bei den rechtsdrehenden wurde noch ganz anders
vom Leder gezogen.
Und das war, bevor es anfing schiefzugehen. Ab dann produzierte Merkels
Flüchtlingspolitik in den USA nur noch unschöne Schlagzeilen. Die
Vorfälle von Köln erzeugten einigen Internet-Hype. Der Münchner
Todesschütze wurde von CNN ausgiebig ausgeschlachtet. Das "traf einen
Dauernerv", und dabei interessieren sich die Amerikaner eigentlich nicht
für das Ausland.
Die deutsche Schönrederei interessierte in den USA erst recht
niemanden. Da wurden Flüchtlinge, legale und geduldete Migranten
"auseinanderfiletiert", Leute mit oder ohne deutschen Pass unterschieden
und die Ausländer-Prozentzahlen in Relation zu gleichaltrigen Deutschen
gesetzt. Was der moralischen Selbstbefriedigung der Willkommenskultur
im Wege stand, wurde weggeredet.
Als dann die Bilder von brennenden Flüchtlingsheimen und
fahnenschwenkenden Skinheads dazukamen, hatten die Linken in den USA
genug: Die Flüchtlingsfreundlichkeit wäre nur Tünche, das Dritte Reich
ginge weiter. Für die Rechten war das der Beweis, dass grenzenlose
Einwanderung zu Bandenkriegen und Rassenkrawallen führt. Die Bilder der
Flüchtlingstrecks lösten nur noch Panik aus. Beide Seiten hatten genug
davon, es interessierte nur noch, wie man diesen Ärger von Amerika
fernhalten kann.
Diese Chance ergriff Donald Trump. Ein Gutteil seines Wahlkampfs
befasste sich damit, wie man Muslime draußen halten könnte – und Merkel
wurde zur "toxischen Unperson". Dabei war sie in Amerika mal beliebt
gewesen, vor allem unter Republikanern. Für Hillary Clinton war Merkel
fortan nicht mehr existent, und Donald Trump erklärte öffentlich, sie
zerstöre Deutschland.
Zurecht sieht die Autorin eine bittere Ironie darin, dass eine deutsche
Geste der Großzügigkeit zur Wahl eines Präsidenten beitrug, der genau
in die andere Richtung tendiert. Vielleicht war das der Grund, warum
Angela Merkel von dieser Entwicklung kalt überrascht wurde?
Interessant sind die manchmal etwas rechtsdrehenden Kommentare
am Ende von Schweitzers Artikel. Wenn die repräsentativ sind, ist die
These der merkelschen Schuld an Trump weitgehend akzeptiert. Es ist
schon etwas mehr dran als an einer gewöhnlichen Verschwörungstheorie –
aber wie wär's mit dieser?
Demnach kam der Kanzlerin Trumps Sieg durchaus recht, und zwar aus
Machterhaltungsgründen: Wäre Clinton Präsidentin geworden, hätte die
Kapitalismuskritik hüben wie drüben ein besseres Ziel. Dann wäre zur
Sprache gekommen, warum demokratische Politiker neoliberale Politik
machen, und zu denen gehört Merkel ja meist auch. Aber der Polarisator
Trump zieht das Augenmerk auf sich, so dass Merkel für ihre nächste
Kanzerschaft planen kann.
Bahnt sich da eine neue bittere Ironie an, dass der neue US-Präsident die schwerbeschädigte deutsche Kanzlerin im Amt hält?